Über Generationen hinweg war H. C. Starck ein Synonym für das industrielle Laufenburg. Im April 1920 hatte das Unternehmen im Stadtteil Rhina seine erste Produktionsanlage übernommen. Nach Umstrukturierungen und Eigentümerwechseln verschwand im Juli 2020 der Unternehmensname nach 100 Jahren endgültig aus Laufenburg. Heute produzieren hier Höganäs, Taniobis und Imerys.

Das Ferro-Werk Rhina in einer Aufnahme aus dem Jahr 1925. Damals gehörte es erst seit fünf Jahren zur H. C. Starck. Oben geht es ...
Das Ferro-Werk Rhina in einer Aufnahme aus dem Jahr 1925. Damals gehörte es erst seit fünf Jahren zur H. C. Starck. Oben geht es Richtung Rhina, unten Richtung Murg, rechts Richtung Rhein. | Bild: Walter Mittelholzer/ETH-Bibliothek Zürich

Zum 1. April 1920 übernahm H.C. Starck das Ferro-Werk in Rhina. Die Firma war keine drei Wochen zuvor von dem erst 29-jährigen Berliner Metallkaufmann Hermann C. Starck (1891-1974) gegründet und am 12. März 1920 im Handelsregister eingetragen worden. Wie das Ferro-Werk geht auch das 800 Meter Luftlinie östlich gelegene Werk Enag auf den bedeutenden Unternehmer, Politiker und Schriftsteller Walther Rathenau (1867-1922) zurück. Dieser gründete zu Anfang des 20. Jahrhunderts am Hochrhein unter dem Dach der AEG-Tochter Elektrochemische Werke Bitterfeld eine ganze Reihe von energieintensiven Industriebetrieben, um den dort in Wasserkraftwerken produzierten Strom zu nutzen. 1914 ging das Kraftwerk Laufenburg in Betrieb, in dessen unmittelbarer Nähe das Ferro-Werk und die Elektro-Nitrum AG errichtet worden waren.

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Zu ihrem Beginn dienten die beiden Industriebetriebe der Kriegsproduktion. Im Werk Rhina wurden mit Elektroöfen Ferrolegierungen hergestellt; die Enag produzierte Salpetersäure, einen zur Sprengstoffherstellung notwendigen Grundstoff. Auch die Produkte aus den Rhinaer Industriewerken setzten das Deutsche Reich erst in die Lage, den Weltkrieg bis 1918 fortsetzen zu können. Mit dem Ende des Kriegs entfiel das Geschäftsmodell der jungen Laufenburger Chemieindustrie, die in ihre erste tiefe Krise geriet.

Der Rathenau-Vertraute Hermann C. Starck erkannte seine Chance und erwarb das Ferro-Werk. Als sich gute Geschäfte abzeichneten, schloss er 1928 mit dem Kraftwerk einen längerfristigen Stromlieferungsvertrag ab. Doch auch wegen der Weltwirtschaftskrise konnte H. C. Starck die vereinbarten Mengen nicht abnehmen und 1931 stellte das Werk Rhina seine Produktion ein. 1935 erwarb Hermann C. Starck die Aktienmehrheit der Gebr. Borchers AG mit Sitz in Goslar, das in der Folge zum wichtigsten Produktionsstandort seines Unternehmens werden sollte. In Rhina liefen die Schmelzöfen erst wieder während eines weiteren Weltkriegs, des Zweiten, 1942 erneut in Betrieb, um dort das Schleifmittel Korund herzustellen.

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Politisch und weltanschaulich stand Hermann C. Starck den Nationalsozialisten fern. Er löste die Ehe mit seiner jüdischen Frau Klara nicht auf, sondern brachte sie mit den beiden Kindern zur deren Sicherheit von Berlin nach Laufenburg an die Grenze zur Schweiz. Starck nahm politisch Missliebige in seinem Unternehmen auf. Dieses war aber auch Teil der Rüstungsindustrie und beschäftigte zahlreiche Zwangsarbeiter. Im Juni 1945 wurde Hermann C. Starck von sowjetischen Streitkräften an seinem Berliner Wohnsitz festgenommen und 1950 in den sogenannten Waldheimer Prozessen wegen „Unterstützung des Nazitums“ zu 20 Jahren Haft verurteilt, sein Vermögen wurde eingezogen. 1991 wurde das Urteil postum für nichtig erklärt. Bereits 1951 war Starck begnadigt und in den Westen Deutschlands entlassen worden.

Im Werk Rhina produzierte sein Unternehmen H. C. Starck auch nach dem Krieg weiter synthetisches Korund, Mitte der 1950er Jahre jährlich bis zu 8000 Tonnen, 280 Menschen arbeiteten damals im Werk. Weil das Ausgangsmaterial gebrochen und gemahlen wird, war die Produktion mit einer großen Belastung für die Umwelt und die Menschen in Murg und Rhina verbunden. Bis zur Inbetriebnahme moderner Filteranlagen Ende der 1970er Jahre gehörte eine dichte Staubwolke fest zum Bild des Werks. Anfang der 1980er Jahre wurden auf dem Betriebsgelände auch große Mengen Schlacken gelagert. Aus ihnen wurde Tantal gewonnen, ein seltenes Metall. Rhina deckte zu jener Zeit einen großen Teil des Tantalbedarfs der westlichen Industriestaaten und wurde „größte Tantalmine der Welt“ genannt.

Das Werk Rhina in einer Luftaufnahme aus dem Jahr 2017. Ein Jahr später verkaufte die H. C. Starck das Areal an die Murger Gesellschaft MTM.
Das Werk Rhina in einer Luftaufnahme aus dem Jahr 2017. Ein Jahr später verkaufte die H. C. Starck das Areal an die Murger Gesellschaft MTM. | Bild: Erich Meyer

1958 erwarb die H. C. Starck vom Kraftwerk Laufenburg das Werk Enag. Hier waren ab Ende der 1930er Jahre Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmittel hergestellt worden. 1961 wurden die Werke Rhina und Enag als Zweigniederlassung Laufenburg zusammengefasst. Im Werk Enag wurde zunächst Festschmierstoff hergestellt, 1967 begannen die Aktivitäten zur Produktion von Tantal und Niob. Jene Zeit ist verbunden mit den Namen von Wilfried Rockenbauer und Günter Wagner. Rockenbauer brachte von der Ciba sein Wissen zum Aufbau der neuen Anlagen zur H. C. Starck mit, Wagner verbesserte diese und führte neue technische Verfahren ein.

Bis zu seinem Tod 1974 stand der Firmengründer dem nach ihm benannten Unternehmen vor. Zwölf Jahre später verlor H. C. Starck seine Selbständigkeit, als die Bayer AG 1986 zunächst 94,1 Prozent und 1993 den Rest des Stammkapitals erwarb. Unter dem Dach des Konzerns wurde H. C. Starck reorganisiert. Statt Berlin wurde Goslar zum Hauptsitz des Unternehmens, doch auch der Standort Laufenburg erhielt zusätzliche administrative Befugnisse. Das Unternehmen wurde in sieben Geschäftsbereiche gegliedert.

Luftaufnahme des Werks Enag aus dem Jahr 2017. Am unteren Bildrand ist noch das Kraftwerk zu erkennen, dem das Werk bis 1958 gehörte.
Luftaufnahme des Werks Enag aus dem Jahr 2017. Am unteren Bildrand ist noch das Kraftwerk zu erkennen, dem das Werk bis 1958 gehörte. | Bild: Erich Meyer

1996 begann mit dem Verkauf der Korund-Sparte im Werk Rhina an die österreichische Treibacher AG, die ihrerseits heute Teil des französischen Konzerns Imerys ist, die Aufspaltung der H. C. Starck. 2007 verkaufte Bayer das Unternehmen an die Finanzinvestoren Advent International und Carlyle Group. Die Weltfinanzkrise 2008 setzte auch H. C. Starck zu. Jahre der Umstrukturierungen und Ausgliederungen begannen.

Ende 2017 kam die Pulverdivision zusammen mit dem Werk Enag zur schwedischen Höganäs, unter deren Namen sie heute firmiert. Wenige Monate später erwarb im Frühjahr 2018 die japanische JX Nippon Mining & Metals die Tantal- und Niobsparte von H. C. Starck. Diese prodiziert im Werk Rhina, das zum 1. Juli 2018 als Immobilie an die Murger MTM Industriepark GmbH überging. Seit die ehemalige Tantal- und Niobsparte im Juli 2020 als Taniobis firmiert, ist der seit 100 Jahren präsente Firmenname H. C. Starck zwar erloschen.

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In den Werken Enag und Rhina aber wird die Laufenburger Industriegeschichte aber unter neuem Namen fortgeschrieben. Höganäs beschäftigt im Werk Enag 260 Mitarbeiter und stellt Keramik- und Metallpulver sowie Lösungen für thermische und andere Verfahren her. Bei Taniobis produzieren 120 Mitarbeiter im Werk Rhina Materialien auf Tantal- und Niob-Basis. Imerys im Werk Rhina hat etwa 150 Mitarbeiter und stellt ebenfalls Industriepulver her.