Frau Kern, was ist unter der IG Zukunft Grießen zu verstehen? Und wer steht dahinter?
IG steht für Interessengemeinschaft Zukunft Grießen und wurde von fünf Frauen, Carmen Schindler, Kirsten Albrecht, Susanne Minzer, Anna Marzian und mir aus der Taufe gehoben.
Wie kam die IG Zukunft Grießen zustande?
In Gesprächen unter uns Frauen wurde die gemeinsame Besorgnis zur Entwicklung von Grießen thematisiert. Die Entwicklung unseres Dorflebens ist uns allen eine Herzensangelegenheit. Hier möchten wir aktiv Verantwortung übernehmen.
Wie sehen sie die derzeitige Situation des Ortsteiles Grießen, was ist dort im Argen?
Im letzten Jahr wurden auffällig viele Geschäfte geschlossen, zum Beispiel die Bäckerei, der Zahnarzt, eine Hausarztpraxis, die Banken und die Apotheke – ohne Tendenz zur Wiedereröffnung Die Dorfbevölkerung macht sich Sorgen um die Grundversorgung und die Lebensqualität in Grießen.
Was haben Sie bisher auf den Weg gebracht?
Als ersten Impuls haben wir im Frühjahr eine Umfrage gestartet, um die Anliegen und Befürchtungen der Menschen abzufragen. Zusätzlich waren wir am Maimarkt in Grießen mit einem Infostand präsent. Die Resonanz war überwältigend, wir kamen mit den Leuten ins Gespräch und gewannen aktive Mitglieder für die IG Zukunft Grießen. Ein erstes großes Treffen aller Interessierten mit Bürgermeister Ozan Topcuogullari und einigen Gemeinderäten hat bereits stattgefunden.
Welche Ziele verfolgen Sie?
Unsere Ziele ergaben sich aus der Umfrage. Folgende Ziele und Schwerpunkte verfolgen wir nun in Arbeitsgruppen: Infrastruktur/Grundversorgung, Treffpunkt Jung&Alt, Ärzteversorgung, Jugendarbeit, Vernetzung/Digitalisierung. Am 19. Januar 2023 findet das zweite große Treffen statt. Interessierte sind herzlich willkommen. Für den 4. März 2023 organisieren wir eine Klettgauer Bürgerversammlung. Schwerpunkt: Austausch zwischen der Gemeindeverwaltung und der Klettgauer Bevölkerung.
Sie arbeiten nun mit dem Verein Kulturraum Klettgau zusammen, der das Ziel verfolgt, eine Genossenschaft zu gründen, um historische und gesellschaftlich relevante Projekte für die Bewohner, die Gemeinde zu erhalten, allen voran den Erzinger Pfarrhof. Jetzt ist überraschenderweise das Gasthaus ‚Linde‘ in Grießen das vorrangige Projekt, das die Klettgauer Genossenschaft erwerben und für das Dorf retten will. Wie kam das? Und warum?
In meiner IG-Arbeitsgruppe ging es um Gebäudeleerstand. Die Frage nach der „Linde“ kam auf und ich habe Kontakt mit der Eigentümerfamilie aufgenommen. Im Gespräch wurde klar, dass die Linde zum Verkauf steht. Durch Zufall führte ich tags drauf ein Gespräch mit Familie Netzhammer, die die Pfarrhofinitiative mitgestaltet. Ich erzählte ihnen von der Linde und wurde prompt zum Info- Abend Genossenschaftsgründung eingeladen. Dort habe ich die IG Zukunft Grießen und das Thema Linde vorgestellt. Ich sah darin eine kleine Chance und bin selbst überrascht wieviel Zustimmung von allen Seiten kommt.
Die Genossenschaft steht kurz vor der Gründung. Die Absichtserklärungen zum Kauf von Anteilen stimmen höchst optimistisch (Stand 16. Dezember 100.000 Euro). Die Linde kostet 250.000 Euro. Wie viel sollte in Summe die Genossenschaft an Anteilen aufbringen, um die Linde zu erwerben?
Es soll eine Planungs-Entwicklungs-Genossenschaft entstehen für ganz Klettgau mit dem Pilotprojekt „Linde“. Uns ist klar, dass der Kaufpreis allein nicht ausreichen wird, denn das Gebäude soll wieder nutzbar gemacht werden. Nichtsdestotrotz ist innerhalb kürzester Zeit ein überzeugender Anfang gelungen. Ein solches Projekt kann nur verwirklicht werden, wenn es gelingt, möglichst viele Menschen hinter der Idee zu versammeln, über alle Generationen und Dorfgrenzen hinweg.
Noch läuft die Abgabe der Absichtserklärungen nur online, wie wollen Sie die Bürger erreichen, die nicht im Internet unterwegs ist?
Es gibt Flyer auf denen alle Fakten nachzulesen sind und auf dem handschriftlich die Absichtserklärung ausgefüllt werden kann. Außer-dem wird am Montag, 9. Januar 2023, in der Gemeindehalle Grießen ein großer Infoabend zum Thema „Klettgau Genossenschaft“ stattfinden. Hierzu sind alle Interessierten herzlichst eingeladen, um sich aus erster Hand einen Eindruck zu verschaffen.
Wenn es mit dem Kauf funktioniert, wie geht es weiter?
Wenn wir es mit vereinten Kräften schaffen, die „Linde“ als Klettgau-Genossenschaft zu erwerben, gewinnen wir wichtige Zeit. Wir haben dann Gelegenheit, ein tragfähiges Konzept zu entwickeln. Mit an Bord ist zu diesem Thema das Architekturbüro Sutter 3, spezialisiert auf die Sanierung und Wiederbelebung von alten Gebäuden. Genossenschaften leben davon, dass sich ihre Mitglieder einbringen. Wenn alle nach Möglichkeit und Fähigkeit einen Anteil beitragen, wird es auch gelingen.
Welche Pläne haben Sie für die Linde? Was soll dort geschaffen werden, was soll in der Linde stattfinden?
Das Konzept zur „Linde“ wird mit Hilfe von Sutter 3 mit den Genossen und der ganzen Bevölkerung entwickelt. Es soll ein Ort der Begegnung entstehen, der zum Beispiel durch ein Tagescafé, einen Mittagstisch, Seminarräume etc. mit Leben gefüllt wird. Eine Einnahmequelle liegt auf der Hand. Die vielen Gästezimmer sind gerade auch für Firmen, die Monteure beschäftigen, interessant.
Das Ortsteildenken ist ein nicht zu unterschätzender Faktor, ein Erzinger will möglicherweise mit seinem Anteil nur den Pfarrhof unterstützen, ein Grießener nur die „Linde“? Wie lösen Sie das?
Mein persönlicher Wunsch ist es, dass es uns gelingt, gerade durch ein solches Projekt, die Dorfgrenzen zu überwinden, über den Tellerrand hinauszuschauen und sich als Klettgauer zu begreifen. Die Klettgau-Genossenschaft soll als Dachgenossenschaft fungieren, mit der Linde als Pilotprojekt. Darüber wird der Erzinger Pfarrhof keineswegs vergessen werden, da dort bereits viel Energie und Herzblut hineingesteckt wurde. Hinzu kommen weitere Themen, wie zum Beispiel regenerative Energien oder ein Bierbrau-Projekt. Wir wollen eine breit aufgestellte Struktur schaffen, von der alle Teilorte profitieren können.
Haben Sie die Kommune kontaktiert, wie sieht die Zusammenarbeit mit ihr aus? Erhalten Sie Unterstützung?
Wir stehen in einem positiven Austausch mit der Gemeindeverwaltung und erfahren, gerade auch bei der Beantragung von Fördermitteln, ihre Unterstützung. Dass wir den Rückhalt der Gemeinde und des Gemeinderates spüren, darüber freuen wir uns sehr.
Ganz zum Schluss eine persönliche Frage: Wie sieht für Sie ein gutes Leben in Ihrem Heimatdorf aus?
Ein gutes Leben in meinem Heimatdorf bedeutet für mich von Familie und Freunden umgeben zu sein. Mit Energie und Zuversicht in die Zukunft zu schauen und fest daran zu glauben, dass Grießen mit seinen Vereinen, seiner Gastronomie, seinen Geschäften und Firmen, seinen Märkten und vor allem seinen Menschen ein attraktiver Teil unseres schönen Klettgaus bleibt.