Tina Prause

Herr Veigel, was bedeutet Kunst für Sie?

„Kunst wäscht den Staub des Alltags von der Seele“, diese Überzeugung Pablo Picassos kann ich nachvollziehen. Ich finde, Kunst feiert in diesem Sinne das Individuelle. Im besten Fall erkennt man am Stil oder der Farbgestaltung schon den Künstler. Und jeder Künstler folgt seinen eigenen Gesetzen. Das begeistert mich immer wieder aufs Neue.

Können Sie kurz zusammenfassen, was für Sie in diesem Zusammenhang die Faszination des Kulturkreis Jestetten ausmacht? Immerhin sind Sie seit der Gründung vor 40 Jahren der Vorsitzende des Vereins.

Für mich ist es eine Freude, Begegnungen zu ermöglichen. Die Vermittlung zwischen den Künstlern und dem Publikum tut beiden Seiten gut. Wenn uns dies gelingt, freut es mich. Kunstschaffende brauchen ein Publikum, das haben auch unsere Besuche in den verschiedenen Ateliers gezeigt. Meine Arbeit für den Kulturkreis Jestetten ermöglicht es mir, hier aktiv zu werden und mich gleichzeitig selbst fortzubilden.

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Erinnern Sie sich noch, wie es zu der Gründung damals kam?

Ausgangspunkt waren die sogenannten Ratsherrenkonzerte. Das erste Konzert fand noch vor der Gründung des Vereins im Alten Schulhaus statt. Die Jestetter Firma Vogel+Scheer baute die Instrumente, sogenannte Kielflügel nach historischen Vorbildern. Damit ergaben sich auch Kontakte zu Musikern, die sich mit alter Musik befassten. Das älteste öffentliche Gebäude in der Kirchstraße, erbaut im Jahr 1544, bot sich mit seinem gotischen Saal für Kammermusik an. Um öffentliche Fördergelder zur Finanzierung der Ratsherrenkonzerte zu bekommen, wurde dann zur Gründung eines Vereins geraten. Es ging unter anderem um die Frage, wie faire Gagen für Konzerte zu bezahlen wären bei nicht kostendeckenden Einnahmen. Denn wir wollten statt Eintritten zunächst nur Kollekten nehmen. Doch schon ein Solo-Musiker war allein von der Kollekte nicht fair zu entlohnen. Deshalb haben wir stets feste Gagen vereinbart und mussten kreativ mit den Defiziten umgehen lernen. Heute sind es circa 190 Mitglieder, die mit ihrem Jahresbeitrag dabei helfen. Dazugekommen sind mit den Jahren auch Sponsoren.

Unsere Mitarbeiterin Tina Prause hat Dietrich Veigel interviewt.
Unsere Mitarbeiterin Tina Prause hat Dietrich Veigel interviewt. | Bild: Tina Prause

Insgesamt 374 Veranstaltungen gab es in den 40 Jahren. Was war hier Ihr persönlicher Höhepunkt, an den Sie sich immer wieder gerne erinnern?

Der Vortrag von Joachim Ernst Behrendt ist hier zu nennen, den er 1994 in Jestetten im Rahmen der Ausstellung „Liebe und Angst“ gehalten hat. Unter dem Titel „Ich höre, also bin ich“ stellte er heraus, dass das Gehör das am frühesten entwickelte Sinnesorgan ist und es uns am Lebensende als letztes Wahrnehmungsorgan dient. Aber auch Einzel- und Gruppenausstellungen von hiesigen Künstlern, wie Grete Sigrist, Margarete Heini-von Elimer, Peter Frisch, Kolibri, Eberhard Rieber und viele andere Events sind unvergessen. Jetzt sind glücklicherweise diese kulturellen Angebote der vergangenen Jahrzehnte dank unseres Jubiläumsbuchs vor dem Vergessen gerettet worden. Interessierte können es übrigens durch die Überweisung einer Spende über unsere Homepage (www.kulturkreis-jestetten.de) beziehen.

Der Kulturkreis Jestetten organisiert Ausstellungen, Konzerte, Lesungen und Vorträge. Er hat Theater und Kabarett sowie Wanderungen angeboten. Wie finden Sie all die Künstler und Fachleute?

Da in Jestetten schon immer etliche Kunstschaffende anzutreffen waren, entwickelten sich aus diesem Personenkreis auch weitere Kontakte. So war es nur in Ausnahmen nötig, über Agenturen Künstler zu engagieren. Auch die Verbindungen unseres stellvertretenden Vorsitzenden Ernst Raffelsberger zur internationalen Musikwelt ermöglichen zudem immer wieder, hervorragende Musiker nach Jestetten zu holen. Zwei Kooperationsverträge mit der Volksbank Jestetten, welche später mit der Volksbank Hochrhein fusionierte, führten einerseits zu Konzerten aus der Boogie-Jazz-Blues-Sparte, andererseits zu den beliebten Preisträgerkonzerten mit der Volksbank-Musikstiftung. Förderpreisträger und Stipendiaten bekommen dabei eine Bühne, um ihre musikalischen Fortschritte zu zeigen. In unserem 40 Jahre-Jubiläumsbuch sind neben allen Aktivitäten des Vereins über 60 Portraits von Kunstschaffenden wie Maler, Bildhauer, Musiker oder Autoren aus Jestetten und Umgebung versammelt.

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Hatten Sie immer genug Hintergrundwissen zu den verschiedenen Themen oder ist auch mal etwas dabei, das totales Neuland ist?

Natürlich kann man sich nicht auf jedem Gebiet auskennen. Doch meine Neugier auf Unbekanntes kam mir stets zu Hilfe. Elementar ist in diesem Zusammenhang, offen zu bleiben für Anregungen und Wünsche unserer Mitglieder. Das bezog sich auf alle Sparten des kulturellen Lebens.

Ist nach all den Jahren noch so etwas wie Nervosität dabei, wenn eine Veranstaltung kurz bevorsteht?

Ja schon. Aber die intensiven Vorbereitungen, wie beispielsweise das Ausarbeiten von Auftrittsverträgen und Mietverträgen, Terminabsprachen, Plakatieren und Bestuhlen, die Dekoration und der Bilderhängung, lassen die Nervosität bald in den Hintergrund treten.

Bis auf das vergangene Jahr fand seit der Gründung 1981 regelmäßig das Kerzenziehen im Advent statt. Ist das Angebot durch Ihre zweite Leidenschaft, die Imkerei, entstanden?

Die erste Begegnung mit diesem faszinierenden Handwerk fand beim Zürcher Kerzenziehen statt. Dort wurde im offenen Zelt und mit echtem Bienenwachs gearbeitet. Erst später folgte meine eigene Bienenhaltung und damit vertiefte sich die Liebe zu diesem wunderbaren Naturprodukt. Viele Jahre fand das Jestetter Kerzenziehen in der Realschule statt, später in der Dorfmitte bei Gabi und Werner Steinbeisser. Die letzten Jahre dann im ehemaligen SBB-Bahnhof, welcher sich heute im Besitz der Gemeinde befindet und kurz vor umfangreichen Umbaumaßnahmen steht. Leider verhinderte aber die Pandemie im vergangenen und in diesem Jahr die Fortführung dieser Tradition. Wir hoffen, im nächsten Jahr wieder starten zu können.

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Vorsitzender des Kulturkreises Jestetten und die Imkerei – das sind beides zwei sehr zeitintensive, aber doch sehr unterschiedliche Hobbys. Ist die Arbeit mit den Bienen eine Art Ausgleich zu der Kultur?

Na ja, auch die Bienenhaltung ist eine Kulturleistung. Wen die Faszination der Bienenwelt einmal erfasst hat, der ist begeistert von den Leistungen und dem Gemeinschaftssinn dieser nützlichen Insekten. Ein pfleglicher Umgang ist bei den Bienen wie bei den Künstlern geboten.

Gibt es neben dem Kulturkreis und der Imkerei noch Zeit für andere Hobbys? Wie verbringen Sie Ihre freie Zeit?

Reisen, Wandern, Schwimmen oder Bootfahren waren mir früher im Berufsleben noch wichtiger als heute im Pensionärsalter. Die Betreuung meiner 25 Bienenvölker erfordert eine nahezu ganzjährige Aufmerksamkeit. Die damit verbundene Beobachtung der Natur und der Jahreszeiten ist aber sehr erfreulich und lehrreich. Ich bin heute mit diesen beiden Hobbys sehr zufrieden und ausgelastet.

Das Programm des Kulturkreises für 2022 steht. Was ist Ihre persönliche Empfehlung, was man auf keinen Fall verpassen sollte?

Angesichts der Pandemie konnten nur vier Veranstaltungen unseres Jubiläumsprogramms 2021 stattfinden. Alles andere soll im kommenden Jahr nachgeholt werden. Ebenso das Gemeindejubiläum zur 1150-jährigen Ersterwähnung von Jestetten und Altenburg findet nun hoffentlich 2022 statt. Der Vortrag über die „Keltische Landschaft in Altenburg und Rheinau“ am 18. März wäre da zu empfehlen sowie das große Konzert mit der Philharmonie Konstanz am 17. Juli mit den Jestetter Solisten Sebastian Raffelsberger (Oboe) und Claudia auf der Maur (Sopran) unter Leitung des stellvertretenden Vorsitzenden des Kulturkreises, Chordirektor Ernst Raffelsberger.

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