Anfang Januar 2023: Ein Fahrzeug war auf der Kreisstraße zwischen Niederwihl und Tiefenstein in der Gemeinde Görwihl unterwegs, als ein rund 15 Tonnen schwerer Fels niederging. Das mitstürzende Geröll breitete sich quer über die Straße bis zur Leitplanke aus. Glück im Unglück: Niemand kam zu Schaden. „Wir sind grad herangefahren, als der Fels herunterkam. Eine Sekunde früher und wir wären dazwischengestanden“, berichtete der Fahrer. Die Straße war nach ein paar Tagen wieder befahrbar.
Wie kam es zu dem Felssturz?
Zu möglichen Anhaltspunkten, wieso der Fels sich gelöst hat, erklärte Tobias Herrmann, Pressesprecher Landratsamt Waldshut: „Der Felsabgang hat sich vermutlich infolge von Frost- und Tauwechsel sowie Regen und Wurzeln ereignet.“ Auch andernorts in den Landkreisen Waldshut und Lörrach kommt es immer wieder zu Felsabgängen und Steinschlag.
Allerdings können diese längeren Straßensperrungen verursachen, weil es mit der Beseitigung der Steinmaßen nicht getan ist. So werden mit hohem finanziellen Aufwand Schutzmaßnahmen wie Steinschlagschutzzäune oder Anker in Felsen angebracht.
Straßen werden gesperrt
Aktuelles Beispiel: Nach Felsstürzen Ende April 2023 wurde die Landesstraße L 157 im Schlüchttal zwischen Witznau und Riedersteg (Ühlingen-Birkendorf) gesperrt. Die Ingenieurgeologen des Regierungspräsidiums Freiburg stellten bei der Untersuchung des Geländes fest, dass sich neben der Ausbruchstelle eine weitere, bis zehn Kubikmeter große, instabile Felspartie und mehrere vorbewegte Blöcke befinden.

Deshalb muss ein rund 140 Meter langer und vier Meter hoher Schutzzaun in einer Entfernung von etwa sechs Meter zur Fahrbahn aufgestellt werden. Die Sperrung soll im Oktober aufgehoben werden.
Auf der Westseite des Landkreises Waldshut soll ab Mitte Oktober die Landesstraße 148 durch das Wehratal zwischen Wehr und Todtmoos für rund zehn Wochen voll gesperrt werden. Grund: Holzerntemaßnahmen zur Verkehrssicherung inklusive Felsberäumung.
Immer mehr Felsstürze
Das Landesamt für Geologie, Bergbau und Rohstoffe (LGRB) Freiburg hat seit März 2019 rund 20 Stein- und Felsstürze in den Landkreisen Lörrach und Waldshut aufgelistet. Dominik Ehret, Leiter des Referats für Landesingenieurgeologie im LGRB, weist darauf hin, dass keine Meldepflicht im Fall von Steinschlag-, Blockschlag oder Felssturzereignisse besteht. „Dem LGRB sind nur die Sturzereignisse bekannt, die ihm gemeldet werden“, sagt er.
Dennoch: In den Landkreisen Lörrach und Waldshut kam es in den vergangenen Jahren zu einer Häufung solcher Ereignisse. Betroffen waren insbesondere das Schlüchttal, das Wehratal, das Wiesental und das Kleine Wiesental. Ob ein Zusammenhang zwischen den Sturzereignissen und dem Klimawandel besteht, könne nicht beantwortet werden, so Ehret, da der Beobachtungszeitraum zu kurz sei.
Klar ist hingegen: Die Gesteine des im Südschwarzwald vorherrschenden kristallinen Grundgebirges – Granite, Gneise – haben eine hohe Festigkeit und sind sehr stabil. „Daher ist die Bildung steiler Felswände, wie im Alb-, Schlücht- und Wehratal, möglich. Aufgrund natürlicher Verwitterungsprozesse stellen Sturzprozesse hier eine typische und ortsübliche Gefahr dar“, erklärt Dominik Ehret.
Bedeutet: „Alle Verkehrswege, die an Felskulissen vorbeiführen, sind daher grundsätzlich prädestiniert für Steinschlag- bis Felssturzereignisse.“ Ehret weiter: „Die innere Ursache hierzu liegt in der Tatsache, dass Felsgestein in aller Regel nicht monolithisch ausgebildet vorliegt. Meist ist das Felsgestein durchzogen von Klüften und Spalten, die wiederum die Hauptangriffswege für physikalische Verwitterungsprozesse darstellen – thermisch induzierte mechanische Spannungen, Kluftwasser- oder Eisdruck, Wurzeldruck.“
Diese Verwitterungsprozesse führten demnach zu einer fortschreitenden Auflockerung des Felsgefüges und stellen ein Naturereignis dar, welches man zwar technisch in gewissem Umfang steuern und in seinen Auswirkungen abmildern, aber letztlich nicht verhindern könne. „Nach fortschreitender Gefügeauflockerung genügt dann oft ein äußerer Anlass, um ein Absturzereignis auszulösen.“
Welche Rolle spielt Wasser
Wasser spielt als Auslöser von Sturzprozessen eine große Rolle. Dominik Ehret: „Starkniederschläge und Schneeschmelze begünstigen einen Anstieg des Kluftwasserdrucks, in Klüften gefrierendes Wasser führt zu Frostsprengungen. Taut das Eis wieder auf, das sich in den Klüften und Rissen des Gesteins gebildet hat, fehlt der „Klebstoff“ zwischen den Kluftkörpern und die Gebirgsfestigkeit verringert sich.“
Aber auch Wind und Sturm, zum Beispiel über die Hebelwirkung von Bäumen, die in Klüften wurzeln, Erschütterungen von Erdbeben oder Sprengungen, Wildtritt oder übermäßige Temperaturschwankungen können Sturzprozesse auslösen.
Sind Felsstürze oder Steinschlag vorhersehbar?
Dominik Ehrets Antwort: „Intensität und konkreter Eintrittszeitpunkt von Sturzprozessen sind in der Regel nur eingeschränkt vorhersehbar. Auf Basis örtlicher Befunde sowie gegebenenfalls auch von Messergebnissen kann jedoch eine Einschätzung vorgenommen werden, wie labil ein Felskörper gelagert ist. Daraus lässt sich die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Sturzprozesses grob abschätzen.“
Dem LGRB gemeldete Stein- und Felsstürze seit 2019:
- 7. März 2019: Gisibodenstraße in Todtnau-Geschwend
- 3. Mai 2020: L149 zwischen Todtnau-Präg und Wacht
- 15. Dezember 2020: Freiburger Straße in Todtnau;
- Februar 2021: L139 bei Wieslet
- 7. Mai 2021: B317 zwischen Fröhnd und Zell i. W.
- 8. Oktober 2021: Fuchswaldstraße Schönau i. Schwarzwald
- 21. Oktober 2021: B317 bei Utzenfeld
- 1. November 2021: B317 im Wühreloch zwischen Fröhnd und Zell i. W.
- 17. Dezember 2021: L148 zwischen Wehratalsperre und Todtmoos-Au
- 27. März 2022: B317 zwischen Todtnau-Fahl und Feldberg-Ort
- 17.August 2022: L146 zwischen Happach und Todtnau-Weg
- 17. Oktober 2022: L131 zwischen Wembach und Böllen
- 19. Oktober 2022: B317 zwischen Hausen i. W. und Zell i. W.
- 20.Mai 2020: L152 zwischen Bad Säckingen und Rippolingen;
- 25. Oktober 2020: L157 zwischen Gutenburg und Witznauer Mühle
- 16. Oktober 2020: L157 zwischen Witznauer Mühle und Abzweig Riedersteg
- 27. Februar 2021: L157 zwischen Witznauer Mühle und Abzweig Riedersteg
- 23. September 2022: L148 zwischen Wehratalsperre und Todtmoos-Au
- 26. Oktober 2022, April 2023: L157 zwischen Witznauer Mühle und Abzweig Riedersteg, Schlüchttal
Gibt es Jahreszeiten, in denen solche Ereignisse eher vorkommen?
„Während im Sommer Sturzprozesse häufig durch Starkregenereignisse ausgelöst werden, ist in den Übergangsjahreszeiten Frühjahr und Herbst vor allem der Frost-Tau-Wechsel und im Frühjahr die Schneeschmelze Ursache von Sturzprozessen“, so Dominik Ehret.