Das Gespräch mit Tanja, die ihren Nachnamen nicht nennen und ihr Gesicht nicht zeigen möchte, findet Anfang Juni 2020 in Waldshut statt. Hier ist die mittlerweile 45-Jährige aufgewachsen. Sie spricht über ihre Vergangenheit, ihre Sucht, den schwierigen Weg in ein Leben ohne Drogen und darüber, wie sie das Erlebte verarbeitet und neue Hoffnung findet.
Schon mit 16 hing sie an der Nadel
Sie hatte eine schwere Kindheit, in einem spannungsgeladenen Elternhaus mit vier Geschwistern. „Ohne Geborgenheit“, sagt Tanja aus Waldshut. Mit 16 wurde sie schwanger, der Vater des Kindes war 15. Ihr Blick in die Zukunft war ohne Perspektiven. Die Lehre zur Metzgereifachverkäuferin, die sie ohnehin nur auf Wunsch ihres Vaters gemacht habe, brach sie ab. Kurz nach der Geburt ihres Sohnes begann sie mit dem Konsum von Drogen. Der große Bruder brachte sie in die Drogenszene.
„Erst konsumierten wir LSD, dann Kokain und dann Heroin – dann war ich schwerstabhängig.“Tanja
Ihre Jugend verbrachte sie auf dem Platzspitz in Zürich, dem Treffpunkt der offenen Drogenszene. Dort schlug sie sich durch. „Der ganze Tag drehte sich nur darum, den Stoff zu bekommen“, so Tanja. „Ich rutschte immer mehr rein bis ich an der Nadel hing – mit 16“. Sechs Jahre ging das so. Dann griff sie zum Drogenersatzmittel Methadon, weil sie von Heroin weg wollte, wie sie sagt. Und dann wieder zu Heroin, weil sie von Methadon weg wollte. Ein Teufelskreis.
Die Kinder kamen in Pflegefamilien
Mit 19 wurde sie erneut schwanger. Das Jugendamt nahm ihr die beiden Kinder weg. „‘Ihre Kinder sehen Sie nicht mehr‘“, hätten die Mitarbeiter des Jugendamts damals zu ihr gesagt. Tanjas Kinder wurden in Pflegefamilien untergebracht.
„Das war für mich das Schlimmste.“Tanja
Mit 22 lernte sie dann einen Schweizer kennen und lieben. Er gab ihr Halt, sodass sie nach acht Monaten Therapie von Waldshut nach Freiburg zog und später dann zu ihrem Partner in die Schweiz. Ihr drittes Kind kam auf die Welt. Sie erfuhr dann, erstmals „ein stabiles Familienleben“, wie sie sagt. Zehn Jahre lang. Clean.
Der Rückfall
Doch dann kam die Trennung. Ein Rückschlag. Tanja lernte einen drogenabhängigen Menschen kennen, verliebte sich in ihn.
„Und zack war auch ich wieder abhängig.“Tanja
Zwölf Jahre war sie gemeinsam mit ihm „in der Drogensucht gefangen.“
Er selbst sei wie besessen von den harten Drogen gewesen, doch sie konnte und wollte das nicht mehr. Vor zwei Jahren trennte sie sich dann von ihm. Denn sie wollte endlich einen Neuanfang. Ihr Ziel war, endgültig von den Drogen wegzukommen.
Die Angst wird weniger, der Suchtdruck bleibt
Seit zwei Jahren wechselt Tanja zwischen Alkohol und Haschisch, aber von den harten Drogen sei sie weg. Sie gilt als polytoxikomane Abhängige, das sind Menschen, die von mehreren Suchtmitteln abhängig sind.
„Ich muss eine Sucht nach der anderen bewältigen, dass ich irgendwann mal ein cleanes Leben führen kann.“Tanja
Aktuell wohnt sie in der Schweiz in der Nähe der Grenze zu Waldshut, macht eine ambulante Therapie.
Die Drogen haben sie zu einem anderen Menschen gemacht, sagt Tanja. Sie lösten Paranoia, also Angstzustände vor Menschen, aus. „Ich wurde wertlos behandelt, weil ich ein Suchtproblem hatte“, erzählt Tanja. „Dadurch entwickelte ich eine Abneigung gegenüber anderen Menschen.“ Jahrelang war sie Einzelgängerin. Doch die Therapie hilft ihr dabei, diese Angstzustände und Abneigungen zu überwinden. Sie könne nun wieder viel besser auf Menschen zugehen.
„Ich muss mich ständig kontrollieren mit meinem Konsum, immer hart zu mir selbst sein.“Tanja
Jeden Tag entscheide sie neu, ob sie Drogen zu sich nimmt. Doch der Suchtdruck komme noch regelmäßig. „Das ist das Gefühl, dass ich etwas brauche, sonst drehe ich fast durch“, erklärt sie.
Ihr ganzes Leben in einem Bild
Tanja ist kreativ, sie malt und töpfert im eigenen Atelier. Und über eineinhalb Jahre lang malte sie an einem ganz besonderen Werk: Ein Bild, das ihr ganzes Leben beschreibt. Sie nennt es „Crazy Age – das Gefühlschaos“. „Age“ steht dabei für Stoff.
Die Gefühle Trauer und Wut sowie Enttäuschungen sind darin wiedergegeben. Auch ein Lügenbaron mit Pinocchio-Nase findet sich in dem Bild. Er symbolisiere die Sucht, aufgrund derer man sehr viel lüge, nur um an Drogen zu kommen. Das Gesicht stehe für das Leben – mit einer lachenden und einer weinenden Seite. Die Rose sei Sinnbild für das ewige Leben. Drei Mal musste Tanja in ihrem Leben bereits reanimiert werden: Diese Nahtoderfahrungen drückt sie durch helles Gelb aus.
Drogenberatungsstellen
Von ihrem Bild hat sie schon zwei Drucke verkauft für mehrere Hundert Euro. Mit diesem und weiteren ihrer Kunstwerke möchte sie am liebsten im nächsten Jahr eine Ausstellung machen.
Ein Buch mit Happy End
Aktuell lässt Tanja das Manuskript für ihre Biografie schreiben und dann möchte sie es bei Verlagen einreichen und veröffentlichen. Ihr Traum: In zwei Jahren ihr eigenes Buch in den Händen zu halten. Es erzählt ihren ganzen Leidensweg. Aber: Es soll ein Happy End haben.
Blick in die Zukunft
Zu ihren drei Kindern habe Tanja mittlerweile wieder Kontakt und ein gutes Verhältnis. Zwei seien selbst als Jugendliche von ihren Pflegefamilien abgehauen und hätten den Kontakt zu ihrer Mutter gesucht. Der Jüngste lebe noch bei seinem Vater. Alle drei seien aber auf dem besten Weg, wie ihr Mutter sagt. Auch bei Tanja selbst gehe es aufwärts.
„Mein Leben hat eine tolle Wendung gefunden, es läuft alles in eine positive Richtung.“Tanja
Seit zwei Jahren lebe sie wieder sehr bewusst und gehe ganz anders durchs Leben. Und sie arbeitet mittlerweile in einer Behindertenwerkstatt: „Ich bin stolz darauf, dass ich heute noch da stehe und positiv in die Zukunft schauen kann.“