Herr Tolksdorf, für wen genau ist das ENT da und was genau verstehen Sie unter belastenden Einsätzen?
Das Einsatznachsorgeteam ist im Landkreis Waldshut für Einsatzkräfte von Hilfsorganisationen wie Feuerwehr, DRK, THW, DLRG, Bergwacht und dem hauptamtlichen Rettungsdienst da, wenn diese einen Einsatz erlebt haben, den sie unzureichend verarbeiten können, weil die eigenen Bewältigungsstrategien nicht ausreichen.
Zum Beispiel wenn Hilfe nicht oder nicht mehr möglich war, es schwer Verletzte oder Tote gegeben hat. Nach schweren Einsätzen können belastende körperliche und psychische Reaktionen die Folge sein. Man bekommt zum Beispiel bestimmte Bilder und Gedanken nicht mehr aus dem Kopf, kann nachts nicht mehr schlafen, hat Angst oder Schuldgefühle. Das sind ganz normale Reaktionen auf ein belastendes Ereignis, die fast immer nach denselben Mechanismen ablaufen.
Was hilft in diesen Situationen?
Darüber zu reden hilft fast immer. Das kann mit Familienmitgliedern, Freunden, Kollegen oder eben mit jemandem aus unserem Team sein, mit dem jede Einsatzkraft über die Leitstelle Kontakt aufnehmen kann. Es dringt dabei nichts nach außen, absolute Verschwiegenheit ist die Basis unseres Angebots.
Gut tut es auch, wenn man sich nach einem schweren, belastenden Einsatz ablenkt und sich mit etwas beschäftigt, was man sehr gern tut, zum Beispiel Sport machen oder in die Sauna gehen. Meistens klingen belastende Reaktionen nach ein paar Tagen ab.

Wenn sie über einen längeren Zeitraum fortbestehen, helfen wir auch bei der Vermittlung an entsprechende Fachstellen. In den sechs Jahren, die es das Einsatznachsorgeteam gibt, war eine solche Vermittlung aber nur einmal nötig.
Ist es für Einsatzkräfte, die es vielfach als Berufung ansehen, zu helfen, nicht schwierig, sich einzugestehen, dass sie selbst Hilfe brauchen und sich diese dann auch zu holen?
Da hat sich schon viel getan in der Gesellschaft. Es ist nach meiner Erfahrung kein Tabuthema mehr. Auch nicht für Männer. Das hängt auch damit zusammen, dass wir Präventivschulungen für alle machen, die in eine Hilfsorganisation eintreten.
Dabei sensibilisieren wir für das Thema, sagen, dass man auf sich und andere achten muss und es kein Problem ist, sondern von Verantwortungsbewusstsein zeugt, wenn man sich Hilfe holt. Es ist auch gar nicht möglich, belastende Reaktionen auf Dauer zu verstecken, irgendwann holen sie einem ein.
Wer ist Ihrer Erfahrung nach besonders gefährdet für belastende Reaktionen nach schweren Einsätzen?
Das sind schon eher junge Menschen, die noch nicht viel Lebens- und Einsatzerfahrung haben. Wer beispielsweise schon Jahrzehnte bei der Feuerwehr ist, hat schon viel gesehen und kann in der Regel damit umgehen, aber wer als junger, unerfahrener Mensch bei einem Einsatz seinen ersten Toten sieht, für den ist das etwas ganz anderes.
Grundsätzlich muss jeder, der in einer Hilfsorganisation tätig ist, damit rechnen, schlimme Dinge zu erleben. Auch ich bin nicht davor gefeit, aber ich bin im Vorteil. Ich bin Teil des Teams, habe eine Frau, die dort auch Mitglied ist und ich bin geschult und weiß, was man machen kann, um solche besonderen Belastungen wieder loszuwerden.
Wie viele Einsatzkräfte im Landkreis Waldshut wenden sich im Schnitt im Jahr an das Einsatznachsorgeteam?
Wir haben so sechs bis zehn Anfragen im Jahr. Sie kommen aus allen Organisationen, etwas mehr kommen aus der Feuerwehr, einfach weil sie sehr viele Mitglieder hat. Aktuell haben wir zwei Einsätze parallel, um die sich das Team kümmert.
Fast immer melden sich die Einsatzkräfte selber, in wenigen Fällen sind es Führungskräfte, noch seltener Angehörige, die sehen, dass die betreffende Person Hilfe braucht.
Wie setzt sich eigentlich das Einsatznachsorgeteam zusammen?
Wir sind aktuell zwölf Frauen und Männer. Wir sind ganz normale Einsatzkräfte aus verschiedenen Organisationen mit einer speziellen Schulung oder vom Beruf her psychologische Fachkräfte wie Ärzte, Pädagogen. Grundsätzlich legen wir viel Wert auf das, was wir Stallgeruch nennen.
Wenn beispielsweise jemand nach einem Feuerwehreinsatz ein Problem hat, ergibt es Sinn, dass er oder sie mit jemanden vom ENT spricht, der auch in der Feuerwehr ist. Das schafft Vertrauen und es muss viel weniger erklärt werden.
Trifft sich das ENT auch intern?
Ja, wir haben im Jahresverlauf unterschiedliche Termine, meistens einer im Quartal, in denen wir uns selber fortbilden, beispielsweise Gesprächstechniken vertiefen und über erfolgte Einsätze sprechen.
Manchmal müssen auch wir Dinge loswerden. Einmal im Jahr trifft sich das Team zusätzlich an einem ganzen Wochenende. Zum einen für intensivere Ausbildung, zum anderen auch für die Kameradschaftspflege intern.
Wie haben Sie ins ENT gefunden?
Als ich 1994 im Rettungsdienst anfing, hat ein evangelischer Pfarrer uns angeboten, dass wir ihn nach schweren Einsätzen Tag und Nacht anrufen können, das habe ich ganz toll gefunden. Bei meinem ersten Einsatz in Aachen mit Toten und Schwerstverletzten habe ich selbst erfahren, was es bedeutet, belastende Einsätze zu erleben.
Es reicht einfach nicht zu sagen, damit musst du allein klar kommen. Ich bin auch beim THW ehrenamtlich im Einsatz und als ein dortiger Kollege mich gefragt hat, ob ich Interesse hätte, beim Aufbau eines Einsatznachsorgeteams mitzumachen, habe ich sofort ja gesagt.
Es ist das Einsatznachsorgeteam des Landkreises Waldshut – wie genau ist der Landkreis involviert?
Auf Initiative des Kreisfeuerwehrverbands und des Landratsamtes wurde 2016 das Team gegründet. Jede Landkreis-Gemeinde zahlt dafür jährlich einen Betrag an den Landkreis, damit wird alles rund ums Einsatznachsorgeteam, von der Ausbildung über Flyer bis zu sonstigen Beschaffungen, finanziert. Das funktioniert gut und ist zum Vorteil aller.
Diese Art der Organisation ist schon etwas Besonderes, hier hat der Landkreis Waldshut eine Vorreiterposition. Mir ist bundesweit kein weiteres Team bekannt, das dem Landratsamt zugeteilt wurde und somit organisationsübergreifend tätig ist.
Suchen Sie noch Einsatzkräfte für das Team oder haben Sie genug Mitglieder?
Wir freuen uns immer über Zuwachs. Der- oder diejenige muss über 18 Jahre alt sein und über die Grundausbildung hinaus, die Einsatzbefähigung haben. Neue müssen auch menschlich ins Team passen. Hilfsorganisationen können sich einfach bei uns melden und einen Termin vereinbaren, dann kommen wir gerne vorbei und machen eine Präventivschulung.
Wir stellen dann unsere Arbeit vor und sprechen über Dinge wie woran erkenne ich eine Belastung nach schweren Einsätzen, was kann und sollte ich dann tun. Die Kontaktdaten findet man auf unserer Internetseite.
Wie würden Sie das Einsatznachsorgeteam für Einsatzkräfte in den Komplex Ehrenamt einordnen?
Ehrenamtliche im Rettungswesen sind aus Überzeugung tätig. Sie machen neben ihrem 40-Stunden-Job etwas für die Allgemeinheit. Man macht es zwar auch für sich selber, weil es gut tut, helfen zu können, aber ohne ehrenamtliches Engagement würden das Rettungswesen und die Gesellschaft zusammenbrechen.
Die Tätigkeit des ENT ist ein Baustein, um Ehrenamtliche im Rettungswesen zu unterstützen und zu halten. Grundsätzlich muss in allen Bereichen alles getan werden, um Ehrenamtliche zu motivieren.