Nico Richter

Der Oktober war für mich der zweite Monat in Israel. So langsam konnte ich mich gut in das Leben im Kibbuz einfinden und die etwas ruhigere Lebensart genießen. Jedoch gibt es – wie es eigentlich normal ist in einer neuen Umgebung, Dinge, welche nicht ganz meinen anfänglichen Erwartungen entsprechen.

Ich habe meinen Freiwilligendienst auch wegen des Themas Ökologie und Umweltschutz gewählt, da sich Lotan viel mit den Themen Ökologie und Umweltschutz auseinandersetzt und ein Vorreiter sein möchte.

Allerdings ist die Problematik der Klimakrise und das Thema des Umweltschutzes in Israel noch lange nicht so verbreitet wie in Deutschland. Zwar nimmt Lotan eine Rolle als gutes Beispiel ein, alle Essensreste werden kompostiert und der Müll wird getrennt, jedoch entsprechen einige Lebensgewohnheiten im Kibbuz nicht wirklich dem ökologischen Ideal.

Nico Richter aus Murg absolviert derzeit einen Freiwilligendienst in Israel.
Nico Richter aus Murg absolviert derzeit einen Freiwilligendienst in Israel. | Bild: Nico Richter

Fast jeder ist mit dem Auto unterwegs, der Motor bleibt oft über Minuten an, obwohl niemand im Auto sitzt, Klimaanlagen laufen Tag und Nacht, auch wenn Fenster teils offen sind. Viele vermeidbare Angewohnheiten, welche eigentlich nur aus Bequemlichkeit existieren.

Hier in der Wüste, auch abseits der Städte finden sich an vielen Orten
weggeworfene Plastiktüten, Zigarettenschachteln und Einwegflaschen. Allerdings sind viele Leute bereit, ihre Lebensweisen zu hinterfragen und zu ändern. Lotan bietet ökologische Workshops an, sodass auch außerhalb des Kibbuz viele Menschen zu einem ökologischen Lebensstil angeregt werden.

Abgeschieden am Rand der Wüste liegt das Kibbutz Lotan wo Nico Richter seinen Freiwilligendienst verrichtet.
Abgeschieden am Rand der Wüste liegt das Kibbutz Lotan wo Nico Richter seinen Freiwilligendienst verrichtet. | Bild: Nico Richter

Man versucht außerdem, an vielen Ecken neue Wege zu gehen und eine Veränderung zu bewirken: Statt riesiger Dattelplantagen baut man zunehmend Solarfelder und man kehrt zum Gedanken der Selbstversorgung durch eigenen Anbau in einer kleineren Gemeinde zurück und versucht diesen Gedanken in eine moderne, diverse und vernetzte Gesellschaft zu integrieren. Diese Projekte sind auf jeden Fall Schritte in die richtige Richtung.

Reise nach Jerusalem

Seit meiner Kindheit sehr beliebt und gerne gespielt: Reise nach Jerusalem – Nun konnten wir endlich selbst nach Jerusalem reisen und andere deutsche Freiwillige besuchen. Unsere Reise führte uns, vorbei am Toten Meer, durch das Westjordanland. Dieses Gebiet ist völkerrechtlich von keiner Nation beansprucht, jedoch hat Israel hier einige militär-strategische Positionen und Siedlungen.

Außerdem sind einige Straßen nur für Israelische Fahrzeuge zugänglich, während andere für diese gesperrt sind. Das schränkt besonders die Mobilität vieler Einwohner ein, da als Alternative oft nur der Fußweg bleibt, welcher natürlich deutlich langsamer ist. So können einige Dörfer für bestimmte Gruppen nur sehr schwer erreicht werden und es herrscht eine Unterscheidung von nicht-Israelischen und Israelischen Bürgern.

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Nicht nur die Mobilität ist dabei eingeschränkt. Erst vor Kurzem hatte Israel den Bau von etwa 1300 Siedlungswohnungen im Westjordanland genehmigt, was nicht nur die Stabilität der eigenen Regierung aus linken, wie rechten und arabischen Parteien gefährdet, sondern auch Konflikte mit sich ziehen könnte. Leider ist auch kein Kurswechsel der Regierung zu erwarten, da der aktuelle Ministerpräsident Israels ein Gegner der Zweistaatenlösung ist.

In einigen Vierteln Jerusalems finden sich die Einflüsse verschiedenster Kulturen vor.
In einigen Vierteln Jerusalems finden sich die Einflüsse verschiedenster Kulturen vor. | Bild: Nico Richter

Jerusalem ist nicht nur das Zentrum vieler Kulturen, sondern spielt auch eine große Rolle im Nahostkonflikt. In einigen Vierteln Jerusalems finden sich die Einflüsse verschiedenster Kulturen vor. Während die östlichen Viertel der Stadt eher muslimisch geprägt sind, ist der Westen der Stadt eher jüdisch geprägt. Durch die unmittelbare Nachbarschaft von so vielen Kulturen können auch leider schnell Konflikte entstehen, wie sie leider erst im Mai wieder entstanden sind.

Soldaten überwachen den Platz

So war auch die Stimmung am “Damascus Gate“ im Osten der Altstadt Abends ein wenig angespannt und an den Eckpunkten der Treppen überwachten Soldaten den ganzen Platz. Tatsächlich sind zwei Tage später 17 Menschen bei Auseinandersetzungen durch Israelische Polizeikräfte festgenommen worden, nachdem die Lage eskaliert sei.

Zudem gibt es einen Konflikt innerhalb der jüdischen Kultur Israels, da einige Ultraorthodoxe keine Arbeit finden und auch auf Staatskosten leben, was viele Menschen in Israel als Last ansehen, da Sie somit mitfinanziert werden „müssen““ obwohl Diese aus der Sicht der Nichtjuden und Säkularen nicht zur Wirtschaftsleistung des Landes beitragen.

Die Ultraorthodoxen Kinder können in sogenannten “Jeschiwot“ (religiöse Tora-Schulen) eingeschrieben sein, weshalb Sie nicht ins Militär eingezogen werden, was in Israel für fast alle Bürger mit der Volljährigkeit verpflichtend ist. Durch die lange Einschreibung wird die Suche nach einem Job erschwert und viele Menschen bleiben arbeitslos nach dieser Zeit.

Grober Einblick in den Konflikt

Diesen Konflikt kann ich in diesem Text nur verkürzt darstellen und habe lediglich eine grobe Sicht über den ganzen Sachverhalt, weshalb man für detaillierte Informationen besser die Fachliteratur lesen sollte.

Dabei ist es genau die Diversität der Stadt, welche Sie so besonders macht: Zwischen den vielen arabischen Märkten in der Altstadt entdeckten wir plötzlich das österreichische Hospiz, welches eigentlich gar keines mehr ist, sondern ein Hostel, in dem wir mit
österreichischem Akzent begrüßt wurden und einen tollen Blick über die Altstadt Jerusalems genießen konnten.

Auch der „Shuk“ ist ein tolles Beispiel für die verschiedenen Seiten der Stadt; Hunderte Händler in überdachten Gängen, länger als man schauen kann und eine große Auswahl, arabischer, jüdischer und vieler anderen Speisen. Donnerstagabends kann man hier außerdem toll ausgehen, wobei wir an so viele Menschen und Musik durch unser Leben in der Wüste überhaupt nicht mehr gewohnt waren.

Süße Köstlichkeiten gibt es ebenfalls auf dem Shuk.
Süße Köstlichkeiten gibt es ebenfalls auf dem Shuk. | Bild: Nico Richter

Freitags vor Shabbat fahren in Jerusalem ab 16 Uhr keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr, aus Achtung der orthodoxen und ultraorthodoxen Juden Jerusalems, welche zusammen mehr als die Hälfte der Juden in der Stadt bilden. Diese Einschränkung der Mobilität betrifft somit auch säkulare Juden und Nichtjuden. Jedoch haben sich auch einige Dinge mit der Zeit geändert. Man kann auch am Shabbat in Jerusalem einige Bars und Nachtclubs finden, in welchen man ausgehen kann, auch wenn der Rest der Stadt so ungewohnt leise ist.

Bild 5: Leben und Arbeiten im Heiligen Land: In Jerusalem lernt Nico Richter aus Murg die Besonderheiten der Stadt kennen
Bild: Nico Richter

Die vielen unterschiedlichen Ansichtsweisen sind leider ein potenzieller Ausgangspunkt für neue Konflikte in fast jeder Situation, andererseits ist durch die vielen kulturellen Einflüsse fast jede Ecke in Jerusalem einzigartig, wodurch die Stadt an Leben gewinnt, was mir ganz besonders gefallen hat.

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