Zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein: Dieses Gefühl kennt Carolina Celentano zu gut. Besonders einer Person hat sie viel zu verdanken: Hildegard Burkhart. Die Tochter einer italienischen Gastarbeiterfamilie über Italiener und seine Einwohner, die traditionelle Tracht und einen großen Wunsch für ihre Stadt Pfullendorf.

Erste Gastarbeiterfamilie in Pfullendorf

Es klingt wie eine ganz normale Migrationsgeschichte: Im Januar 1962 wird Carolina Celentano als Tochter der allerersten italienischen Gastarbeiterfamilie in Pfullendorf geboren. Wo sonst nur Männer waren, die bei der Firma Roßknecht und beim Kasernenbau beschäftigt waren, wuchs Celentano mit ihrer großen Schwester im Linzgau auf.

„Meine Schwester musste Babysitten und konnte deshalb nicht in die Schule. Meine Eltern waren ja den ganzen Tag schichten“, erinnert sie sich. „Ich hatte unfassbares Glück, Frau Burkhart kennengelernt zu haben.“ Hildegard Burkhart, eine alleinstehende Witwe, fand Gefallen an der quirligen Kleinen, die die örtliche Grund- und Hauptschule Sechslindensteige besuchte.

Besonders wichtig sind Carolina Celentano ältere Menschen.
Besonders wichtig sind Carolina Celentano ältere Menschen. | Bild: Carolina Celentano

Deshalb verbrachte Carolina die meiste Zeit ihrer Kindheit bei Frau Burkhart. „Sie war eine amtliche Freiwillige, die sich in der Kirche und im Pfarrheim um ältere Menschen gekümmert hat.“ So wuchs sie mit den deutschen Gepflogenheiten quasi als Deutsche auf. „Sie brachte mir sogar bei, wie man mit Messer und Gabel isst. Meine Eltern hatten dafür ja keine Zeit“, erinnert sich Celentano.

Erst Kreissiegerin, dann der Abschied

Durch die Hilfe von Burkhart erreichte sie in der Schule beste Erfolge, wurde etwa im Lesewettbewerb Kreissiegerin. Dann aber der Schock: Als Celentano 14 Jahre alt war, bestanden ihre Eltern darauf, mit ihren Töchtern zurück nach Italien zu gehen. „Das war ein Schock. Ich war durch Frau Burkhart reich geworden – innen wie außen“, sagt die heute 63-Jährige. Ihr Vater sei deshalb auch ein wenig eifersüchtig gewesen.

Also zog es die Familie nach Caserta in der italienischen Region Kampanien. Dort musste Celentano erst einmal richtig Italienisch lernen. „Ich hatte Pfullendorf nicht vergessen. Die Stadt lag mir im Blut“, schwärmt sie. „Ich bin Italienerin, aber das Herz und die Seele sind deutsch. So habe ich auch meine Kinder später aufgezogen.“

Am Ende weinte selbst die Lehrerin

Ihr erster Aufsatz in Italien ist ihr noch gut in Erinnerung geblieben. Der Titel: „Wie fühlst du dich in Italien und welche Unterschiede gibt es zu Deutschland?“ Damals habe Celentano einen Haufen Fehler gemacht. Am Ende weinten ihre Lehrerin und die Kommission, die ihr die Einschulung bescheinigen sollte. „Du bist keine Italienerin, du bist Deutsche“, hätten sie gesagt, erinnert sie sich.

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Celentano bestand trotz allem das Abitur und bildete sich weiter als Grundschullehrerin aus. Danach besuchte sie die Universität im nur 30 Kilometer entfernten Neapel. Die Fächer: Deutsch, Englisch und Russisch. 1985 heiratete Carolina Celentano und die Familie bekam drei Söhne. Beruflich veränderte sie sich und arbeitete als Köchin, Alterspflegerin sowie als amtlich bestellte Dolmetscherin.

„Ich möchte in Pfullendorf sterben“

Ihre Liebe und ihre Sehnsucht nach Deutschland blieben: „Ich habe immer gesagt, dass ich eines Tages zurück in meine Heimat will.“ Inzwischen sind alle Söhne verheiratet und haben eigene Familien, die Eltern sind verstorben. Von ihrem Ehemann hat sich Celentano geschieden. Der perfekte Moment also, um sich endlich auf ihre eigenen Interessen konzentrieren und nach Pfullendorf zurückkehren zu können.

Carolina Celentano in voller Pfullendorfer Montur: Das hat sie sich von Kindestagen an gewünscht.
Carolina Celentano in voller Pfullendorfer Montur: Das hat sie sich von Kindestagen an gewünscht. | Bild: Carolina Celentano

„Ich habe gespürt, ich muss etwas tun. Ich möchte in Pfullendorf sterben“, so Celentano. Nun, da sie seit April zurück in ihrer Wahlheimat ist, war die Mitgliedschaft im Trachtenverein Pfullendorf die erste Amtshandlung. Schon als Kind schwärmte die Tochter italienischer Eltern von der heimischen Tracht: „So ein Kostüm möchte ich unbedingt auch einmal tragen“, lautete ihr Wunsch, als sie mit Burkhart auf Umzügen die Trachten aus dem Biedermeier erblickte.

Die Enttäuschung im Trachtenverein war groß

Eine Enttäuschung hat sie jedoch direkt erlebt: „Es ist schade, dass nur noch alte Menschen im Trachtenverein sind. Die Jungen interessieren sich nicht mehr dafür.“ Deshalb fordert Celentano die Stadt dazu auf, mehr für den Erhalt des kulturellen Erbes zu tun. „Pfullendorf ist eine reiche Stadt. Reich an Geschichte und Kultur. Das müssen wir auch den Touristen zeigen“, zeigt sich die Italienerin entschlossen.

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Ihr Vorschlag: Geschichtstage, an denen es in der Stadt zugeht wie in alten Zeiten. „Wir könnten unsere Trachten vorführen und deren Historie erzählen. Gästeführer könnten den Touristen die Geschichte der Stadt nahebringen. Wir könnten wie in alten Zeiten stricken oder Brot backen. So etwas fehlt Pfullendorf“, zeigt sich Celentano enttäuscht.

Ältere Menschen sind ihr wichtig

Neben der Leidenschaft zur traditionellen Tracht hat Burkhart Celentano auch die Liebe zu älteren Menschen mit auf den Weg gegeben: „Ihre letzten Worte waren folgende: ‚Hilf und sei immer lieb zu alten Leuten‘“, erinnert sich die 63-Jährige. Bis heute steht die ältere Generation für sie an erster Stelle.

Neben ihrem Engagement im Trachtenverein ist die umtriebige Rentnerin auch in Altersheimen unterwegs.
Neben ihrem Engagement im Trachtenverein ist die umtriebige Rentnerin auch in Altersheimen unterwegs. | Bild: Carolina Celentano

Da wundert es nicht, dass Carolina Celentano seit einigen Monaten neben ihrer Arbeit in der Pizzeria Sorrento im Wohnzentrum Grüne Burg aushilft. Ihr eigentlicher Wunsch – nämlich in der Spitalpflege Pfullendorf, in der auch Hildegard Burkhart ihre letzten Tage verbrachte, zu arbeiten – wird sich ab Oktober erfüllen.

Celentano wünscht sich Seniorentag

Auch die Bewohner freuen sich über ihr Engagement im Trachtenverein: „An Fronleichnam sind alle essen gegangen. Nur ich bin in voller Montur ins Altersheim gefahren. Die Menschen haben sich so gefreut, endlich mal wieder jemanden in Tracht zu sehen, dass sie Tränen in den Augen hatten und mich umarmt haben.“

Die Frauen im Trachtenverein tragen als Kopfbedeckung eine große Radhaube, die ab etwa 1950 von der Haubenmacherin Gisele Schlageter ...
Die Frauen im Trachtenverein tragen als Kopfbedeckung eine große Radhaube, die ab etwa 1950 von der Haubenmacherin Gisele Schlageter gefertigt worden war. | Bild: Carolina Celentano

Eine Bitte an den Bürgermeister hat sie noch: „Es sollte einen Seniorentag geben. Man könnte im Stadtgarten Kaffee und Kuchen ausgeben und unserer älteren Bevölkerung damit etwas zurückgeben.“ Ganz im Sinne ihrer Ziehmutter Hildegard Burkhart.

Zur Frauentracht gehören außerdem Rock und Oberteil, Schürze und Schultertuch und in der kälteren Jahreszeit ein Wiener Schal.
Zur Frauentracht gehören außerdem Rock und Oberteil, Schürze und Schultertuch und in der kälteren Jahreszeit ein Wiener Schal. | Bild: Carolina Celentano