Hans-Walter Mark

75 Jahre sind nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges vergangen. Viele Zeitzeugen sind inzwischen gestorben. Zu ihnen gehören Werner Rauscher sowie Fridolin und Elisabeth Butz. Zu ihren Lebzeiten schilderte Rauscher, wie er als Kind eine Zeit erleben musste, in der ein harter Kampf um das tägliche Brot und ums Überleben geführt wurde. Elisabeth Butz gehörte zu den drei Frauen, die nach Kriegsende in Stein eine Suppe für deutsche Schulkinder kochte. Und Fridolin Butz hat die „Schülerspeisung„ dokumentiert.

Besetzung durch die Franzosen

Als die Totenglocke des Münsters am 8. Mai 1945 die Kapitulation der deutschen Wehrmacht und damit das Ende der Kriegshandlungen verkündete, war die Trompeterstadt schon von den französischen Streitkräften besetzt. Die Versorgungslage nach dem Einmarsch der Franzosen war katastrophal. Neben der eigenen Bevölkerung, galt es zusätzlich die französischen Soldaten zu versorgen.

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Das bedeutete, die Rationen waren jetzt noch knapper als während des Krieges bemessen. Lebensmittelkarten waren so gut wie wertlos, da die Lebensmittel nicht vorhanden waren. Ein Kind beispielsweise erhielt ein Pfund Brot für vier Tage zugeteilt. Brotaufstrich gab es nicht. Auch mit verschimmeltem Maisbrot mussten sich die Menschen zufrieden geben. Die Franzosen hatten Recht auf eine doppelte Ration.

Kleidung als Mangelware

Zuständig für die Beschaffung und Verteilung der Lebensmittel, war das Erfassungsamt, eine Abteilung des Landwirtschaftsamtes des Landkreises Säckingen. Die Behörde hatte auch die Aufgabe, den Tierbestand und die Lebensmittelvorräte in den einzelnen Gemeinden zu registrieren und Beschlagnahmungen durchzuführen.

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Neben dem Mangel an Lebensmitteln, fehlte es in dieser Notzeit auch an Kleidung und vor allem an Schuhen. Schuhsohlen aus Holz waren keine Seltenheit. Die Frauen trennten alte Pullover auf und strikten mit der Wolle ein neues Kleidungsstück oder Socken. Glück hatte, wer etwas zum Tauschen hatte. Es war die einzige Möglichkeit, etwas Besonderes zu ergattern.

Kartoffeln gegen ein Weinfass

Eine besondere Bedeutung hatten die Kartoffeln während und nach dem Zweiten Weltkrieg. Nach Aussage des inzwischen verstorbenen Werner Rauscher standen auf dem Speisezettel, nicht nur der Familie Rauscher, im Sommer Kartoffeln mit Gemüse und im Winter Kartoffeln mit Sauerkraut. Als Zusatznahrung gab es Dörrobst.

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„Die Kartoffel war damals das Lebensmittel, das satt machte“, bezeichnete Rauscher die wertvolle Knolle. Wie wenig die Menschen in der Stadt zu essen hatten, zeigt folgende Begebenheit: nach Unterrichtsende kam Werner Rauscher nach Hause. Auf dem Herd stand ein Topf mit Pellkartoffeln. Der Magen knurrte und die Versuchung eine dieser köstlichen Kartoffeln zu verspeisen, war groß. Während er seine Hausaufgaben anfertigte, landeten nach und nach die wenigen Kartoffeln in seinem Magen. Lange Gesichter machten die Eltern, als sie von der Arbeit heimkehrten. Die Pellkartoffeln waren die Tagesration für die gesamte Familie. An diesem Tag gab es für Mutter und Vater nichts mehr zum Essen.

Harter Kampf um Lebensmittel

Im Gegensatz zu den Bauern, traf die Lebensmittelknappheit die Menschen in den Städten besonders hart. Deshalb zogen sie in die Dörfer, um zu „hamstern“. Sie versuchten von den Landwirten, oft im Tausch gegen Waren Milch, Gemüse und Kartoffeln zu bekommen. Für ein wertvolles leeres Weinfass, erhielt die Familie Rauscher zwei Zentner Kartoffeln. Damit war sie für einen Winter versorgt.

An jedem freien Platz in der Stadt wurden Kartoffeln angepflanzt, so im Schlosspark und auf dem damaligen Sportplatz in der Werderstraße. Auch auf der Schweizer Seite wurde jedes bebaubare Fleckchen Erde in einen Kartoffelacker verwandelt. Die Schweizer nannten dies „Ihre Anbauschlacht“.

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Der Bevölkerung auf der Schweizer Rheinseite war die notleidende Bevölkerung, insbesondere die hungernden Kinder, nicht gleichgültig. Eine einzigartige Hilfsaktion trug dazu bei, dass die Säckinger Schulkinder eine warme Mahlzeit erhielten.

Einblicke in die Schülerspeisung

Fridolin Butz hat die Schülerspeisung dokumentiert: Von Dezember 1946 bis in das Jahr 1949 kochten Hilda Speck, die Mutter des späteren Pfarrers Rudolf Speck, Maria Eckert und Elisabeth Gottstein, später verheiratet mit Fridolin Butz, im damaligen Restaurant „Tröndle“ in Stein, in dessen Restaurantküche, eine Suppe für deutsche Schulkinder in Säckingen. Mit einer Sondererlaubnis der Franzosen durften die drei Köchinnen die Holzbrücke in die Schweiz überqueren. Die Zutaten für diese Suppe spendeten Schweizer Bürger, Geschäftsleute und Behörden.

Der damalige Gemeindepolizist Otto Schell aus Säckingen hat diese Spenden im gesamten Fricktal abgeholt und zum Kochen in die Küche des Restaurants „Tröndle“ gebracht. Die frisch zubereitete und noch warme Suppe hat Otto Schell über die Holzbrücke nach Säckingen in die Hindenburgschule transportiert, wo diese von den Schulkindern sehnlichst mit hungrigen Mägen erwartet wurde. Am Wochenende und an Feiertagen entfiel die Schülerspeisung. Initiator dieser Hilfsmaßnahme war der damalige amtierende Bürgermeister Fridolin Jehle.

Schweiz bringt Vorteile

Täglich die Grenze zur Schweiz passieren zu dürfen, brachte für Elisabeth Butz große Vorteile mit sich. Sie konnte für ihre Familie, aber auch für Verwandte und Bekannte geringe Mengen an Kaffee, Mehl, Zucker und anderen Lebensmitteln mit über die Grenze nehmen. Schweizer mit verwandtschaftlichen Beziehungen zu Säckingen, sendeten Verpflegungspäckchen nach Stein. Elisabeth Butz sorgte dafür, dass diese in Säckingen den Adressaten erreichten.

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Ab 1949 bereiteten die Stadtangestellten Butz, Speck und Eckert die Suppe in der Waschküche des Vereinshauses zu. Die Zutaten in Form von Carepaketen finanzierte ein amerikanisches Hilfsprogramm. Neben der Schülerspeisung hatte das Rote Kreuz im Gasthaus „Adler“ für die notleidende Bevölkerung eine Suppenküche eingerichtet. Die Zutaten und Lebensmittel spendeten ebenfalls die Fricktaler Gemeinden.

Als Ende Februar 1947 wegen Lebensmittelmangel die Suppenküche geschlossen werden sollte, demonstrierten hauptsächlich Frauen und baten den Landrat um Hilfe. Der damalige Schweizer Großrat Rohrer setzte sich unbürokratisch und ohne Vorbehalt dafür ein, dass die karitative Einrichtung erhalten blieb.