Die 40er- und 50er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts sind der 87-jährigen Rosmarie Leisinger noch in guter Erinnerung. Im originellen Gurtwieler-Dütsch erzählt die muntere Frau, die am 19. September 1936 in Gurtweil geboren wurde, was sie als Kind, als Jugendliche und junge Erwachsene erlebte. Ganz besonders war auch, dass ihr Vater, Friseurmeister Wilhelm Scheuble, schon damals einen alten Fotoapparat mit Glasplatten hatte. Etliche der früheren Bilder sind noch im Familienbesitz.

Der Vater von Rosmarie Leisinger fotografierte diese Gurtweiler Kinder 1938 mit einem Glasplatten-Fotoapparat.
Der Vater von Rosmarie Leisinger fotografierte diese Gurtweiler Kinder 1938 mit einem Glasplatten-Fotoapparat. | Bild: Familienarchiv R. Leisinger

Was ihre Mutter noch erzählte: Eine Zentralheizung und elektrisches Licht gab es früher nicht. Der einzige warme Platz im Haus war der Kachelofen (Kunst). Öllampe oder Petroleumleuchte dienten als Lichtquelle. Erst nach und nach gab es elektrischen Strom von der Firma Henselmann-Gutex.

Lange Zeit gab es aber pro Haushalt nur eine Glühbirne. Für den Strom musste die Familie anfangs im Monat 3 Mark zahlen. Viele Gurtweiler seien als Handwerker „uf d‘Stör gange.“ Das heißt, sie sind von Haus zu Haus gelaufen und haben ihre Dienste angeboten. Die Arbeit hätte meistens morgens um sieben Uhr angefangen und abends um sechs aufgehört.

Rosmarie‘s Mutter erzählte auch von einem lustigen Schreckmoment. Mit Gleichaltrigen sei sie in einer Winternacht auf dem Heimweg gewesen, als sie plötzlich eine dunkle Gestalt sich bewegen sahen. Sie erschraken sehr und hatten große Angst gehabt, weiterzugehen. Sie wagten es schließlich, schnell vorbeizurennen und hinterher hörten sie großes Gelächter – es war nämlich der Nachtwächter, der sie erschrecken wollte. „Der Nachtwächter musste durchs Dorf laufen, und hat die Stunde ausrufen und den Feuerteufel bannen müssen“, so die Erinnerung an früher.

Das Foto aus dem Jahre 1949 zeigt Gurtweiler Nachbarskinder beim Spiel.
Das Foto aus dem Jahre 1949 zeigt Gurtweiler Nachbarskinder beim Spiel. | Bild: Familienarchiv R. Leisinger

Rosmarie Leisinger selbst hat erlebt, dass im Zweiten Weltkrieg viele gefangene Franzosen im Dorf untergebracht waren. Diese mussten tagsüber bei den Landwirten mithelfen und wurden nachts von einem Wachmann, der in ihrem elterlichen Friseurgeschäft wohnte, bewacht. Weitere Zwangsarbeiter kamen auch aus Polen und Russland.

Diese französischen Gefangenen waren in Gurtweil im 2. Weltkrieg untergebracht.
Diese französischen Gefangenen waren in Gurtweil im 2. Weltkrieg untergebracht. | Bild: Familienarchiv R. Leisinger

Diese wurden beim Bau des Lore-Bähnle eingesetzt, das über Gurtweiler Gemarkung lief, von Tiengen bis nach Indlekofen. Sie weiß noch genau, wie sie „als Kinder den armen Gefangenen mittags gekochte Herdöpfel gebracht haben“ und dann oft ein aus Draht selbstgebasteltes Spielzeug bekamen. Das Schwimmen, so erzählt die 87-Jährige, habe sie mit anderen Kindern im angestauten Mühlebach gelernt und später ging man dann ins Schwimmbad nach Tiengen.

Ein Wachmann im 2. WK am Elternhaus von Rosmarie Leisinger, das auch Annahmestelle für die Zeitung Der Alemanne war.
Ein Wachmann im 2. WK am Elternhaus von Rosmarie Leisinger, das auch Annahmestelle für die Zeitung Der Alemanne war. | Bild: Familienarchiv R. Leisinger

Weil Schuhe Mangelware waren, mussten die Dorfkinder im Sommerhalbjahr barfuß laufen, auch hin zur Schule. Dort gab es oft zur Strafe noch schmerzhafte Tatzen-Schläge mit einem Stock in die Handinnenflächen dazu, was keine schöne Schulzeit erahnen lässt. Viele Dorfbewohner waren im und nach dem Krieg Selbstversorger, hatten einen kleinen Garten, hatten Hühner, Geißen oder auch ein Schwein und eine Kuh.

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Im jetzt noch bestehenden Elternhaus in der Leo-Beringer-Straße sei auch die Annahmestelle für den Bezug und für Anzeigen in der Wochenzeitung „Der Allemanne“ untergebracht gewesen. Sie selbst habe die Zeitung, die später durch den Alb-Bote abgelöst wurde, nach der Schule ausgetragen. Ins Krankenhaus ging man nur bei ernsthaften Erkrankungen oder Verletzungen, ansonsten kam die „Krankenschwester aus dem Schloss“ ins Haus, um kleinere Verletzungen zu behandeln. Der jüngere Bruder sei 1945 an einer im Dorf grassierenden Diphterie fast gestorben, erzählt Rosmarie Leisinger, die bis zur Heirat 1960 als Industrienäherin arbeitete.

Nach dem Krieg kam die Hamsterzeit, während der zum Beispiel Dinge auf dem Bauernhof gegen Lebensmittel eingetauscht wurden oder aus rauem Leinenstoff Jacken genäht wurden. Ein Inserat damals signalisierte den Tausch einer schlachtreifen Sau gegen Leintücher. Außerdem kamen die Franzosen als Besatzungsmacht zurück, machten das Dorf zum Sperrgebiet und beschlagnahmten Lebensmittel und etliche Gebrauchsgegenstände.

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Kritisch wurde es für einen Gurtweiler Bauern, der angeschwärzt wurde, im Heustock ein Gewehr versteckt zu haben. Eine französisch sprechende Ordensschwester aus dem Schloss konnte den Mann vor der Verurteilung befreien. Dann erinnert Leisinger noch an die Flüchtlinge aus Ostpreußen, die in Gurtweil einquartiert werden mussten und sagt lachend: „Dann hän mir zum erschte Mol Hochdütsch g‘hört.“

Rosmarie Leisinger weiß viel zu erzählen.
Rosmarie Leisinger weiß viel zu erzählen. | Bild: Familienarchiv R. Leisinger

Als schönes Erlebnis bewertet sie „die Zeit, wo es schönes neues Geld gegeben hat“ und ergänzt „es war wie ein Wunder, denn plötzlich hast du wieder alles gekriegt“. Zwar gab es damals in Gurtweil zunächst nur zwei Krämerläden und eine Metzgerfiliale, aber das erste Schleckeis für 10 Pfennig die Kugel bleibt ihr auch unvergesslich in Erinnerung.