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Lörrach (tm) Etwa einmal pro Jahr passiert es, dass Entenküken im Gewerbekanal dem Tod ins Auge sehen müssen. Denn sie werden von der Strömung am Zulauf für das Kraftwerk in der Unteren Herrenstraße angespült. Am Gummistopper endet die Reise zunächst, bevor sie vom Fluss durch einen schmalen Einlass weitergetrieben werden, unter der Straße hindurch und direkt ins sprudelnde Wasser an der Wasserkraftschnecke, in die sie hineingeraten, oder wo sie bis zur tödlichen Erschöpfung gegen die Strömung ankämpfen.

Das verzweifelte Piepsen der Küken ruft regelmäßig die Anwohner auf den Plan. Bei der Rettungsaktion mit Käscher, Korb und Netz, kommt es vor, dass Entenfamilien auseinander gerissen werden, denn die flugfähige Mama flüchtet vor ihrem Feind, dem Menschen. Im Mai rückten Polizei und Feuerwehr aus, um Küken aus dem Kanal zu retten. Ohne Mutter hatten sie in der Wildnis allerdings auch keine Überlebenschance, weshalb sie in die Obhut einer erfahrenen Pflegefamilie gegeben wurden. „Das ist so schlimm. Wenn ich das Gepiepse höre, eile ich zum Kanal, um zu helfen“, sagt Anwohnerin Evelin Kilchling. Etwas tun wolle sie, anstatt einfach tatenlos zuzusehen, wie die Küken vor Erschöpfung sterben müssen. Schließlich versuchen sie mit ihren kleinen Flossen gegen den Strom zu schwimmen, um der Todesfalle zu entkommen.

Gemeinsam hat Kilchling mit ihrem Ehemann und weiteren Nachbarn bereits an einer Lösung getüftelt. Eine Rettungsinsel aus Holz haben sie gezimmert und ins Kanalwasser eingelassen. „Dort hatten sich die Enten auch ausgeruht vom kräftezehrenden Schwumm, dennoch ist es nicht des Rätsels Lösung“, sagt Kilchling. Schließlich kommen die flugunfähigen Küken ohne menschliche Hilfe auch dort nicht weg. Doch einfach zusehen, wie die kleinen Enten dort sterben, will die tierliebe Frau nicht.

Für Naturschutzfachkraft Claudia Salach vom Landratsamt Lörrach liegt die einzige Chance für die Stockentenmutter darin, dass sie lernt, dass das Gewässer der Feind ist, anstatt der Mensch. „Zugegeben, ich kann das auch nicht mit ansehen, das geht mir ans Herz. Doch ich entferne mich dann, weil ich weiß, dass alles andere nicht richtig wäre für die Tiere“, sagt Salach. Tatsächlich ist der Gewerbekanal von seiner Struktur her gänzlich ungeeignet für die Stockenten. „Er bietet keine Deckung und fließt selbst für ausgewachsene Vögel zu schnell“, sagt Salach. Selten bis nie treiben Wasservögel auf dem Kanal, weder in Kraftwerksnähe oder in der Innenstadt noch an der Wiesentalstraße, wo der Kanal von reichlich Grün umsäumt ist.

„Der Gewerbekanal ist auch nicht als naturnahes Gewässer vorgesehen“, sagt Georg Lutz, Fachbereichsleiter Umwelt des Landratsamts. Stattdessen dient er als Wasserab- und Zuleitung für Unternehmen und zur Wasserkraftnutzung. Fünf Kilometer lang ist der Kanal in Lörrach, vom Tumringer Wuhr bis zur Landesgrenze beim Erlenweg. Sein Wasser wird sogar in der Schweiz genutzt.

Seit 1756 regelt ein Staatsvertrag die Wassermenge, die auf Schweizer Gebiet im Kanal fließen muss. Damals festgelegt wurden 3,2 Kubikmeter pro Sekunde; unterdessen sind mindestens 1,1 Kubikmeter pro Sekunde vereinbart. Nutzer des Gewerbekanals sind das Wasserkraftwerk Tumringen, die Vogelbach real GmbH, die eine 100 Jahre alte Turbine betreibt, die KBC und seit 2013 ein privater Stromanbieter in der Unteren Herrenstraße. Naturschützerin Claudia Salach kennt den Grund, warum Enten den Gewerbekanal wählen. Die Enten fühlten sich zur Brutzeit gestört, von den vielen Spaziergängern mit ihren Hunden an der Wiese. Die wenigen ruhigen Plätze am Fluss sind meist schon belegt, weshalb sich viele Enten andere Möglichkeiten suchen müssen.

Salach weiß von einem Entenpaar, das am St. Elisabethenhaus brütet, um dann mitsamt Küken in Richtung Wasser zu watscheln. „Die werden dabei regelmäßig von der Polizei begleitet“. Zweimal pro Jahr brütet die Stockente, einmal im März/April, manche haben ein zweites Gelege im Juli oder August, je nach Witterung. Viele Vogelarten seien daran angepasst, dass der Nachwuchs nicht überlebt. So haben die Stockenten die Strategie, viele Nachkommen zu haben, meist bis zu zehn Küken. „Die Natur und Wildnis hat andere Regeln und Gesetze als unsere menschliche Welt“, sagt Salach.

Die Naturschützerin hat einen Tipp: Falls die Entenmutter wegen einer Rettungsaktion davonfliegt, sollte man die Küken zurücklassen. „Die Eltern suchen ihren Nachwuchs an der Stelle, wo sie voneinander getrennt wurden“, erklärt Salach. Ansonsten müsse die Entenmutter aus der Deckung dabei zusehen, wie ihre Jungtiere von Menschen fortgebracht werden. Auch Jungvögel, die aus dem Nest gefallen sind, sollten nicht mitgenommen werden, denn sie werden von den Eltern auch am Boden versorgt und verteidigt. Für die Entenfamilien am Gewerbekanal hofft Salach, dass sie die Chance bekommen, für die Zukunft zu lernen. „So schwer das für die Anwohner sein muss“, sagt sie.