Die Brücke über den Laufen ist ein Fieberthermometer, an dem sich ablesen lässt, wie es um Laufenburg und die Region bestellt ist. Geht es der Gegend gut, dann zirkulieren auf der Brücke Menschen und früher auch Waren. Durch den Brückenschlag entsteht Laufenburg irgendwann vor 1207 erst. Mit dem Bau der Maillart-Brücke 1911 kommt das das Städtchen in der Moderne an.
Je weniger Brücke, desto schlechter die Zeiten. 1480 reißt eine Flut sie weg. Am Ende des 30-Jährigen Kriegs wird sie zerstört, im Ersten Koalitionskrieg 1796 niedergebrannt. Kurz danach kommen 1801 mit der Teilung der Stadt die Schlagbäume. Sie verschwinden erst über 200 Jahre später 2008 nach dem Beitritt der Schweiz zum Schengen-Raum. Seit Montag nun steht wieder eine Barriere auf der Laufenbrücke, die die Menschen daran hindert, die Grenze zu überschreiten.

Christian Haller (77) wohnt im einen Laufenburg und arbeitet im anderen. Bis Montag waren das von Haustür zu Haustür über die Grenze hinweg fünf Minuten zu Fuß. Nach der Schließung der Laufenbrücke weiß der eben von einem Auslandsaufenthalt zurückgekehrte Schriftsteller nicht mehr, ob er sein Leben in einer Stadt aber zwei Ländern wird fortführen können. „Ich käme zwar in die Schweiz, aber nicht mehr zurück nach Deutschland.“
Als Schweizer muss Haller einen dringenden Grund für seine Einreise nach Deutschland geltend machen. Arbeit wäre ein dringender Grund. Aber wie soll ein Schriftsteller beweisen, dass sein Schreibtisch auf der einen Seite des Laufen steht, das Bett aber auf der anderen? „Für mich ist die Schließung der Grenze ein Zeichen dafür, wie wenig europäisches Bewusstsein vorhanden ist. Es hätte sicherlich andere Lösungen gegeben, als nur entlang der Staatsgrenze“, sagt Haller.

Täglich zweimal wechselt Tommy Mutter (44) über die Grenze. Seit über 20 Jahren arbeitet der Gipser aus dem badischen Laufenburg in der Schweiz. Der Gang über die Laufenbrücke ist ebenso lange schon Teil seines täglichen Arbeitswegs, auf dem er immer den Ausländerausweis mit sich führt. Jahrelang hat das Dokument, das Mutter als in der Schweiz berufstätigen EU-Bürger ausweist, so gut wie niemanden interessiert. Das ist jetzt anders.
„Als ich Dienstagabend zurückkehrte, war die Brücke komplett zu“, berichtet Mutter. Für ihn bedeutet das einen drei Kilometer langen Umweg über die mit Zöllnern besetzte Hochrheinbrücke östlich der Altstadt. Nach dem Personalausweis allerdings verlangen dort weder der deutsche noch der Schweizer Zoll. „Die wollen an der Grenze nur den Ausländerausweis sehen.“
Als ehrenamtlicher Stadtarchivar des badischen Laufenburg befasst sich Martin Blümcke (84) viel mit Geschichte. Eben hat er zusammen mit Franz Schwendemann einen Band über das badische Laufenburg während der Zeit des Nationalsozialismus veröffentlicht. Es hat also Gewicht, wenn er über die düstere Stimmungslage in Zeiten von Corona und überraschend verfügte Maßnahmen wie die Schließung von Grenzen sagt: „Das erinnert einen, auch wenn man es nicht selbst erlebt hat, an die Zeit von 1939 bis 1945.“
Blümcke ist ein geselliger Mensch und zu seinem Freundeskreis gehören auch viele Schweizer. Darunter sind auch Alois Schmelzer, Hannes Burger und Alois Gassmann, mit denen er sich dienstags immer zum Stammtisch im „Rebstock“ im deutschen Teil der Altstadt trifft. Es ist immer dieselbe Prozedur: Die drei Schweizer überqueren zusammen zu Fuß die Laufenbrücke, gehen die Hauptstraße hinauf, holen ihren Freund Martin Blümcke ab und begeben sich gemeinsam zum Stammtisch. Nicht so diesen Dienstag.

Auf Schweizer Seite der Laufenbrücke betreibt Sonja Wunderlin (36) eine Praxis für Naturheilkunde. Sie arbeitet im grenzüberschreitenden Kulturausschuss beider Laufenburg mit. Zusammen mit anderen Schweizern und Deutschen organisiert sie Konzerte und Kabarettauftritte im badischen und im aargauischen Laufenburg. Obwohl es kein halbes Jahr mehr hin ist bis zu den nächsten Kulturtagen „Fliessende Grenzen“, gibt es derzeit nicht viel zu organisieren. Denn der Kulturausschuss sagt derzeit vor allem Veranstaltungen ab. „Bis Ende April sind wir schon durch.“ Ob es dieses Jahr Kulturtage geben wird, weiß Wunderlin nicht.
Zwei Länder, eine Stadt. So recht kann Wunderlin das nicht glauben: „Wir waren faktisch immer zwei Länder. So haben wir zum Beispiel keine gemeinsamen Medien.