Das Kernkraftwerk Leibstadt gehört für die Menschen am Hochrhein zum Alltag. Zumindest die aufsteigenden Wolken sind vielerorts zu sehen. Mit dem Betrieb des Kraftwerks sind allerdings auch Risiken verbunden.
Für eines davon will das Landratsamt Waldshut in Form von Jodtabletten vorsorgen, die für die Bewohner in einem Umkreis von fünf Kilometern um das Kraftwerk herum verteilt werden. Sinnvoll könnte diese Vorsichtsmaßnahme aber für viele weiter Menschen in der Umgebung sein.
Um welche Gefahr geht es?
Käme es im Kernkraftwerk zu einem Unfall und radioaktives Jod würde austreten, soll die Einnahme der Jodtabletten schützen. Denn der radioaktive Stoff kann sich sonst in der Schilddrüse ansammeln und die Gefahr von Schilddrüsenkrebs erhöht sich. Bei rechtzeitiger Einnahme der Tabletten kann dies Experten zufolge verhindert werden.
Was hat es mit den verschiedenen Zonen auf sich?
Das Regierungspräsidium Freiburg hat im Umkreis des Kernkraftwerks Leibstadt mehrere Zonen definiert, die im Unglücksfall helfen sollen, Maßnahmen gezielt umzusetzen. Hier wird die Zentralzone im Umkreis von zwei Kilometern um das Kraftwerk definiert, bis zu einer Entfernung von zehn Kilometern erstreckt sich die Mittelzone. In dieser Zone können laut dem Dokument des Regierungspräsidiums Jodtabletten vorsorglich und kostenfrei an die Bevölkerung verteilt werden. Die Außenzone umfasst das Gebiet bis etwa 25 Kilometer Entfernung. Hier werden die Einwohner im Ereignisfall mit Tabletten aus den Lagern der Gemeinden versorgt.

Welche Bedeutung hat die Schilddrüse für den Körper?
Peter Heilmann ist Facharzt für Innere Medizin und Endokrinologie im Ärztezentrum Hochrhein in Laufenburg und Murg und erklärt: „Die Schilddrüse produziert ein lebenswichtiges Hormon.“ Genau genommen sind es sogar mehrere: Tetrajodthyronin (Thyroxin), kurz T4, und Trijodthyronin, kurz T3. Die Drüse spielt eine wichtige Rolle im Stoffwechsel und reguliert verschiedene Körperfunktionen. Für die Produktion des Schilddrüsenhormons benötigt sie Jod, dass beispielsweise über Nahrung aufgenommen wird.
Was bewirken die Jodtabletten?
Falls es zu einem Unfall im Kernkraftwerk kommen sollte, wird mit der Jodtablette das 100- bis 1000-fache der Menge aufgenommen, die täglich durch Nahrungszufuhr eingenommen wird. Ziel dabei ist die sogenannte Jodblockade, wie der Mediziner erläutert. Es geht also darum, die Schilddrüse „mit so viel Jod abzudecken, dass kein oder nur sehr geringe Mengen von radioaktivem Jod vom Körper aufgenommen wird“, so Heilmann.
Was ist bei der Einnahme entscheidend?
Allerdings warnt der Mediziner vor einem leichtfertigen Umgang mit den Jodtabletten. Besonders wichtig sind für die Einnahme der richtige Zeitpunkt und das eigene Alter. Als besonders vulnerable Gruppen gelten laut Strahlenschutzkommission Ungeborene, Kinder und Jugendliche. Auch Schwangere und Stillende zählen zu dieser Gruppe, da über sie die Ungeborenen und Säuglinge geschützt werden. Bei der Einnahme sollte die richtige Dosis unbedingt beachtet werden.
Wer darf überhaupt Jodtabletten einnehmen?
Die Einnahme der Jodtabletten wird von der Strahlenschutzkommission nur bis zu einem Alter von 45 Jahren empfohlen. Grund ist das mit höherem Alter steigende Risiko von Nebenwirkungen, wie der Auslösung einer Überfunktion. Dieses würde das geringe Risiko für durch radioaktives Jod ausgelösten Schilddrüsenkrebs übersteigen. Die Altersgruppe der 18- bis 45-Jährigen ist weniger anfällig ist, als Kinder und Jugendliche. Daher kann es sein, dass im Einzelfall für sie ebenfalls keine Einnahme empfohlen wird.

Wann sollen die Tabletten eingenommen werden?
Entscheidend für die Wirkung der Jodblockade ist auch der richtige Zeitpunkt der Einnahme. Sie soll nur auf Anordnung der zuständigen Katastrophenschutzbehörde erfolgen. Laut Strahlenschutzkommission mindert eine zu frühe Einnahme den Schutz, eine zu späte könnte dem Körper sogar schaden.
Könnte man die Tabletten auch vorsorglich einnehmen?
Endokrinologe Heilmann betont, dass eine prophylaktische Einnahme nicht erfolgen sollte, da hier andere Probleme auftreten könnten. Die Packungsbeilage und das Merkblatt, das mit den Tabletten ausgehändigt wird, sind unbedingt zu beachten.
Wäre ein Vorrat von Jodtabletten für jeden sinnvoll?
Menschen, die innerhalb der Zentralzone leben, erhalten die Tabletten zur Aufbewahrung zu Hause. Für die übrige Bevölkerung sieht das Verteilungskonzept des Regierungspräsidiums Freiburg eine Lagerung an zentralen Stellen in den Gemeinden vor, um im Ereignisfall alle Menschen versorgen zu können. Eine private Bevorratung kann ebenfalls erfolgen. Die Tabletten können rezeptfrei in Apotheken gekauft werden. Aufgrund der hohen Haltbarkeit sei laut Mediziner Heilmann der Wunsch nach privater Vorsorge nachvollziehbar. Da das Risiko aber in unmittelbarer Umgebung der Kernkraftwerke am höchsten sei, ergebe es dort am meisten Sinn. Wie groß der Umkreis ist, in dem eine Einnahme von der Katastrophenschutzbehörde angeordnet wird, tatsächlich werden könne, müsse im Einzelfall entschieden werden.
Wie ist die Situation in weiter entfernten Orten?
Bis zu 100 Kilometer vom Kernkraftwerk aus erstreckt sich die Fernzone. Dort werden laut Informationsblatt des Regierungspräsidiums Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre und Schwangere mit Jodtabletten aus zentralen Bundeslagern versorgt. Wichtig ist hierbei: Die Entscheidung kann im Einzelfall abweichen, wie im Dokument zu lesen ist. Ausgabestellen würden je nach Bedarf und Lage bekannt gegeben werden. Daher sollte immer auf Lautsprecherdurchsagen oder Rundfunk geachtet werden, darüber werden Informationen zur Lage gegeben.