Gerhard Schuhmacher

Der Wutöschinger Kindergarten ist benannt nach Pater Stanislaus, 1595 geboren. Eine ungewöhnliche Benennung, zumal auch seine Lebensgeschichte kaum bekannt ist. Kindern kann er sicher nichts bedeuten, schon eher Jugendlichen, denn sein Leben war von einem beherzten Umgang mit Gefahren jeder Art geprägt. Ein Porträt nach der „Lebensskizze“ eines modernen Kollegen, des Kapuzinerpaters Edilbert Geiger aus dem Kloster Schruns/Voralberg, etwa um 1980, ermöglicht einen Blick auf den Menschen und seine Zeit.

Dass Pater Stanislaus (mit Familiennamen Michael Saurbeck) an der Wutach und damit in der einstigen Landgrafschaft Klettgau geboren wurde, ist verbürgt. Dass er so gar nicht als Heiliger aufwuchs und in seiner Jugend ein rechtes Raubein war, ist weniger bekannt. Eine alte Chronik von 1661 meint, er sei zwar „von rechtschaffenen Eltern (die Leibeigene des Klettgau-Grafen von Sulz waren) von Kindheit an in allen Formen der christlichen Tugenden und zu gut bürgerlicher Rechtschaffenheit erzogen“ worden, doch blieb das vorerst etwas verdeckt. So war er „kundig in der Handhabung der Waffen“ und „verbrachte seine Jünglingsjahre im treuesten Dienste der verführerischen Welt. Mit der geschickten Handhabung der Waffen verband der verwegene Haudegen eine ungewöhnliche Körperkraft, gepaart mit gewaltigem Übermute, sodass alle ihn fürchteten“. Diese Darstellung stammt aus der „Schwäbischen Kirchengeschichte“ von 1699 – eines der Dokumente, die Pater Edilbert Geiger zur „Lebensskizze“ von Stanislaus zusammengestellt hat.

Im Jahr 1618 – Saurbeck war 23 Jahre alt und hatte in Freiburg Philosophie studiert – brach der Dreißigjährige Krieg aus. Die besagte Chronik berichtet: „Offenbar lockte ihn das Kriegshandwerk – andererseits verhehlte er sich die ungeheuren Gefahren für das Leben der Seele nicht, denen er unweigerlich im Soldatenstand ausgesetzt sein würde.“

Dem Zwiespalt begegnete der junge Krieger in Gebet und Meditation, und überraschend soll ihm im Traum die Gottesmutter Maria erschienen sein und ihn auf eine Berufung zum Mönch und sogar auf das Ordenskleid der Kapuziner hingewiesen haben. Damit entschloss er sich für den „geistlichen Soldatenstand“, begab sich zum Vorstand des Mönchsordens, wurde im Kloster Ensisheim im Elsass aufgenommen und erhielt am 8. Oktober 1618 seinen neuen Namen Stanislaus. Ein Jahr später legte Saurbeck die Ordensgelübde ab, studierte ab 1620 im Kloster Baden/Schweiz Theologie und wurde Pfingsten 1625 zum Priester geweiht. Nach seiner Ausbildung wurde er auf „seelsorgerische Einsätze“ geschickt und schon damals – so ein Chronist – „zeigten sich die ersten Spuren seiner außergewöhnlichen Charismen“: Sein engagiertes Auftreten war häufig mit bemerkenswerten Geschehnissen verknüpft, die schon die Zeitgenossen verblüfften. 1627 wurde er ins Kloster Überlingen berufen und zum „Novizenmeister“ bestellt. Konsequent lebte er den jungen Kandidaten die „harte Askese“ vor, strenges Fasten und beständige Meditation, und als Lehrmeister gelang es ihm, fast alle seine Schüler zu überzeugen. 48 Novizen bildete er für den Orden heran.

Im siebten Jahr der Tätigkeit von Stanislaus in Überlingen erfasste der Dreißigjährige Krieg auch das Hochrhein- und Bodenseegebiet. In diesem christlichen Religionskonflikt, der sich aus regionalen Anfängen zu einem mitteleuropäischen Krieg ausweitete, drang ein schwedisches Heer mit französischen Hilfstruppen in den Klettgau ein. „Vor allem in den Jahren 1633 und 1634 wüteten die Schweden, im Klettgau und im ganzen Hauensteiner Land“, erzählt die Chronik.

Im Oktober 1633 verließen die Schweden wieder die Region und zogen vor Konstanz, das der Belagerung allerdings trotzte. Zum Ausgleich wollte der Feldherr General Gustav Horn nun wenigstens Überlingen bezwingen – die Stadt, in der Pater Stanislaus wirkte. Am 23. April 1634 begann die Belagerung. Stanislaus wird das Wüten der Soldaten in seiner Heimat nicht verborgen geblieben sein. Er setzte die ganze Macht seiner Person und seines Wortes ein – die Stadtväter verweigerten den Schweden die Übergabe: „Zu solcher kriegerischen Tapferkeit und unbezwingbarer Zuversicht wurden die Bewohner der Stadt Überlingen durch die aufmunternden und feurigen Kanzelreden des P. Stanislaus Saurbeck vorbereitet.“ Er verlangte von den Bürgern ein Gelübde für die Errettung – ein jährlicher Festtag mit Prozession und Wallfahrten nach Einsiedeln. Tatsächlich löste General Horn trotz vieler Kanonaden und entnervt von den vergeblichen Sturmversuchen am 16. Mai 1634 die Belagerung wieder auf. Über den See hatten die Verteidiger auch laufend Lebensmittel und Munition erhalten.

„Die Kunde von der Befreiung der Stadt Überlingen verbreitete sich weitum. Die Tat des schlichten Kapuziners war in aller Mund; die meisten Stände, selbst der erlauchte österreichische Kaiser Ferdinand II. überhäufte P. Stanislaus Saurbeck mit Lobsprüchen.“ (Quelle: Historia Prov. anter. AUSTR., p. 216 in: Geiger, S. 15.).

Allerdings gingen die Überlinger mit der Erfüllung des Gelübdes im Nachhinein nachlässig um, was Stanislaus erboste. Er prophezeite den „Treulosen“ künftiges Unheil. Am 29. Januar 1643 eroberten französische Truppen bei ihrer Rückkehr im Handstreich die Stadt und plünderten sie aus. Reuemütig befolgten die Überlinger danach und seitdem bis heute ihr Versprechen (Historische Schwedenprozession durch die Altstadt) und veranstalten die Prozession. Sie datieren sie heute allerdings auf „ab 1634“ und verschweigen damit ihre zwischenzeitliche „Treulosigkeit’“

Stanislaus war bereits 1635 nach Bregenz zur Gründung eines neuen Klosters abberufen worden. Überliefert als Dokument ist die Genehmigung der Landesfürstin, Erzherzogin Claudia in Innsbruck, in dem Stanislaus namentlich zum Klostervorsteher – primo superiore – bestellt wird. In die folgenden Jahre fällt auch die Neuchristianisierung des Bregenzer Waldes – hier hatte sich wohl noch alemannische Urbevölkerung erhalten. Eine zeitgenössische Quelle: „So roh, wild und sittenlos sie in ihrem Betragen waren, ebenso schamlos und ärgerlich sollen vorzüglich die Weibsbilder gekleidet gewesen sein.

“ Mit der Kraft seiner Persönlichkeit bewirkte der Pater an der Spitze der Missionare „eine gründliche Erneuerung und sittliche Umgestaltung des ganzen Bregenzerwaldes“. Damit nicht genug: „Neben diesen Missionsreisen fand der unermüdliche Gottesmann noch hinreichend Zeit, das Frauenkloster St. Anna zu Bregenz, dessen religiöse Zucht damals viel zu wünschen übrig ließ, so gründlich und anhaltend zu reformieren, dass dieses vorhin so laxe Kloster einen gewaltigen Aufschwung erhielt.“ Weitere Klöster gründete er in Wangen/Allgäu, ebenso in Bludenz, und er unterstützte die damals zunehmende Wallfahrt nach Maria Bildstein in Vorarlberg. Am 8. Oktober 1639 wurde das neue Kloster mit Kirche in Bregenz eingeweiht, Stanislaus wurde danach zu einem der vier Provinzräte der Kapuziner gewählt und noch im selben Jahr nach Feldkirch gesandt. Dort wirkte er in der Stadt und in deren Umfeld, doch 1647 holte ihn der zu Ende gehende Dreißigjährige Krieg noch einmal ein. Anfang Januar 1647 eroberte der schwedische General Gustav von Wrangel Bregenz und seine Burg und verheerte Vorarlberg. Am 18. Januar standen die Schweden vor Feldkirch. Der Bürgermeister, der Stadtschreiber und Pater Stanislaus traten ihnen zu Verhandlungen entgegen. Die Schweden, die mit der Belagerung von Lindau Schwierigkeiten hatten, ließen sich auf ein Abkommen ein: Gegen „Kontributionen in beachtlicher Höhe“ verzichteten sie auf die „Zerstörung der Stadt und auf alle Brandschatzungen in der ganzen Gegend“.

Durch die erhandelte Zahlweise in drei Raten konnte Zeit gewonnen werden, bis Anfang März 1647 der allgemeine Rückzug der Schweden aus dem Bodenseeraum und Vorarlberg bewirkt worden war.

Es war die letzte große Tat des Paters, bald darauf erkrankte er im 52. Lebensjahr und fügte sich nach einer Zeit des Widerstandes in die Erkenntnis, dass er sterben würde. Er versprach seinen Mitbrüdern noch seine Teilnahme am Fest des Ordensvaters Franz von Assisi und starb am Tag darauf, dem 5. Oktober 1647, „einen heiligmäßigen und erbaulichen Tod“. Auf die Nachricht hin kam „eine unüberschaubare Anzahl von Menschen aus allen sozialen Schichten in das Kapuzinerkloster Feldkirch“, um Abschied zu nehmen.

Einen Wermutstropfen in der Historie bildet die Tatsache, dass eine Selig- oder Heiligsprechung des Paters nicht gelang. Kurz zuvor waren zu diesem Verfahren von Papst Urban III. „neue, strenge Bestimmungen“ dafür festgelegt worden, dazu kam eine „ungeheure, finanzielle Last für das Procedere“, so „dass den Kapuzinern sowohl der Mut als auch die finanziellen Unterlagen fehlten.“

Der Pater, den nicht nur seine Frömmigkeit auszeichnete, sondern der auch sein militärisches Wissen aus jungen Jahren erfolgreich einbringen konnte – er beeindruckte bärbeißige Sünder genauso wie schwedische Offiziere – fiel schon den Zeitgenossen durch seine rastlose Tätigkeit auf. Danach befragt, soll er geantwortet haben: „Gott hat mir die besondere Gabe verliehen, dass ich alle Geschäfte sofort vergesse, sobald ich sie erledigt habe, sodass sie mir keine weitere Belastung, Unruhe und Zerstreuung verursachen.“