392 Jahre befand sich in der Kaiserstraße 31 die älteste Apotheke der Stadt. Im Juni 2021 schloss die Ratsapotheke für immer ihre Türen und das Besitzer Ehepaar entschied sich, das Gebäude gegenüber des Rathauses zu verkaufen.
Zu hoch war der Sanierungsbedarf, zu unberechenbar die Herausforderungen, die Auflagen zu Denkmalschutz, Brandschutz und Energie-Richtlinien für ein Gebäude mit Teilen aus dem Mittelalter mit sich bringen würden.
Kai Flender, Architekt und Generalplaner, dürfte damals laut gejubelt haben, denn: „Rund 30 Jahre habe ich darauf gelauert, endlich ein Projekt in der Kaiserstraße zu realisieren. Doch Objekte waren einfach nicht zu bekommen“, sagt er im Gespräch.
Im Juli 2021 erwarb er mit der khoch8 gbr aus Waldshut-Tiengen den Gebäudekomplex, der aus Vorderhaus (Kaiserstraße 31), Hinterhaus (Rheinstraße 6) und einem Innenhof bestand. Nach rund acht Jahren – von der Idee, über die Investorensuche, die Planung, den Kauf, die Bauanträge bis zu den Sanierungsmaßnahmen – ist die Modernisierung des Projekts „Spiegelhof“ nun nahezu abgeschlossen.
Herausgekommen ist ein nachhaltiger, multifunktionaler Stadthauskomplex. Und Flender gewährt uns exklusive Einblicke.
Kaiserstraße 31
- Die Fassade erstrahlt wie gehabt in der historischen rot-braunen Farbe „Ochsenblut“. Hinter den Fenstern aus den 1920er-Jahren, die aus Denkmalschutzgründen erhalten blieben, sind unsichtbare doppelt verglasten Kastenfenster verbaut worden. Im Erdgeschoss der Kaiserstraße 31 befindet sich heute das Ladengeschäft von Apollo Optik, dahinter bietet der Coworking-Space Spiegelhof flexible Arbeitsplätze.

- Der Innenhof: Betritt man das Innere des Gebäudes, wird man nach wenigen Schritten von einem vertikal begrünten Innenhof mit Kletterpflanzen überrascht, der an diesem heißen Augusttag wie eine kühle Oase wirkt. „Die Pflanzen werden mit Regenwasser versorgt, der frisch entsiegelte Hof durch einen verbauten Spiegelkubus mit dem Gefühl von Weite und Licht geflutet“, sagt Kai Flender. Wo früher Beton vorherrschte, ist ein naturnaher Pausenraum entstanden.


- Im Treppenhaussind die Wände modern weiß, die Durchgänge im selben rot-braunen Ton gehalten, wie die Fassade. Die alten, hölzernen Bodendielen wurden erhalten und neu aufbereitet. Die oberen Stockwerke erreicht man entweder barrierefrei über einen Aufzug oder über eine wuchtige, alte Holztreppe, die grau angestrichen ist: „Die mussten wir aus Denkmalschutzgründen erhalten, sie stammt etwa aus dem Jahr 1750.“

- Die Oberen Stockwerke:Das erste und zweite Obergeschoss belegen Anwälte der Ratskanzlei, das erste und zweite Dachgeschoss nutzt die Anwaltssozietät Fehrenbach + Kollegen. Dank modernster Dämmung nach KfW-Standard ist auch im Dachgeschoss nichts von den 30 Grad Celsius Außentemperatur zu merken. Einzig die massiven historischen Balken aus dem 17. Jahrhundert, die denkmalschutzkonform schonend mit einer Strahltechnik mit Trockeneis gereinigt wurden, erinnern an das Alter des Hauses.

Rheinstraße 6
- Wohnhaus: Einen kurzen Spaziergang entfernt, erreichen wir das Hinterhaus in der Rheinstraße 6. Auch diese Fassade leuchtet in „Ochsenblut“ – und erstmals nach mehr als 100 Jahren des Leerstandes befinden sich in dieser beliebten Innenstadtlage wieder Wohnungen: Vier möblierte 1,5-Zimmer-Appartments und eine 100 Quadratmeter große Maisonett-Dachgeschosswohnung mit Doppelgarage sind hier entstanden. „Sie waren sofort vermietet, die Nachfrage war riesig“, freut sich der Generalplaner.

- Energie-Versorgung: Im Kellergeschoss der Rheinstraße ist ein zentrales Blockheizkraftwerk verbaut, das mit Pellets betrieben wird und hybrid im Notfall auch mit Gas läuft. Es versorgt den gesamten Komplex mit seinen 1400 Quadratmetern Nutzfläche.

- Wendeltreppe und Dachterrasse: Auch von der Rheinstraße aus erreicht man den begrünten Innenhof. Eine mintgrüne Wendeltreppe ist nicht nur Fluchtweg für den Notfall, sondern auch optischer Hingucker. Schreitet man hinauf, erreicht man eine mit mediterranen Gewächsen begrünte Dachterrasse, von welcher der Blick bis hinüber zur Heinrich-Hans-Jakob-Schule reicht.


Überraschungsfunde beim Bau
„Der Dachboden in der Kaiserstraße war bis oben hin voll mit Apothekergut der letzten drei Jahrhunderte“, erinnert sich Flender. Neben allerlei Fläschchen seien auch Benzinkanister dabei gewesen. Als die ersten Autos nach Waldshut kamen, habe es nämlich noch keine Tankstellen gegeben und Benzin war nur in Apotheken erhältlich.
Architekt Kai Flender sieht die Fertigstellung des Projekts geglückt: „Wir haben es mit einem riesigen Expertenteam geschafft, einen historischen Innenstadtkomplex zu bewahren und mit der Vielseitigkeit der Nutzung in die Zukunft zu führen“, sagt er.

Auch weil vorher rund 90 Prozent der Nutzfläche über Jahrzehnte ungenutzt waren, sei das ein wichtiger Schritt für die Innenstadtentwicklung. „Ich Blicke auf eine Art Lebenswerk, auf das ich richtig stolz bin“, sagt Kai Flender. Einziger Wermutstropfen beim Blick auf die frisch sanierte Fassade: Auf der rot-braunen Farbe sieht man die Mauerspinnennester sehr gut – ein häufiges Problem, mit dem Waldshuts Altstadt zu kämpfen hat.