Unter die Gemeindereform der 1970er-Jahre zog der Gemeinderat von Waldshut-Tiengen im November vor 30 Jahren den Schlussstrich und schaffte mit 24 zu 17 Stimmen die Teilortswahl ab. Dieses demokratisch nicht lupenreine Wahlsystem hatte Waldshut zwölf Sitze, Tiengen neun, Gurtweil zwei sowie den neun Ortsteilen jeweils einen Sitz im Gemeinderat garantiert.
Damit räumte eine interfraktionelle Mehrheit aus SPD (11), FWV (3), Grünen (3), FDP (2) und fünf Waldshuter CDU-Räten am 29. November 1993 auf. Die 16 übrigen CDU-Ratsmitglieder sowie OB Martin Albers unterlagen mit ihrem Festhalten an der Teilortswahl.
Mit „Zuckerbrot und Peitsche“ war vor mehr als 40 Jahren in der Bundesrepublik die Gemeindereform vollzogen worden, die kleinen Kommunen die seit Jahrhunderten bestehende Selbstständigkeit nahm. Die Einsicht in die Notwendigkeit größerer und damit effektiver zu verwaltender Einheiten wurde den Dörfern mit Investitionszusagen und Sonderrechten versüßt. Dazu gehörte die Teilortswahl, die jedem Dorf automatisch einen Sitz im Gemeinderat garantierte, was nach dem Mehrheitswahlrecht nicht möglich ist.
Ortsteile sprechen von Vertrauensbruch
An diesen Zustand hatten sich die Ortsteile gewöhnt. Weshalb sie aufgebracht waren und vom Bruch des Vertrauens in die bei den Eingliederungsverträgen gemachten Zusagen sprachen. Außerdem hätten die Stadtteile sowieso die Mehrheit der Sitze, so lautete die weitere Kritik der Dörfer. Was faktisch zwar stimmte, gemessen an den jeweiligen Bevölkerungszahlen rechnerisch jedoch nicht.
Weshalb 24 Ratsmitglieder die Teilortswahl kippten. Zumal selbst der von den Dörfern vorgeschlagene Kompromiss, die Ortsteilmandate auf sieben zu verringern, ihnen prozentual immer noch mehr Sitze beschert hätte, als ihnen mit Blick auf die Einwohnerzahl zugestanden wären.
Der Abschied von der antiquierten Teilortswahl kratzte nicht allein am Frieden zwischen Dorf und Stadt, auch innerhalb der CDU-Fraktion war er durch die fünf Abweichler aus dem Gleichgewicht geraten. Das kam erst wieder durch die nächste Gemeinderatswahl im Juni 1994 ins Lot.