Lange Wartezeiten in den Notaufnahmen, eine hohe Krankheitswelle in der Bevölkerung, aber auch bei Mitarbeitern im Gesundheitswesen – in der Folge gerät nun auch die Notfallversorgung am Hochrhein an ihre Grenzen. „Die Rettungsdienste können in Regelmäßigkeit ihre Patienten nicht wie gewohnt an Krankenhäuser übergeben, weil diese mehr und mehr aus Kapazitätsengpässen eine Aufnahme verweigern“, beschreibt Riccardo Lardino vom landesweit tätigen Verein Inside-Team die aktuelle Situation.
Verzweifelte Suche nach freier Notaufnahme
Riccardo Lardino berichtet gegenüber dem SÜDKURIER von einem Fall, der tragisch endete: „Für einen kritischen Patienten mussten wir nach 40 Minuten Behandlungszeit noch etwa 20 Minuten herumtelefonieren, bis wir endlich einen aufnahmebereites Krankenhaus außerhalb des Landkreises gefunden hatten. Nach 50 Minuten Fahrtzeit im Schneetreiben, vorbei an drei abgemeldeten vollen Krankenhäusern, war der Patienten im Krankenhaus leider nicht mehr zu retten.“
Ob das Menschenleben hätte gerettet werden können, kann Lardino natürlich nicht sagen, dennoch hält er den Fall für symptomatisch. Immer wieder stehen die Rettungsdienste vor der verzweifelten Suche nach einer freien Notaufnahme, die am Ende nur in weiter Entfernung zu finden ist.
Was sagt das Deutsche Rote Kreuz?
Der Bad Säckinger DRK-Kreisvorsitzende Peter Hofmeister sieht mehrere Ursachen für die aktuell extrem prekäre Situation. Zum einen sei es ein „strukturelles Problem, dass wir das System in den vergangenen Jahren an die Wand gefahren haben“, kritisiert Hofmeister die Gesundheitspolitik – und auch die Kassenärztliche Vereinigung. Dass es heute weniger Klinikbetten gebe, sei schließlich „politisch gewollt“, sagt Hofmeister und verweist auf die Zentralisierung im Krankenhauswesen.

Rettungsdienst nur bei lebensbedrohlichen Fällen alarmieren
Auch die Zahl der Hausärzte habe deutlich abgenommen, so dass viele Menschen gar keinen Hausarzt mehr haben, weil sie nicht mehr aufgenommen werden. „Aber auch diese Menschen werden einmal krank und suchen dann die Notaufnahmen der Spitäler auf oder rufen den Rettungsdienst“, berichtet Hofmeister. Der Rettungsdienst sollte aber nur bei lebensbedrohlichen Fällen alarmiert werden. Der richtige Ansprechpartner wäre in vielen Fällen die telefonische Hotline der Kassenärztlichen Vereinigung 116117, die aber chronisch überfordert sei. „Am Ende sind wir der letzte Nagel, der das System noch zusammenhält“, so der DRK-Vorsitzende Hofmeister, der auch Vorsitzender des Bereichsausschusses für den Rettungsdienst im Landkreis Waldshut ist.
Zu diesen strukturellen Fehlentwicklungen kommt nun die aktuell enorm hohe Welle von Atemwegserkrankungen hinzu, die sich nach fast drei Jahren Pandemie mit größter Virulenz ausbreiten. „Da hat es die Krankenhäuser richtig böse erwischt“, so Hofmeister. Nicht nur, weil die Kliniken voll belegt sind, sondern auch, weil sich mittlerweile selbst Teile des Personals krank melden.
Notfallversorgung sei noch nie so schwierig gewesen
Beide Faktoren gemeinsam führen in der Notfallversorgung zur „schwierigsten Situation, die ich bis jetzt erlebt habe“, sagt Horst Schwarz, Leiter des Bad Säckinger Rettungsdiensts. „Auf einem Display in jedem Rettungs- und Notarztwagen können die Rettungssanitäter sehen, welche Krankenhäuser überhaupt noch Patienten aufnehmen‘, erklärt Schwarz.

Auch in der Schweiz sind die Notaufnahmen voll
Seit Beginn der Grippewelle Ende Oktober kommt es immer häufiger vor, dass sich nahezu alle Krankenhäuser in der näheren und weiteren Umgebung bei dem Rettungssystem abgemeldet haben. Lebensbedrohliche Fälle werden zwar jederzeit aufgenommen, bei mittelschweren Fällen wird aber die Aufnahme verweigert und auf andere Spitäler verwiesen. „Das ist kein regionales Problem, sondern betrifft das ganze Land“, weiß Horst Schwarz. Selbst die Schweizer Spitäler seien voll und wollten keine Patienten mehr aufnehmen. „Da nützt auch keine private Zusatzversicherung“, so Schwarz.
Rettungswagen bleibt blockiert, wenn Patienten nicht aufgenommen werden können
Für den Rettungsdienst heißt es dann: Jedes Spital abtelefonieren, um den Patienten doch noch an ein Krankenhaus übergeben zu können. Teilweise dauert dies eine halbe Stunde, hinzu kommt die Anfahrt eines weit entfernten Spitals – so lange ist der Rettungswagen für andere, möglicherweise schlimmere Fälle blockiert. „Es ist absehbar, dass wir für einen richtigen Notfall nicht mehr einsatzbereit sind, weil alle unsere Kräfte gebunden sind“, beschreibt Schwarz das schlimmste Szenario. Den Krankenhäusern will Schwarz dabei keinen Vorwurf machen, die seien ja selbst am Rande ihrer Leistungsfähigkeit.

Und wie soll es weiter gehen? „Wir versuchen, bis 10. Januar irgendwie über die Runden zu kommen“, sagt Peter Hofmeister. Dann sei ein Gespräch mit der Kassenärztlichen Vereinigung und allen Beteiligten geplant, um grundsätzliche Änderungen im System zu erreichen. „Das werden wir nicht von heute auf morgen schaffen. Es ist aber notwendig“, so Hofmeister.
Was sagen die Krankenhäuser?
Stefan Kortüm, Chefarzt der zentralen Notaufnahme am Klinikum Hochrhein in Waldshut, bestätigt, dass sich das Klinikum immer wieder tage- oder stundenweise abgemeldet hat. „Jederzeit von der Einschränkung ausgenommen waren jedoch akut lebensbedrohliche Notfälle (Schockraum) und sehr zeitkritische Ereignisse (Herzinfarkt, Schlaganfall) – diese wurden zu jeder Zeit versorgt. Darüber hinaus erfolgten immer wieder ganz konkrete Einzelfallentscheidungen in Absprache mit dem Rettungsdienst“, so Kortüm.
So handhaben es auch die Kliniken im Kreis Lörrach, deren Notaufnahmen ebenfalls am Rande ihrer Leistungsfähigkeit stehen. Beim jüngsten Eisregen wurde deshalb kurzfristig im Lörracher Burghof ein zusätzlicher Behandlungsplatz aufgebaut, um die Verteilung der zahlreichen Patienten auf die Krankenhäuser besser koordinieren zu können.
Spitäler sind durch Grippewelle maximal ausgelastet
Die Gründe für die Überlastung der Spitäler „liegen in erster Linie an andauernden hohen Patientenzuströmen und einem hohen Krankenstand seitens der Mitarbeiter. Beides hängt wesentlich mit der aktuell sehr heftigen Welle an Atemwegserkrankungen und der COVID-Erkrankungen samt Quarantänepflicht zusammen“, erklärt der Waldshuter Klinik-Geschäftsführer Hans-Peter Schlaudt und ergänzt: „Das Klinikum Hochrhein ist seit rund vier Wochen maximal ausgelastet, das heißt, alle verfügbaren und mit dem vorhandenen Personal betreibbaren Betten waren und sind belegt, natürlich mit tagesaktuellen Schwankungen im Rahmen von Entlassungen“, Corona spiele immer noch eine große Rolle.
Corona spitzt die Lage im Klinikum zu
„Die für Coronafälle vorgesehene Station ist seit mehr als zwei Wochen voll- bzw. überbelegt und fordert den dort tätigen Mitarbeitern hohen Einsatz ab. In der vergangenen Woche wurden zusätzlich noch Zimmer auf einer weiteren Station rekrutiert, da die Lage sonst nicht beherrschbar gewesen wäre. Diese Betten stehen daher insgesamt für eine reguläre Patientenversorgung nicht mehr zur Verfügung und fehlen ebenfalls für den Abfluss aus der Notaufnahme. Es gilt hierbei jedoch zu beachten, dass die isolierten Patienten nicht primär wegen Corona – sondern wegen anderweitiger Erkrankungen bei uns behandelt werden, auf Grund der zusätzlichen Infektion mit COVID-19 jedoch entsprechend der Vorgaben isoliert- und behandelt werden müssen.“
Patienten werden teilweise aggressiv
Wie das DRK sieht auch Klinik-Geschäftsführer Hans-Peter Schlaudt eine Ursache für die Misere in der schlechten Hausarztversorgung. „Die Ressourcen der Zentralen Notaufnahme werden nach wie vor durch Patienten gebunden, die keiner Krankenhausbehandlung bedürfen und in einer Arztpraxis gut zu versorgen wären.“ Teilweise komme es gegenüber dem Krankenhauspersonal zunehmend zu einem sehr fordernden und aggressiven Auftreten, beispielsweise Drohungen mit Anwälten. Ein Phänomen, das auch DRK-Rettungsdienstleiter Horst Schwarz nicht fremd ist. Bei Menschen, die mit dem Gesundheitswesen wenig vertraut seine, herrsche teilweise ein „regelrechtes Anspruchsdenken“, so Schwarz. „Diese Menschen werden aggressiv, wenn wir ihnen nicht die gewünschten Medikamente vorbeibringen.“
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