Frau Klaas, am 8. März ist Weltfrauentag. Warum gibt es diesen Aktionstag?
Am 8. März 1908 haben New Yorker Textilarbeiterinnen für das Recht zu wählen, kürzere Arbeitszeiten, höhere Löhne und mehr Arbeitsschutz demonstriert. Daraus ist der internationale Weltfrauentag entstanden, der auch lange Frauenkampftag genannt wurde.
Wofür gilt es heute noch zu kämpfen?
International gesehen sind in Zeiten von Kriegen und politischen Unruhen vor allem Frauen und Kinder die Leidtragenden. Frauen werden wieder zunehmend in ihren Rechten beschnitten, die Situation hat sich in vielen Ländern verschlechtert. Auch darauf will der internationale Weltfrauentag aufmerksam machen. Gewalt gegen Frauen war schon immer ein großes Thema – auch in Deutschland, dem jedoch durch Migration wieder andere Beachtung zukommen muss.
Wofür sollten wir in unserer Region außerdem kämpfen?
Für Anliegen wie „Mehr Frauen in die Politik“ und für gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Zwar wurde in den letzten 116 Jahren hierzulande viel erreicht. Frauen dürfen seit 1919 ebenso wählen wie Männer, es gibt mittlerweile mehr Frauen in Führungspositionen, Frauen dürfen Hosen tragen, Verträge abschließen, studieren und zumindest bei uns selbstbewusst und frei über ihre Leben bestimmen – das war nicht immer so. Aber in der Politik sind aktive Frauen leider immer noch unterrepräsentiert.
In diesem Jahr stehen Kommunalwahlen an. Wie sieht es aktuell mit Frauen in der Politik im Landkreis aus?
Mehr als 125 Gemeinderätinnen sind aktuell in den 32 Kommunen des Landkreises aktiv. Aber leider bekomme ich aus vielen Gemeinden zurzeit die Rückmeldung, dass weniger Frauen kandidieren möchten, als noch vor fünf Jahren. Ich denke, ein Grund dafür ist, dass die politische Stimmung auch international aggressiver geworden ist. Hinzu kommen öffentliche Debatten in Sozialen Medien (Stichwort: „Shitstorm“). Viele Frauen möchten sich dieser rauen Atmosphäre und diesen Machtkämpfen nicht aussetzen und engagieren sich stattdessen lieber in sozialen Einrichtungen in ihrer Gemeinde.
Was ist Ihr Plädoyer an alle?
Wer kandidiert, hat die Möglichkeit, diese Stimmung positiv zu verändern. Und es braucht Frauen in der Politik, weil sie ihre Sichtweise und die Vielfalt unserer Gesellschaft einbringen. Frauen und Männer haben in der Kommunalpolitik gleichermaßen die Chance, ihren eigenen Alltag zu verändern und mitzugestalten – von der Kindergartengebühr bis hin zu allen Aspekten der Wohnzufriedenheit.
Sie sind seit 24 Jahren Gleichstellungsbeauftragte. Was sind Ihre Aufgaben?
Nicht, wie so oft vermutet, nur Frauenförderung, sondern auch bewusste Männerarbeit gehören zu meinen Aufgaben. Alle Geschlechter haben ihre geschlechtsspezifischen Themen und Problematiken, die es zu erkennen, zu erforschen und anzugehen gilt. Es geht darum, dass wir in jeder Verwaltungstätigkeit schauen, wie diese Männer und Frauen jeweils unterschiedlich betrifft und erreicht. Das Ziel ist die Förderung von Chancengleichheit.
Haben Sie konkrete Beispiele?
Um in der Berufswahl Perspektiven zu schaffen, müssen Mädchen auch für technische Berufe begeistert werden und Jungs sich im Sozialen engagieren. Ganz pragmatische Dinge gehören dazu, wie etwa eine Damentoilette in Handwerksbetrieben. Für Väter habe ich eine Broschüre entwickelt, die über Elternzeit und weitere Themen informiert – und so vielleicht dazu inspiriert, den eigenen Alltag jenseits der klassischen Rollenvorstellungen zu gestalten. Dass der Begriff Gender oft fehlinterpretiert und verteufelt wird, ist schade. Denn zunächst geht es dabei lediglich um die soziokulturellen Geschlechterrollenzuschreibungen im Alltag, die uns oft unbewusst in unseren potenziellen Möglichkeiten einschränkt.
Woran erkennen Sie, dass hier die Chancengleichheit noch nicht erreicht ist?
Auf dem Papier sind wir heute sicher gleichberechtigt. Aber wenn man Kinder in der Schule fragt, was sie später werden wollen, sagen Mädchen auch heute noch oft „Mutter“ und Jungs „Hubschrauberpilot oder Feuerwehrmann“. Dazu beizutragen, eben diese stereotypen Rollenzuschreibungen aufzulösen und allen Geschlechtern die Vielfalt der Möglichkeiten aufzuzeigen, ist wichtig. Aber ich erkenne auch erfreuliche Tendenzen: Wir haben im Landkreis mittlerweile viele junge Försterinnen und zum Beispiel auf dem Jugendamt mehr männliche Bewerber – das zeigt, dass sich bei den jungen Generationen schon viel getan hat.
Am 9. März laden anlässlich des Weltfrauentages zu einem Erzählabend sein. Welches Thema haben Sie gewählt?
‚Den Vorhang lupfen – Frauen und ihr verborgenes Wirken in der Welt‘ ist das Thema des Erzählabends zum Weltfrauentag. An diesem Abend stellen uns die Erzählerinnen Dorle Harrison und Sandra Lass einzelne Geschichten von Frauen vor, die etwas Wichtiges erfunden oder bewirkt haben, aber damit nicht sichtbar gemacht wurden – teils aus der Region. Es wird also wirklich „der Vorhang gelupft.“

Warum ist das Wirken von Frauen in der Geschichte oft unbekannt?
Frauen mussten noch vor 50 bis 70 Jahren ein männliches Pseudonym, also einen männlichen Namen haben, um Bilder zu malen, Bücher zu schreiben und ihre Meinung in der Öffentlichkeit kundzutun. Das konnten sie nicht als Frauen mit ihrer echten Identität tun. Es gibt viele Frauen, die in der Geschichte Großes geleistet haben, aber eben leider im Verborgenen – versteckt hinter ihren Männern oder männlichen Namen. Deshalb haben wir uns für dieses besondere Thema entschieden.
Was wird an diesem Abend zusätzlich geboten?
Frauengruppen und Institutionen aus der Region werden mit Infoständen vertreten sein. Außerdem werden Vertreterinnen von Amnesty International an diesem Abend eine Petition für eine bedrohte Frau vorstellen. Am Internationalen Frauentag ist es mir auch immer ein Anliegen, den Blick in die Welt hinaus zu richten.
Geschlechtsspezifische Wortwahl wird zunehmend zum Streitthema. Warum ist bewusste Sprache aus Ihrer Sicht relevant?
Wenn in einem Text klar sein soll, dass es sich um einen Mann oder eine Frau handelt, dann muss man es benennen. Ein Beispiel: Ich hatte vor Jahren zu einem „Existenzgründer-Tag“ eingeladen. Es kamen rund 40 Männer und circa 20 Frauen. Kurze Zeit später hatte ich einen „Existenzgründerinnen-Tag“ organisiert. Es kamen tatsächlich über 160 Frauen. Warum? Klar waren die Inhalte ein wenig angepasst, aber, auch wenn viele glauben, Frauen würden sich bei der männlichen Form ebenso angesprochen fühlen, zeigt dieses Beispiel, dass sich Frauen unbewusst selbst ausklammern, wenn nur die männlichen Form genutzt wird. Sensible Sprache ist wichtig, weil sie über Ausschluss oder Teilhabe entscheiden kann. Frauen und ihr Wirken in unserer Gesellschaft sichtbar machen können wir unter anderem mit unserer Sprache!
Was kann jede und jeder einzelne in seinem Alltag für Chancengleichheit tun?
Seinen Mitmenschen ohne Vorurteile und eigene Schranken im Kopf begegnen.