Oberhalb des Landschaftsschutzgebietes Thimos in Oberhof befindet sich der Stellekopf, ein Aussichtspunkt mit Blick auf die Ruine Wieladingen. Der Aufstieg zieht sich hin, ist aber nicht beschwerlich. Oben angelangt, gibt der Stellekopf noch eine andere Attraktion preis: eine hohe, schlanke, aus Steinen gemauerte Skulptur, auf deren Spitze eine Muschel aus Bronze liegt. Nicht weit davon, in Bad Säckingen, ist ein ähnliches Werk zu sehen: Ein meterhoher Sitz, zu dem zehn Stufen hinaufführen.

Ein Vollblutmaler

Während die Skulptur auf dem Stellekopf zum Betrachten gedacht ist, kann diejenige in Bad Säckingen wie ein Thron zum Sitzen benutzt werden. Geschaffen hat die beiden Werke kein Bildhauer, sondern ein Vollblutmaler: Stefan Bergmann, 75, mehrfach ausgezeichnet, über die Region hinaus für seine Kunst bekannt und geschätzt. Bergmann lebt mit seiner Frau Franziska quasi am Fuß des Stellekopfs im ältesten Haus von Oberhof. Dort malt er seine Bilder, dort bereitet er Ausstellungen vor, dort befindet sich das Lager. Das Atelier ist aufgeräumt, an den Wänden hängen nur wenige Bilder. Darunter eines mit einer sich brechenden Welle. Täuschend echt gemalt, nur das Rauschen des Wassers fehlt.

Und schon ist der Bezug zur Muschel auf der steinernen Skulptur über dem Murgtal da. „Das ist mein Seelenzustand“, sagt er, „zum Beispiel die Sehnsucht nach dem Meer“. Um diese Sehnsucht zu stillen, braucht er in kein Flugzeug zu steigen. Er ist zwar ordentlich in der Welt herumgekommen, war unter anderem in Indien, Japan und lebte auch England. Aber eigentlich hat er das Reisen nicht nötig, denn es kann in seinem Inneren stattfinden. Er holt das Meer nach Oberhof, bändigt es mit wenigen Farben, lässt durch die Wellen hindurchblicken. Viele seiner Werke haben eine symbolhafte Bedeutung, aber bei ihm ist das Meer einfach nur das Meer. Mit all seiner Schönheit und Unberechenbarkeit.

Meerbilder von einer immensen Leuchtkraft: Die „Sturmwelle“ von Stefan Bergmann.
Meerbilder von einer immensen Leuchtkraft: Die „Sturmwelle“ von Stefan Bergmann. | Bild: Peter Schütz

Stefan Bergmann, Jahrgang 1946, geht sparsam mit den Mitteln um. Was vielleicht damit zu tun hat, dass er unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs zur Welt gekommen ist. „Farbe ist für mich etwas Kostbares“, verrät er, „für meine Bilder brauche ich kaum Farbe“. Die Farben stellt er selbst aus Pigmenten und Bindemittel, vorwiegend Acryl, her, zum Malen benötigt er nur Wasser, keine Chemikalien. Seine Sparsamkeit wird auch anhand seiner Pinsel deutlich. Er verwende am liebsten alte Pinsel, erklärt er, „da ist die Spannung drin wie bei einem Geigenbogen“.

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Je nach Stimmung trägt er eine Grundfarbe auf die auf Keilrahmen gespannte Leinwand auf. Vielleicht bleibt es dabei, vielleicht wird, wie neuerdings, ein Porträt daraus. Bergmann geht manchmal ohne Absicht vor. Den Arbeitsdruck hat er abgelegt, von der Produktion großer Formate hat er sich verabschiedet. „Man muss nicht immer nur große Bilder malen“, findet er, „man kann auch kleine Bilder malen“. Qualität ist bei Bergmann keine Frage des Formats. Sein malerisches Knowhow vermag er auf handlichen Quadraten genauso ausspielen wie auf den wandfüllenden Werken.

Stefan Bergmanns Bild von einer Buche im Murgtal.
Stefan Bergmanns Bild von einer Buche im Murgtal. | Bild: Peter Schütz

Stefan Bergmann malt immer schon meist monochrom. Darin hat er es zu einer seltenen Meisterschaft gebracht. Eine Farbe genügt ihm, um eine ganze Welt zu schaffen. Auch Schwarz gehört in sein Repertoire. Tiefes, mattes Schwarz. „Es gibt unendlich viele Schwarztöne“, weiß Bergmann. Und: „Mit Schwarz kann man weit kommen.“ Bergmann ist jedoch kein Schwarzmaler. Gerade seine Meerbilder sind von einer immensen Leuchtkraft. Ebenso seine Bilder aus dem Murgtal, die mit einem Hauch von Grau oder Grün auskommen. Seine Inspiration zieht er aus seiner Heimat, ohne dadurch ein Heimatmaler zu sein. Er zieht sie auch aus den afrikanischen Masken, die er gesammelt hat, und aus seinem Faible für das Exotische, Fremde, wie es lange vor ihm dem französischen Maler Paul Gaugin ergangen ist. „Jedes Bild hat eine Geschichte“, sagt Bergmann, „zusammen ergeben sie einen Roman“. Ein Roman, der sich durch ein erfülltes Malerleben mit vielen Stationen windet und dessen Ende offen ist.