Jeder zweite Deutsche kann sich vorstellen, auszuwandern. Am liebsten nach Spanien, Schweiz, Österreich, Schweden, Kanada. Verständlich, diese Länder sind mindestens genauso schön wie Deutschland, und es lockt das Fremde, das Neue, das Abenteuer. Die kanadische Wildnis!

Doch das Auswandern ist viel schwieriger, als man es sich vorstellt. Fernsehsendungen wie „Goodbye Deutschland“ suggerieren, dass in der Ferne alles toll und einfach sei. Das gilt besonders für prominente Auswanderer, die das nötige Geld haben und Probleme fernhalten. Sie zeigen aber auch viele Beispiele des Scheiterns, besonders bei den weniger prominenten Personen. Nach ein paar Monaten sind sie wieder zurück unter dem deutschen Betonhimmel, der Sender hat sein Drama – und der Zuschauer ein Lächeln im Gesicht.

Wer etwa nach Spanien auswandert, Hauptwunschland der Deutschen, der muss nicht nur seinen gesamten (oder wenigstens halben) Hausstand mitnehmen, sondern sich auch durch die Bürokratie des neuen Landes kämpfen. Sprich: erst einmal anmelden.

Vergiss nie die NIE!

Das fängt mit der sogenannten NIE an, der „Número de Identificación de Extranjero“. Man muss sich also als ein Ausländer registrieren, ganz gleich, ob man aus Deutschland (immerhin durch die Europäische Union mit Spanien stark verpartnert) kommt oder aus Kolumbien.

Um in Spanien die Ausländeridentifikationsnummer (herrlich langes, deutsches Wort!) zu erhalten, muss der Auswanderer einen Termin bei der Ausländerbehörde vereinbaren. Das geht hauptsächlich online über die Seite des spanischen Innenministeriums.

Wer kein Spanisch kann, ist im Nachteil. Um den Termin buchen zu können, benötigt man eine spanische Handynummer. Aber woher bekommen? Dazu braucht es eigentlich erst einmal die NIE, die Ausländeridentifikationsnummer. Ohne die geht in Spanien nichts. Sie ist Voraussetzung für den Handyvertrag, den Mietvertrag, den Autokauf.

Ohne Handy ist man in Spanien schnell aufgeschmissen. Den passenden Vertrag aber gibt es nur mit der „Número de Identificación de ...
Ohne Handy ist man in Spanien schnell aufgeschmissen. Den passenden Vertrag aber gibt es nur mit der „Número de Identificación de Extranjero“. | Bild: Gustavo Valiente

Als ich 2021 für eineinhalb Jahre nach Spanien zog, habe ich einen Freund gefragt, ob ich seine Handynummer angeben kann. Eine SMS kam auf sein Handy, und ich hatte einen der wenigen Termine bei der Ausländerbehörde ergattert: in vier Wochen. Das war gerade ausreichend und kurz bevor ich meinen Arbeitsvertrag unterschreiben sollte.

Spanien ist toll. Aber den Zahlen zufolge ziehen die Deutschen lieber in die Schweiz und nach Österreich. Für diese Länder muss man keine neue Sprache, sondern nur Dialekte lernen, wenn überhaupt. Häufig zieht es die Deutschen wegen eines neuen Jobs in die Ferne, manchmal aber auch nur der Sehnsucht wegen. Wer zum ausländischen Sitz seiner deutschen Firma wechselt, hat einen Vorteil. Er ist eingearbeitet und kennt vermutlich bereits Kollegen. Das erleichtert das Auswandern.

300.000 Deutsche verlassen das Land

Im Jahr 2023 lag die Zahl der Menschen, die Deutschland verlassen haben, bei 1,3 Millionen. Dazu zählten eine Million Ausländer, die für gewöhnlich in ihr Heimatland zurückkehrten: nach Rumänien, Bulgarien, Polen. Die Zahl der Deutschen, die weggingen, lag bei 300.000. Das ist einer der höchsten Werte der vergangenen Jahre.

Seit 2016 gibt es stets zwischen 250.000 und 300.000 „Wanderungen“, wie das Statistische Bundesamt dieses Phänomen nennt. Während der Corona-Pandemie war dieses Bloß-weg-Denken noch ausgeprägter. Vielen gefielen die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie nicht. Sie zog es besonders nach Mittel- und Südamerika. Nach Paraguay beispielsweise.

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Für meinen Umzug nach Mallorca hätte ich mir von einer Auswanderberaterin helfen lassen können. Doris Kirch ist auf Mallorca bekannt und erscheint immer wieder im deutschen Fernsehen, wenn es um die Insel geht. Sie hat die Facebook-Gruppe „Auswandern nach Mallorca (Anregungen und Tipps von Auswanderern)“ gegründet, 28.000 Mitglieder.

Doris Kirch hilft bei Behördengängen, übersetzt, vermittelt, macht Termine. Agenturen wie ihre sind zahlreich, nicht zuletzt für die Schweiz. Das zeigt: Auswandern ist gar nicht so einfach.

Kinder profitieren besonders

Doch nun zu den schönen Seiten des Auswanderns. Wer den Weg ins Ausland gewagt hat, profitiert von vielem. Da ist zum einen die Sprache: Es erfrischt und bereichert, eine Fremdsprache komplett neu zu lernen oder zu verbessern. Spricht der Auswanderer im neuen Land den halben Tag Französisch, Englisch, Spanisch, Dänisch oder Holländisch, ist das gewinnbringend.

Je mehr Fremdsprache er in seinen Alltag integriert, desto höher ist der Lernfortschritt. Die neue Sprache festigt sich durch das Lesen von Verkehrsschildern, dem Radiohören, dem Lesen von Zeitung oder Etiketten von Produkten im Supermarkt. Auch ein Aufenthalt im Ausland von nur drei Monaten kann die Sprachkenntnisse enorm verbessern.

Hier bietet jemand kostenlose tierärztliche Versorgung an: Im Alltag Schilder lesen zu müssen, schult das Sprachvermögen.
Hier bietet jemand kostenlose tierärztliche Versorgung an: Im Alltag Schilder lesen zu müssen, schult das Sprachvermögen. | Bild: Rober Solsona

Wer der Kinder wegen davor zurückschreckt, ins Ausland zu ziehen, dem sei gesagt: Kinder profitieren davon noch mehr als Erwachsene. Sie wachsen in zwei Kulturen, mit zwei Sprachen auf. Sie können auch ohne Kenntnisse der Fremdsprache auf die neue Schule gehen.

Nach einer Woche sind sie bereits in der Lage, erste Sätze sprechen; sie lernen beim Zuhören, Zuschauen, Erleben der Atmosphäre. Haben sie erst einmal Freunde gefunden, ist der Spracherwerb ein Selbstläufer. Sorgen beim Auswandern mit Kindern könnte eher das Heimweh bereiten. Aber das lässt sich kompensieren, indem man im neuen Land kurz nach der Ankunft schöne Ausflüge unternimmt und dabei die Vorzüge des neuen Landes erlebt.

Es geht meist lockerer zu

Ein weiterer großer Vorteil des Auswanderns ist es, in eine andere, meist neue Kultur einzutauchen. Das gilt selbst für die Schweiz und Österreich. In vielen Ländern, besonders in südeuropäischen, geht es einfach lockerer zu als bei uns. Wer auswandert, muss sich im Ausland in Situationen zurechtfinden, die ihm erst einmal schwierig vorkommen.

Als ich auf Mallorca lebte, hatte ich besonders mit dem Lärm der Nachbarn zu kämpfen. Bei uns in Deutschland herrscht um 22 Uhr Nachtruhe. In Spanien dagegen läuft um diese Zeit noch Musik auf der Terrasse. Mein direkter Nachbar unter mir hörte häufig laut Musik über sein Handy. Ich wies ihn von oben freundlich darauf hin, ob er nicht zumindest seine Terrassentür schließen könne? Er tat es zwar, aber sein Handy dröhnte weiter.

Auf Mallorca geht es nachts oft geräuschvoll zu.
Auf Mallorca geht es nachts oft geräuschvoll zu. | Bild: CLARA MARGAIS

Die Wände vieler Häuser in Spanien sind sehr dünn und schlecht gegen Schall isoliert. Ich hörte deshalb auch, wie derselbe Nachbar um 23 Uhr gegen einen Box-Sack schlug, Sex hatte, telefonierte. Einmal legte ich ihm eine Packung deutscher Kinder-Riegel vor die Tür. Zum Dank dafür, dass er eine Woche wirklich leise war. Seine Antwort: Er ist die Woche gar nicht dagewesen!

Als ich hörte, dass er nach einem halben Jahr wegziehen würde, zurück auf seine Heimatinsel Ibiza, konnte ich mein Glück kaum fassen. Doch dann fing auf Mallorca der Sommer so richtig an, und alle anderen Nachbarn hatten abends und nachts die Fenster offen. Ich wohnte in einem Innenhof im Stadtzentrum von Palma und hatte zehn bis fünfzehn Wohnungen um mich herum.

Typisch deutsch!

Ungefähr acht Nachbarn sprach ich wegen irgendetwas an. Typisch Deutsch halt, meint man. Einmal waren es die ständig bellenden Hunde, dann die laute Hausparty, ein anderes Mal die Waschmaschine um 7.30 Uhr direkt hinter meiner Schlafzimmerwand. Auch dieser Nachbarin schenkte ich Schokolade aus deutscher Fertigung. Hat nicht viel gebracht.

Das alles soll das Leben in einem anderen Land nicht schlechtreden. Es war trotzdem eine tolle Zeit auf Mallorca. Man muss sich allerdings auf Schwierigkeiten und Probleme einstellen. Und darauf, dass deren Lösung langwieriger sein kann als in Deutschland, wo es häufig einen guten Kundenservice gibt und man sich einig ist, verlässlich und pünktlich zu sein.

Letztens bat ich unsere deutsche Gemeinde per Mail, festklebenden Müll von der Straße vor unserem Haus zu entfernen. Schon nach ein paar Stunden kam ein Mitarbeiter des Bauhofs: Tipptopp! Ob das in Spanien, Schweden, Kolumbien, Indonesien auch so gelaufen wäre?