Dora Schöls

In einem Notfall im Zug festzusitzen und aus eigener Kraft nicht aussteigen zu können – das hat ein Lörracher Rollstuhlfahrer in einem ICE erlebt. Als er Ende Januar von Basel nach Hannover fuhr, wurde der Zug wegen einer Bombendrohung komplett geräumt. Oskar Sommer aber musste im Zug bleiben – weil niemand da war, der den Hublift bedienen konnte oder durfte. Der Rollstuhlfahrer ist wütend – die Bahn entschuldigt sich, die Polizei sieht bei sich keine Fehler.

Sehr oft sei er in Zügen unterwegs, erzählt der 36-jährige Oskar Sommer. „Ich liebe die Bahn, das ist mein Beförderungsmittel.“ Er kenne sich gut aus mit den Verbund- und Ticketsystemen, er habe sogar bei Projekten mit der Bahn zusammengearbeitet, etwa bei der Organisation einer Rollstuhlrampe im Badischen Bahnhof Basel. Normalerweise sei die Bahn immer sehr offen, es habe sich viel getan in den vergangenen Jahren. Umso enttäuschter sei er von den Ereignissen Ende Januar.

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Etwa eine Stunde habe sein ICE im Bahnhof Frankfurt Süd gestanden, während die Polizei den Zug nach einer möglichen Bombe durchsuchte. Währenddessen stand ein Polizist die ganze Zeit neben Sommer, der dessen Funk mithören konnte. „Einer hat gesagt, da sei ein Koffer ohne Namen. Da habe ich schon Angst bekommen“, sagt Sommer. Einen Hublift, mit dem man den Rollstuhl aus dem Zug hätte heben können, gab es wohl – aber niemanden, der ihn bedienen konnte oder durfte.

Der Schaffner habe zu Sommer gesagt, dass er dazu nicht befugt sei, so der 36-Jährige. Zudem habe es am Bahnsteig ohnehin keinen Fahrstuhl gegeben, sodass Sommer auch nicht vom Bahnsteig gekommen wäre. Das bestätigt die Polizei. Ein Sprecher teilt auf Anfrage mit, dass der Einsatzleiter entschieden habe, den Rollstuhl erst per Hand aus dem Zug zu heben, wenn tatsächlich etwas Verdächtiges gefunden würde. Dann hätte man den 36-Jährigen auf jeden Fall herausgehoben, was sich aber aufwendig gestaltet hätte, da der Rollstuhl so groß sei.

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Sommer findet, das Verhalten der Polizei sei trotzdem nicht in Ordnung. Man hätte die Feuerwehr rufen müssen, damit die ihm aus dem Zug helfe. „Die Bahn und die Polizisten waren mit der Situation völlig überfordert. Die haben wohl nicht viel Kontakt mit Menschen mit Behinderung“, vermutet Sommer. „Das ist ein schreckliches Gefühl, plötzlich keine Hilfe mehr zu bekommen und nicht laufen zu können.“

Gutschein als Wiedergutmachung

Sommer glaubt zwar, wenn man gewusst hätte, dass wirklich eine Bombe im Zug wäre, hätte man ihn irgendwie aus dem Zug geholt. Aber er sagt auch: „Das kann ich so nicht stehen lassen. Ich traue mich nicht mehr in einen ICE, weil ich nicht weiß, ob ich gerettet werde, wenn etwas passiert.“

Als klar war, dass keine Bombe im Zug sei, wollte Sommer die Fahrt zunächst abbrechen, sei dann aber doch bis Hannover weitergefahren. Dort habe er den Mobilitätsservice kontaktiert und von den Erlebnissen erzählt. Man habe ihm recht gegeben, die Polizisten hätten die Feuerwehr rufen sollen. Er selbst sei wegen der Aufregung nicht auf die Idee gekommen. Zudem bekam Sommer einen Gutschein über 30 Euro zur Wiedergutmachung. „Das ist ja ganz nett, aber ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen“, kommentiert Sommer. Eine Sprecherin der Bahn sagt auf Anfrage, jeder Reisende könne sich an Bord der Züge sicher fühlen – auch Reisende mit Mobilitätseinschränkungen. „Unsere Notfallkonzepte sehen selbstverständlich auch die Evakuierung von Rollstuhlfahrern vor. Wir bedauern sehr, dass dies im Falle von Herrn Sommer nicht geklappt hat und bitten dafür um Entschuldigung.“

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Man werde den Fall zum Anlass nehmen, die Richtlinien und Abläufe auf den Prüfstand zu stellen. Darüber hinaus werde man nochmals auf Oskar Sommer zugehen, um ihm eine weitere Wiedergutmachung anzubieten. Sommer hält diese Stellungnahme für „scheinheilig“, er könne darüber nur den Kopf schütteln. Er wolle von der Bahn kein Geld, er wolle sie darauf hinweisen, dass da scheinbar ein Konzept nicht ausgereift sei. Er könne sich auch vorstellen, der Bahn dabei zu helfen, ihr Konzept zu verbessern, sagt Sommer, der Mitglied im Lörracher Behindertenbeirat ist. Er wolle wieder ohne Angst Zug fahren können.

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