Pendeln am Hochrhein kann eine äußerst nervenaufreibende Sache sein. Das erfahren tausende Menschen in der Region jeden Tag aufs Neue. Auf den Straßen kommt es in den Stoßzeiten immer wieder zu Staus, die Autofahrer auf eine erhelbliche Geduldsprobe stellen.
Und auch die Nutzung des Öffentlichen Verkehrs ist nicht gerade vergnügungssteuerpflichtig, schließlich stehen gerade im Bahnverkehr auf der Hochrheinstrecke Ausfälle und Verspätungen an der Tagesordnung. Die Fahrt zur Arbeit ist also mit erheblichen Belastungen verbunden.
Sie kann sogar regelrecht in Stress ausarten und schlimmstenfalls körperliche und psychische Probleme verursachen. Was Ursachen dafür sind, dass Pendeln regelrecht krank macht und welche Strategien dabei helfen, einen kühlen Kopf zu bewahren, darüber sprachen wir mit Professor Doktor Christoph Bielitz, Ärztlicher Direktor des Bad Säckinger Sigma-Zentrums sowie Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Naturheilverfahren und Suchtmedizin.

Was sind die Ursachen von Stress beim Pendeln?
"Pendeln ist nie allein die Ursache für Stress", schildert Christoph Bielitz. Natürlich seien Staus immer ärgerlich, denn sie versinnbildlichen gewissermaßen das Gegenteil des gesellschaftlichen Lebens, das auf Fortschritt und Geschwindigkeit ausgelegt ist.
Auch ein verspäteter oder verpasster Zug sorge selten für Vergnügen. Der eigentliche Stress entstehe allerdings dann, wenn weitere Faktoren wie beruflicher Druck, Terminkolissionen oder private Herausforderungen hinzukommen, so Bielitz.
Welche Auswirkungen kann Stress beim Pendeln nach sich ziehen?
Probleme treten laut Bielitz dann ein, wenn eine Störung der Erholungsphase daraus resultiere. Das Spektrum der Folgen die ausgelöst oder verstärkt werden können, ist vielfältig: Blutdruckerhöhung, Ungeduld, Reizbarkeit oder auch Ängste.
Eine Schwächung des Immunsystems könne durchaus Grund dafür sein, dass daraus gesundheitliche Probleme entstehen. "Schlimmstenfalls kann das alles in ein Vermeidungsverhalten münden."

Wer ist besonders stressanfällig?
Eine allgemeingültige Antwort auf diese Frage gibt es nicht, sagt Christoph Bielitz: "Das Ausmaß der Belastung ist abhängig von der persönlichen Konstitution." Das genutzte Verkehrsmittel ist dabei unerheblich.
Stress werde sowohl der Autofahrer im dichten Verkehr auf der B34 ausgesetzt als auch der Nutzer öffentlicher Verkehrsmittel: "Im Zug oder Bus ist man auch ganz anderen Reizen ausgesetzt", so Bielitz.
Es gebe durchaus Fälle, in denen Menschen durch Gedränge oder die Geräuschkulisse unangenehm berührt werden, die durch Mitreisende verursacht werden. Von Verspätungen ganz zu schweigen.
Woran erkenne ich, dass ich gestresst reagiere?
Das Umfeld – sowohl Familie, Kollegen aber auch Mitreisende oder Beifahrer – sei ein gutes Korrektiv, das man ernst nehmen sollte. Spätestens aber wenn wiederholt Strafzettel wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen ins Haus flattern oder es sogar Punkte in Flensburg gibt, sollten die Alarmglocken schrillen.
Wann wird es gefährlich?
"Heikel wird es insbesondere dann, wenn Stress in Aggression umschlägt, die sich auf das Verhalten von Verkehrsteilnehmern auswirkt", sagt Christoph Bielitz.
Typische Symptome im Straßenverkehr seien Drängeln, Hupen oder riskante Manöver bis hin zur Nötigung oder bewussten Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer.
Nicht zu unterschätzen sei jedoch auch das andere Extrem: Unachtsamkeit oder Ermüdungserscheinungen, die schlimmstenfalls bis zum Einschlafen am Steuer reichen können.
Ist Pendeln generell mit Stress verbunden?
Das verneint Christoph Bielitz ausdrücklich. Es gebe viele Menschen, denen Pendeln sogar Vergnügen bereite, die eine lange Autofahrt als Auszeit oder Zeit für sich ansehen und diese entsprechend gewinnbringend nutzen.
Dazu zählt er auch sich selbst: "Man kann eine lange Autofahrt ja auch nutzen, um nachzudenken oder um sich zu entspannen." Es gebe Menschen, die geistig hoch aktiv sind und Pläne schmieden, wenn sie im Auto unterwegs sind, oder im Zug ein gutes Buch lesen, lernen oder einfach abschalten – Möglichkeiten gebe es diesbezüglich viele.
Wie kann ich verhindern, dass die Fahrt zur Arbeit zum Kampf wird?
"Das ist eine Frage der Grundhaltung", sagt Bielitz. Er rät grundsätzlich zu mehr Gelassenheit beim Pendeln. Denn verschiedene Faktoren ließen sich nicht ändern, auch wenn man sich darüber aufrege.
Diese Gelassenheit zu lernen, sei nicht einfach aber durchaus möglich. Und es erleichtere das Leben erheblich: "Man kann eine ärgerliche Situation wie einen Stau ja auch mit Humor nehmen", sagt Bielitz.
Oder man könne ein Problem auch in Relation setzen, um zu erkennen, dass es wahrlich Schlimmeres gebe. Auch Entspannungsübungen seien ein probates Mittel. Darüber hinaus rät der Experte, gezielt auf Erholungsphasen im Alltag zu achten.
Was sollte ich tun, wenn ich anhaltende Beschwerden feststelle?
Wichtig sei generell, immer wieder innezuhalten und sich und seine Lebensumstände zu hinterfragen, rät Christoph Bielitz. Dazu bedürfe es auch Ehrlichkeit sich selbst gegenüber.
Man müsse gegebenenfalls seine Lebenssituation hinterfragen und auch seinen Arbeitsplatz. "Wenn Probleme länger anhalten, sollte ein Psychologe zu Rate gezogen werden."
Pendeln – ein Auslaufmodell?
"Dass Leute so häufig über weite Strecken pendeln, ist meines Erachtens eine Zeiterscheinung", sagt Christoph Bielitz. Es sei durchaus möglich, dass sich dies ändere, weil die Menschen erkennen, dass viel Lebenszeit auf der Strecke bleibt, die anders besser eingesetzt wäre.
Immerhin verbringen Menschen, die täglich zwei Stunden im Auto sitzen, hochgerechnet 40 Stunden pro Monat allein mit pendeln. "In der Nähe des Arbeitsorts zu leben ist somit immer die bessere Lösung."
Zur Person
Professor Doktor Christoph Bielitz ist ärztlicher Direktor des Sigmazentrums Bad Säckingen, eine private Fachklinik für interdisziplinäre Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin. Der promovierte Mediziner ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Naturheilverfahren, Suchtmedizin.