Das ist in Italien Wirklichkeit geworden: Schwerstkranke Corona-Patienten und ein Gesundheitssystem, das angesichts viel zu hoher Fallzahlen kollabiert. Weil Behandlungsmöglichkeiten fehlen, müssen Entscheidungen getroffen werden, wer medizinisch versorgt und wer nicht mehr behandelt wird. Viele Menschen sterben. Ein Szenario, das Vielen hierzulande Angst macht. Kann das bei uns auch passieren?
„Wir werden nicht vom Corona-Virus überrascht, sondern haben Zeit uns vorzubereiten. Wir sind besorgt, aber Panik ist unbegründet“, sagt Dr. Bernhard Hoch, Geschäftsführer der Kliniken des Landkreises Lörrach. Wie können sich Krankenhäuser auf extreme Bedingungen vorbereiten und was kann jeder einzelne selbst tun, um sich auf die erwartete große Welle der Corona-Erkrankungen – und damit auch auf schwere Verläufe und Todesfälle – vorzubereiten? Welche Rolle spielt die Ethik in der Medizin? Zu diesen Fragen – abseits von der Versorgung mit Mundschutz, Beatmungsgeräten und Desinfektionsmittel – haben die Kliniken des Landkreises Lörrach in einer Pressekonferenz Stellung bezogen und nehmen damit eine Vorreiterrolle in der Region ein.

Mit Mundschutz, strengen Hygienevorgaben und großem Sicherheitsabstand bezogen Vertreter des Klinischen Ethik-Komitees (KEK) in Lörrach Stellung. Das Gremium gibt es nicht erst seit der Corona-Krise. Es setzt sich zusammen aus Mitarbeitern unterschiedlicher Fachbereiche. und hat beratende Funktion. Es ist kein Schiedsgremium. „Bei dieser Arbeit geht es immer darum, einen Konsens zu finden“, erklärt Babette Jansen, Oberärztin des Zentrums für Anästhesie und Vorsitzende des Komitees.

Wird eine medizinische Therapie forciert, oder muss das Behandlungsziel angepasst werden? Entspricht die Entscheidung dem Wunsch des Patienten? So lauten die Fragen, mit denen sich das Komitee im Austausch mit Medizinern und Angehörigen regelmäßig beschäftigt. Nun, zu Zeiten von Corona, werden diese Fragen dringlicher, mit wachsender Zahl der Infizierten auch häufiger. Jansen ist sicher: „Es wird häufiger zu schwierigen Situationen kommen.“
Was jeder selbst tun kann und sollte
„Uns ist es wichtig, zu kommunizieren, dass wir uns mit diesen Fragen auseinandersetzen“, betont Geschäftsführer Hoch, „und seit Corona in verstärktem Maße.“ Es wird schwere Krankheitsverläufe geben und Menschen, die nicht mehr geheilt werden können. Ob es eine Reihenfolge gibt, welche Personengruppen zuerst versorgt werden? „Nein“, sagt Bernhard Hoch entschieden. Seine Kollegen nicken zustimmend, als er betont: „Jedes Menschenleben ist gleich viel wert!“ Es gehe darum, für jeden Patienten die beste Therapie zu finden, und dies sei immer vom individuellen Fall abhängig.
„Der Wille des Patienten ist immer entscheidend und für uns von grundlegender Bedeutung bei jeder Entscheidung“, so Jansen. Sie erläutert: „Wir werden bei der medizinischen Versorgung eskalieren, wenn es sinnvoll und gewünscht ist, wir werden aber auch Maßnahmen zurückfahren, wenn es der Wille des Patienten ist.“

Was sich aktuell schon abzeichnet: Alle behandlungsbedürftigen Corona-Patienten werden derzeit im Kreiskrankenhaus in Lörrach behandelt. Daneben läuft der normale Betrieb der Notaufnahme weiter. „Hier merken wir bereits, dass es enger wird“, schildert Hoch. Die wichtigste Rolle spiele das Personal der Klinik. „Nur wer auf sich selbst achtet, kann auf andere achten“, sagt Dr. Thomas Unterbrink, Chefarzt der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Seine Abteilung wird in den Mitarbeitern in den anstehenden belastenden Zeiten zur Seite stehen.
Unterbrink erklärt: „Wir haben die stationären Patienten der psychosmatischen Abteilung in die ambulante Behandlung entlassen. Die Abteilung Psychosomatik wird zur Zufluchtsstelle für die Mitarbeiter werden.“ Rund 30 Fachkräfte stünden zur Verfügung. „Es geht um Gespräche, es geht um den Umgang mit Ängsten und es geht darum, sich selbst nicht aus dem Blick zu verlieren“, beschreibt Unterbrink. „Besonders belastend ist die Situation, weil ja jeder selbst auch als Mensch betroffen ist, Angehörige hat, um die er sich sorgt, sich Gedanken um die Zukunft macht“, ergänzt Bernhard Hoch. Schon jetzt seien die zusätzlichen Belastungen für das Klinikpersonal groß.

„Drei Ansätze sind untrennbar miteinander verbunden: die Verfassung der Mitarbeiter, das Auffangen der Angehörigen und das Führen der Therapie“, betont Dr. Jens Wattchow, Chefarzt der Klinik für Neurologie und KEK-Mitglied. Denn es gehe nicht nur um Arzt und Patienten, sondern immer auch um die Angehörigen. Wie diese dann in der Realität möglichst risikofrei mit eingebunden werden können? „Wir haben im Bereich der Intensivbetreuung mehrere Räume geschaffen, in denen Videoschalten zu den behandelnden Ärzten auf Station möglich sind“, so Jansen.
Dass es keinem der Anwesenden leicht fällt, sich mit diesen Themen zu befassen, ist während des Gesprächs deutlich zu spüren. „Es wäre falsch zu sagen, wir hätten keine Angst. Aber wir sind Profis. Wir werden professionell handeln“, sagt Hoch. und ergänzt. „Die Lage ist sehr ernst. Wir wollen gewappnet sein für Extremsituationen.“ Eine Botschaft ist ihm und seinen Kollegen besonders wichtig: „Die Verantwortung liegt auf vielen Schultern und niemand wird alleine gelassen. Kein Mitarbeiter, kein Angehöriger und kein Patient.“