Wie sind Sie auf den Hund gekommen?
In meiner Kindheit konnte ich keine Haustiere und keine Hunde haben, meine Eltern hatten da überhaupt keinen Bezug zu. Aber ich hatte eine Tante namens Thea. Die führte eine Art Pflegestelle für alle möglichen Tiere. Von der Amsel über die Spinne, Katze, Schildkröte bis zum Hund hatte sie alles. Da konnte ich mich als Kind austoben. Es hat dann aber bis zu meinem 23. Lebensjahr gedauert, bis ich einen eigenen Hund hatte.
Was fasziniert die Menschen so sehr am Hund als Haustier?
Der Hund hat eine Eigenschaft, die sonst kein anderes Tier hat: Er ist in der Lage, einen Artfremden als vollwertigen Sozialpartner zu sehen. Er weiß zu jeder Zeit, dass ich kein Hund bin. Er findet aber Menschen irgendwann genauso wichtig wie andere Hunde. Dadurch entwickelt er eine unglaublich starke Nähe zu seinen Menschen. Das schafft diese tolle und enge Bindung, die die Menschen lieben.
Das kann anderseits aber auch zum Problem werden: Durch die enge Bindung neigt der Mensch dazu, den Hund als seinen Artgenossen anzusehen und zu vermenschlichen.
Es ist ein Problem, dass die Menschen irgendwann anfangen, den Hund als Menschen zu behandeln. Dadurch, dass der Hund uns als vollwertigen Sozialpartner sieht, hat er eine sehr hohe Erwartungshaltung an uns. Er will, dass wir ihn sehr klar und sehr deutlich behandeln. Das heißt nicht, dass er von uns nur Autorität erwartet, aber eine gewisse Klarheit. Diese Klarheit und die Konsequenz sind das alles Entscheidende.
Eine ihrer Thesen lautet, dass Hunde nicht mehr Hunde sein dürfen. Was macht ein hundegerechtes Leben aus?
Hundegerecht ist der passende Begriff, denn ein artgerechtes Leben kann man gar nicht liefern. Dann müsste man alle Hunde frei rennen, jagen und sich vermehren lassen, wie sie lustig sind. Das geht ja nicht.
Das heißt, ein artgerechtes Leben wäre ein Leben ohne Mensch?
Das habe ich nicht gesagt. Der Hund würde trotzdem immer die Nähe des Menschen suchen. Wenn ich mit meinem Hund durch den Wald gehe, muss ich dafür sorgen, dass der kein Rehkitz schreddert. In seiner Natur, seiner Art wäre das aber so. Aber ich muss gewisse Dinge von dem Hund abverlangen können, damit er gesellschaftstauglich ist. Und ich muss mir darüber im Klaren sein, dass ein 100 Prozent artgerechtes Leben gar nicht möglich sein kann. Aber hundegerecht kann man sein, indem man ihm viele Alternativen anbietet. All die Dinge, die der Hund nicht haben darf, muss ich kompensieren. Ein Hund muss ausreichend bewegt, aber vor allen Dingen auch ausreichend beschäftigt werden. Dann braucht ein Hund eine enge soziale und emotionale Verbindung. Er braucht vernünftiges Futter. Und das ist es schon.
Der Grad zwischen emotionaler Beziehung und Vermenschlichung ist sehr schmal. Wie können Hundehalter die Balance halten?
Das ist die ganz große Kunst. Mit Diktatur, Härte und Strenge zu agieren – das wäre völlig falsch. Es geht aber auch nicht um Diskussionsrunden. Das ist etwas, was man immer wieder schulen muss, und wo man sich als Hundehalter selber hinterfragen muss. Ich gehe mit meinem Hund immer mal in eine Unterrichtsstunde eines Kollegen von mir und lass den mal drauf gucken. Manchmal ist man so in seinem System gefangen, dass man es gar nicht mehr bemerkt.
Sie haben Tierpsychologie studiert. Bräuchten Sie in Ihrer Arbeit nicht eher ein menschliches Psychologiestudium?
Absolut. Die größte Stärke, die ein Hundetrainer haben muss, ist es, Menschen einzuschätzen. Ich muss in der Lage sein, einem Menschen das Thema so nahe zu bringen, dass er das versteht und für sich auch verinnerlicht. Das ist bei jedem Menschen anders. Streng genommen mache ich kein Hundetraining, sondern Menschentraining.
Sie haben ein Netzwerk von Hundeschulen aufgebaut, eine Million Bücher verkauft, füllen die Stadthallen und haben eine Fernsehserie: Warum spricht das – gesellschaftlich gesehen – Nischenthema Hundeerziehung so viele Menschen an?
Ob Sie einen Hund haben oder nicht – sie leben in einer Gesellschaft, wo Sie immer auf Hunde treffen werden. In jedem Kulturkreis gibt es Hunde. Es ist sehr gesellschaftsrelevant, dass der Hundehalter in der Lage ist, seinen Hund gesellschaftstauglich zu machen. Der Hund emotionalisiert total. Entweder haben Sie einen Hund und lieben den oder Sie sind beim Joggen gejagt worden. Hinzu kommt, dass das, was ich mache, etwas ist, was es in Deutschland nicht gab. Als ich vor knapp 24 Jahren angefangen habe, gab es nur Hundevereine. Die Leute sind in einem eingezäunten Gelände in einem Kreis gelaufen und haben Sitz-Platz-Bleib-Fuß gemacht. Bei mir wird ein Hund nicht dressiert, sondern erzogen.
Zu Person und Auftritt
- Martin Rütter (48) ist Tierpsychologe, entwickelte die Trainingsmethode DOGS (Dog Orientated Guiding System), bildet Hundetrainer aus, schreibt Bücher, spielt die Hauptrolle in der Doku-Reihe „Der Hundeprofi“ und tourt mit einem Bühnenprogramm.
- Termine: "Martin Rütter – Freispruch", Dienstag, 29. Januar, 19.30 Uhr, St. Jakobshalle Basel – nur noch wenige Restkarten erhältlich. Ein weitere Auftritt am Mittwoch, 30. Januar, Sick-Arena Freiburg, 20 Uhr.