Herr Topcuogullari, Sie sind 2016 mit klarer Mehrheit als Quereinsteiger zum Bürgermeister gewählt worden. Jetzt nach acht Jahren im Amt, was war für Sie die größte Herausforderung?
Die größte Herausforderung war der Erhalt der weiterführenden Schule. Die damalige Gemeinschaftsschule stand kurz vor der Schließung wegen zu geringer Anmeldezahlen und das, trotz zweier voller Grundschulen mit über 70 abgehenden Schülern. Als sich dann davon nur sieben an unserer Schule angemeldet hatten, wurde vom Regierungspräsidium einsogenannten Hinweisverfahren gestartet, das bedeutet, dass der Schulträger darauf hingewiesen wird, dass die Schule geschlossen wird, sollten sich erneut so wenige Schüler anmelden.
Es war eine große Kraftanstrengung nötig, das Vertrauen in die Schule und in das Gebäude zurück zu gewinnen. Durch Workshops, Analyse der Schülerströme, Sanierungen am Gebäude, zahlreiche Gespräche mit dem Schulamt und sogar mit der damaligen Kultusministerin persönlich, konnte die Schule in die jetzt noch bestehende „echte“ Realschule umgewandelt werden. Dies erfolgte in Rekordzeit.
Schon im ersten Anmeldejahr waren es über 45 Schülerinnen und Schüler. Also direkt zwei Klassen. Damit war die Schulschließung vom Tisch. Die Rettung der Schule hatte höchste Priorität und hat viel Energie gekostet. Aber wie wir sehen, mit gutem Ausgang. Wir können den Schülerinnen und Schülern nun mit dem Anbau weitere optimale Lernbedingungen sowie einen kurzen Schulweg bieten.
Wie beurteilen Sie selbst Ihre Amtszeit? Was waren Höhen und Tiefen?
Das Amt ist eines, das mit viel Arbeit verbunden ist. Ich nehme meine Verantwortung sehr ernst und überlege wohl, bevor ich eine Entscheidung treffe. Konkrete Beispiele über Höhen und Tiefen fallen mir nicht ein. Ich bin ein positiv eingestellter Mensch und habe mehr die Höhen in Erinnerung als die Tiefen.
Die großen Themen wie Breitband, weiterführende Schule sowie die medizinische Versorgung der Bevölkerung sind erledigt worden. Was haben Sie sich für Ihre möglichen folgenden acht Jahre als Bürgermeister vorgenommen?
Ja, die Ärzteversorgung konnte langfristig in der Gemeinde sichergestellt werden. Der Breitbandausbau wird sehr bald ebenfalls abgeschlossen sein. Zusammen mit dem Erhalt und der Verbesserung der Schullandschaft sind das maßgebliche zukunftsorientierte Themen. Doch es geht weiter.
Die Ausweisung neuer Bauplätze geht voran, die entsprechenden Bebauungspläne sind in Bearbeitung. In erster Linie betrifft das die Ortsteile Rechberg, Grießen und Geißlingen. In Erzingen werden die Bauplätze bereits vermarktet und in den anderen Ortsteilen wird es punktuell kleine Baugebiete geben. Weiterhin gibt es ein Konzept zur Schaffung von bezahlbarem Wohnraum, konkret im Neubaugebiet Wetteäcker II in Erzingen. Die Gemeinde wird den Wohnraum schaffen und kostendeckend vermieten, ohne Gewinnmaximierung. Damit kann dem Trend von steigenden Mieten gegengesteuert werden.
Ein Einzelprojekt ist zudem die Komplettierung der Laufbahn bei der Realschule. Die halbe Tartanbahn ist einfach unpraktisch.
Größere Themen sind der Hochwasserschutz in Erzingen – wobei hier die notwendigen Vorarbeiten ebenfalls abgeschlossen sind, und der Hochwasserschutz in Grießen. Das Sperrwerk hält zwar das Wasser vom Schwarzbach und Seegraben zurück, aber der Netzbach kann weiterhin Probleme verursachen. Dies führt deswegen zu grundsätzlichen Bauverboten in einem großen Teil von Grießen. Weiterhin müssen wir uns um die teils marode Infrastruktur der Gebäude der Gemeinde kümmern. Gerade die beiden Grundschulen stehen hierbei im Mittelpunkt.
Die Umgestaltung des Schulhofs und ein Marktplatz in Erzingen sind weitere Projekte. Wie ist der Stand?
Die Planungen für den Schulhof wurden dem Gemeinderat kürzlich vorgestellt. Es wird ein paar kleine Anpassungen geben und es bedarf noch weiterer Abklärungen mit Fachbüros. Speziell die Bushaltestelle soll nach dem Gemeinderatsbeschluss nochmals überprüft werden.
Beim zentralen Marktplatz ist es so, dass die Post leider noch kein tragfähiges Konzept vorlegen konnte, wie der Neubau im Gewerbegebiet realisiert werden soll. Wir sind hier aber im engen Austausch. Sobald das jetzige Postgebäude frei wird, werden wir im Gemeinderat die Planungen für den Markplatz präsentieren.
Angesichts der multiplen Krisen in der Welt – welche Ideen haben Sie, um Klettgau zukunftsfähig zu gestalten?
Das sind Probleme, die nicht auf kommunaler Ebene gelöst werden können. Wir können nur reagieren und das nur im Kleinen. Zum Beispiel mit Wohnraum und Integrationsbeauftragten, wenn es um die Aufnahme von Flüchtlingen geht oder mit der Wärmeplanung, um zukünftigen Energiekrisen entgegenzuwirken. Aber gelöst werden können die Probleme nur auf der großen politischen Bühne.
In jüngster Vergangenheit haben sich in der Gemeinde verschiedene Bürgerinitiativen mobilisiert. Die Klettgauer Bevölkerung scheint trotz der Lösung vieler Probleme der „technischen“ Infrastruktur unzufrieden. Was fehlt diesen Klettgauern Ihrer Meinung nach?
Ich habe nicht das Gefühl, dass den Klettgauern etwas Wesentliches fehlt, wobei es immer Dinge gibt, welche die Gemeinde noch zu tätigen hat. Gerade im Bereich von Treffpunkten für Jugendliche gibt es noch Nachholbedarf. Das bürgerschaftliche Engagement ist zu begrüßen und stärkt die Gemeinschaft insgesamt. Wenn alle gemeinsam anpacken, kommt am Schluss auch etwas Gutes dabei heraus.
Jedoch sollte man den Mindeststandard an Wirtschaftlichkeit nicht außer Acht lassen. Am Ende müssen sich die Ideen und Konzepte selbst tragen, denn ein reines Zuschussgeschäft kann nicht Sinn der Sache sein.
Was wollen Sie dem Wegbrechen alter dörflicher Strukturen und dem Verlust dörflicher Identität entgegensetzen?
Glücklicherweise trifft das auf Klettgau nicht zu. Die Gemeinde hat sich dem Erhalt von dörflichen Strukturen eingesetzt. Nehmen wir mal das Schlachthaus in Grießen. Damit diese Struktur erhalten bleibt, wurde es aufwendig saniert.
Gerade örtliche Konsumenten beziehen ihr Fleisch nun von dort, speziell bei Veranstaltungen. Außerdem wurde in Grießen die Post wieder angesiedelt. In Erzingen wird der Markt aufgewertet mit dem Marktplatz. Von Schlafdörfern kann hier keine Rede sein.
In diesem Zusammenhang scheint einiges im Argen zu sein. Zahlreiche Klettgauer kämpfen für den Erhalt des Erzinger Pfarrhofes, in Grießen kaufen Klettgauer gemeinsam das Gasthaus Linde, um wieder einen Dorftreffpunkt zu haben. Was halten Sie davon?
Wenn sich die Kirchengemeinde entscheidet, sich vom sanierungsbedürftigen Gebäude zu trennen, dann ist es nicht gleichbedeutend, dass in der Gemeinde einiges im Argen wäre. Das Gegenteil ist der Fall. Die Gemeinde blüht auf. Die Projekte haben wir oben ja schon beschrieben: Schnelles Internet, Schulen, Marktplatz, Sanierungen von gemeindeeigenen Gebäuden, die hausärztliche Versorgung usw.
Wir sind auf einem wirklich guten Weg. Das Engagement der Bürger ist begrüßen und ich drücke die Daumen, dass alles so gelingt wie es sich die Initiatoren vorstellen.
Dem Thema Kultur kommt in diesem Zusammenhang eine große Bedeutung zu. Offensichtlich werden alternative Angebote gewünscht. Wie sehen Sie das?
Wir haben mit unterschiedlichsten Vereinen, also von Kanonieren über Musikvereine, Gesangvereine, Sportvereine, Fasnachtsvereine, dem Tanzclub, über die Angebote der Volkshochschule wie Sprachkurse, Gymnastik, Yoga, Malkurse etc. ein kulturell wirklich sehr vielseitiges Angebot. Jedenfalls schön, wenn es zu diesen Beispielen noch ergänzende Angebote gibt.