Wenn die Liebe kommt, geht der Verstand. So heißt es in einem türkischen Sprichwort. Doch kann man überhaupt von Liebe sprechen, wenn Gewalt und Angst die Beziehung prägen? Mit einer solchen toxischen Beziehung musste sich jetzt das Amtsgericht in Bad Säckingen beschäftigen. Der Angeklagte hatte nach Auffassung des Gerichts seine Lebensgefährtin brutal misshandelt und anschließend vergewaltigt. Zwei Jahre und drei Monate lautete die Strafe, die das Schöffengericht unter dem Vorsitz von Richterin Stefanie Hauser für seine Tat verhängte.

Täter und Opfer leben weiter in einer Beziehung

Grotesk nur, dass gerade die Geschädigte dem Angeklagten laut ihrer Aussage längst verziehen hatte – und sogar eine gemeinsame Zukunft mit ihm plane und ihr somit die Gefängnisstrafe gegen ihren Lebensgefährten gar nicht recht war. So bot sich im Gerichtssaal eine emotionale Ausnahmesituation, die eine angemessene Urteilsfindung besonders schwierig machte.

„Wir haben hier ein ganz besonderes Verfahren“, betonte Richterin Stefanie Hauser in ihrer Urteilsbegründung. Immer wieder verdeutlichte sie die außergewöhnlichen Umstände, die das Gericht bei der Urteilsfindung berücksichtigen musste. So begründete sich das Urteil auch vor allem auf polizeiliche Vernehmungen, objektiv dokumentierte Verletzungen und die Aussagen der Geschädigten vor Beginn des Prozesses, von denen verschiedene Zeugen erzählt hatten.

„Wir sehen, wie grotesk die Situation ist“ – Richterin Stefanie Hauser über den kuriosen Fall vor dem Amtsgericht
„Wir sehen, wie grotesk die Situation ist“ – Richterin Stefanie Hauser über den kuriosen Fall vor dem Amtsgericht | Bild: Nico Talenta

Täter brachte zur Urteilsverkündung Blumen mit

Die Aussage der Geschädigten, die am ersten Prozesstag noch gefehlt hatte, fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Dennoch wurde deutlich, dass von ihrer Seite aus kein Interesse mehr an einer Bestrafung ihres Lebensgefährten bestand. Stattdessen zeigte das Paar in jeder sich bietenden Situation seine gegenseitige Zuneigung: Tränenreiche Umarmungen, sehnsuchtsvolle Blicke und selbst Rosen für die Lebensgefährtin boten ein groteskes Schauspiel angesichts der brutalen Tat.

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Richterin Hauser erklärte, dass das Verhältnis der beiden sich nur als „toxische Beziehung“ zusammenfassen lasse. Diese Umstände begründeten auch das teils widersprüchliche und unverständliche Verhalten der Geschädigten, die sich sichtlich schwer tat, von den Vorfällen zu erzählen und damit einen Menschen zu belasten, den sie nach eigener Aussage liebe. Auch falsche Aussagen ihrerseits an eine Zeugin erschienen dem Gericht in Anbetracht der Umstände völlig plausibel. „Wir sehen, wie grotesk die Situation ist“, beurteilte die Vorsitzende.

Für das Gericht steht fest: Angeklagter ist der Täter

Das Gericht befand, auch anhand zahlreicher anderer Indizien und Beweise, dass die Tat im Wesentlichen, so wie in der Anklageschrift beschrieben, abgelaufen sein soll. So habe der Angeklagte im Januar 2022 seine Lebensgefährtin unter anderem geschlagen, gestoßen, gewürgt, in die Badewanne gezogen und nach einer kurzen Zäsur schließlich vergewaltigt.

Strafe kann nicht zur Bewährung ausgesetzt werden

Schwierig zu beantworten war also nicht die Frage, was genau vorgefallen, sondern wie die Tat zu bewerten sei. „Wir sind an der unteren Grenze geblieben“, erläuterte Hauser das Strafmaß. Zwei Jahre für die Vergewaltigung und sechs Monate für die Körperverletzung hatte das Schöffengericht zu einer Gesamtstrafe von zwei Jahren und drei Monaten zusammengefasst. Somit kann die Strafe auch nicht zur Bewährung ausgesetzt werden.

Das Urteil brachte für niemanden eine Erleichterung: Der Angeklagte und seine Familie, die ihn an den zwei Verhandlungstagen begleitet hatte, zeigten sich ebenso betroffen wie die Geschädigte selbst, die nun noch länger von ihrem Partner getrennt sein wird.

Richterin Stefanie Hauser: „Es handelt sich um ein Offizialdelikt“

Auch das Gericht wurde mit einer solchen Ausnahmesituation vor eine Herausforderung gestellt. Bei der Tat, zu der der Angeklagte verurteilt wurde, handelt es sich um ein Offizialdelikt. „Das kann der Staat einfach nicht hinnehmen“, betonte Hauser. Für das gefährliche Abhängigkeitsverhältnis und die dysfunktionale Beziehung des Paares gibt es hingegen keinen Strafbestand. So bleibt das eigentliche Problem, die toxische Beziehung, selbst mit der Verurteilung bestehen.

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