Die alt-katholische Gemeinde vertraut seit eineinhalb Jahren auf die frische Luft und feierte, wie schon im Vorjahr, ihre Heilig-Abend-Messe im Schlosspark. Die Temperaturen waren gut zu ertragen, und das Sonnensegel schützte zuverlässig vor dem leichten Regen. Helga und Jan-Gerd Werdehausen sorgten für die musikalische Umrahmung, und die Helfer hatten mit Diaprojektionen und Kerzen eine weihnachtliche Atmosphäre geschaffen, sodass die Besucher das biblische Wort „Das Volk, das im Dunkeln lebt, sieht ein helles Licht“ sinnlich erleben konnten. Der alt-katholische Pfarrer Armin Strenzl warb für „Christmas For Freedom“. Dies ist eine Protestbewegung, aber nicht im Sinne von „kritisieren“, sondern von „etwas bewegen“. Jesus stehe für Arme, Kranke, Schwache, die Menschen am Rande der Gesellschaft ein, so der Geistliche. „Wir alle sind aufgerufen, es ihm gleichzutun, dann tun wir auch etwas für den Frieden und verhindern, dass wir in eine Menschlichkeitskrise geraten.“

Protestanten feiern im Münster
Die evangelische Stadtkirche hätte unter Pandemiebedingungen gar nicht alle Besucher gefasst, die zur Vesper an Heiligabend kommen wollten, daher hatte die katholische Gemeinde im Geiste der Ökumene das Münster angeboten. In dem für protestantische Verhältnisse ungewohnt prächtigen Chorraum, unter Franz Joseph Spieglers Rokoko-Fresken mit Szenen aus dem Marienleben, nahm der von Jürgen Thun geleitete Posaunenchor Platz und begleitete die Vesper. Prädikantin Bärbel Komm und Frauen aus dem Kirchengemeinderat brachten den Besuchern die Botschaft des Lukas-Evangeliums auf etwas andere Weise nahe: Erst wurde der Text gelesen, dann schlüpften die Frauen in die Rollen von Zeitzeugen, die das Geschehen rund um die Geburt Christi kommentierten, mit Verwunderung und Freude hörten, aber auch hinterfragten – also genau diejenigen Fragen stellten, die dem heutigen Leser der Bibel in den Sinn kommen.

Die abschließende Interpretation übernahm die Prädikantin: „Gott will die Menschen mit der Weihnachtsbotschaft befreien, ihnen die Ängste nehmen, und er sucht die Nähe zu den Menschen.“ Das bedeute nicht, dass der Unfriede verschwinde oder Kranke plötzlich gesund würden, aber die Menschen hätten die Gewissheit, dass Gott eine persönliche Beziehung zu ihnen wolle. „Lassen wir uns von dieser befreienden, froh machenden und heilenden Botschaft anstecken“, so der Appell der Prädikantin.

Gut besucht war das Münster auch am ersten Weihnachtsfeiertag beim Hochamt, das per Live-Stream übertragen wurde. Der Münsterchor durfte zusammen mit einem kleinen Orchester und Solisten unter Leitung von Markus Mackowiak eine Haydn-Messe aufführen und dem Hochamt einen festlichen Rahmen verleihen.

In seiner Predigt drehte Dekan Peter Berg die Perspektive quasi um: Nicht nur die Menschen hätten Sehnsucht nach Geborgenheit, vielmehr gebe es auch Bibelstellen, in denen von der Sehnsucht Gottes nach den Menschen die Rede sei. Der Gott in der christlichen Religion sei keine abstrakte und distanzierte Wesenheit, vielmehr sei er Mensch geworden, weil er mitten im Leben der Menschen ankommen und ihnen im Leiden und Sterben nahe sein wolle. „Wir als Kinder Gottes sind aufgerufen, dieses Licht in die Welt hinauszutragen“, so der Appell von Dekan Peter Berg.
