Herr Pfarrer Hasenbrink, wie hat die evangelische Kirchengemeinde Wehr und Öflingen das Weihnachtsfest erlebt?

Die Kernbotschaft von Weihnachten lautet „Gott wird Mensch“. Die eigentliche Botschaft ist also, dass Gott uns nahekommt. Er wird einer von uns, und er will uns Menschen begegnen – gerade in Zeiten von Corona. Bei aller gebotenen Distanz, die nötig ist, möchte er uns nahekommen. Das ist eine sehr froh machende und hoffnungsvolle Botschaft. Gott ist bei uns, auch wenn wir ganz allein sein müssten. Es ist dann Aufgabe der Kirchengemeinde, dieses verantwortlich umzusetzen.

Wie sah diese Umsetzung konkret aus?

Ich konnte in der Talschule in den vergangenen zwei Wochen vor Weihnachten keinen Religionsunterricht mehr abhalten, weil dort immer drei verschiedene Klassen zusammenkommen zum Unterricht. Rektorin Sonja Dannenberger hat gesagt, dass sie das nicht mehr verantworten kann. Dann haben wir uns im Kirchengemeinderat gefragt: Wenn ich nicht mehr Religion geben darf, können wir dann verantworten, dass aus allen Klassen und Kindergärten Kinder in der Kirche zusammenkommen, wo wir dann doch nicht mehr garantieren können, dass die Abstandsregeln eingehalten werden? Deshalb haben wir gesagt, dass zum Schutz keine Angebote für Kinder in unseren Präsenzgottesdiensten gemacht werden sollen. Wir haben daraufhin Tüten für Familien gepackt, in denen eine Krippenspielanleitung, eine Liturgie der Weihnachtsfeier für zu Hause, Weihnachtsgeschichten, eine Bastelei sowie Kerzen für das Friedenslicht aus Bethlehem enthalten waren. Auch im Heilig-Abend-Gottesdienst mit Anmeldung für Erwachsene konnten die Kerzen entzündet und mit nach Hause genommen werden. Die Familien konnten dann Weihnachten in geschütztem Kreis feiern und doch spüren, dass die Gemeinde Nähe und Unterstützung bietet und dadurch im Gottesdienstfeiern verbunden bleibt.

Gab es auch alternative Angebote?

Zum einen konnten digital versierte Gemeindemitglieder Gottesdienst im Internet auswählen. Im Kirchenbezirk gibt es einige sehr gut ausgerüstete Gemeinden. Diese haben auch Geld in die Hand genommen, damit aus den Kirchen per Live-Stream übertragen werden konnte. Es gab auch von der Landeskirche solche Angebote. Das Zweite: Für Leute, die digital nicht so versiert sind, haben wir Andachten ausgedruckt und verteilt. Und so haben wir versucht, den Menschen nahe zu sein – auf verantwortliche Weise auf allen möglichen Kanälen.

Ist in der Kirchengemeinde auch ein gewisser Druck zu verspüren?

Ganz konkret wurde das, als wir im Kirchenrat darum gerungen haben, ob wir und wie wir Gottesdienste am Heiligen Abend feiern können. Ich kann die Menschen verstehen, die sagen, dass sie nach Impfung und vielen Beschränkungen endlich wieder zum Alltag zurückkehren wollen. Dass sie wieder ihr Leben leben wollen. Aber die Corona-Schutzmaßnahmen, die getroffen wurden und auch eingehalten werden müssen, sind für mich gelebte Nächstenliebe in der heutigen Zeit. Das bedeutet, dass man aus Rücksicht auf andere Menschen und gerade auf Schwächere auf eigene Vorrechte um der Gesamtheit Willen verzichtet.

Wie ist denn Ihre Haltung zum Impfen?

Für mich ist auch die Impfung ein Akt der Nächstenliebe. Es ist ein Akt der Verantwortung für den Nächsten.

Stellen Sie in dieser Zeit einen größeren Bedarf an Seelsorge fest?

Es gibt eine bestimmte Angst und auch eine große Vorsicht. Ich spüre aber auch eine gewisse Ermüdung. Das ist wohl die Sorge der Menschen darüber, dass die Kräfte nicht mehr ausreichen. Mit vielen sind wir telefonisch in Kontakt. Das Telefon haben wir in der Zeit der Pandemie als wichtiges Instrument wiederentdeckt. Hausbesuche können nur mit Maske an den Haustüren stattfinden. Wenn mich die Leute aber hereinbitten, dann trete ich auch ein. Ich betreibe es aber nicht aktiv. Ich überlasse den Menschen die Entscheidung und nehme Rücksicht.

Kann die Krise als ein Impuls für Religiosität und Spiritualität dienen?

Den Bedarf an Religiosität gibt es. Teilweise kann er von den Kirchen bedient werden, teilweise geht er aber auch in ganz andere Richtungen. Der spirituelle Markt ist unheimlich groß. In der Coronazeit haben viele Menschen unserer Gemeinde ihren Glauben ganz praktisch gelebt, haben in kleinen Kreisen Kontakt gehalten und sind einander beigestanden. Sie haben anderen einfach praktisch geholfen. Solche Impulse der helfenden Nächstenliebe und der Gemeinschaft leuchten und machen Hoffnung und Mut. So kann Kirche ausstrahlen. Das wird auch in Zukunft gebraucht. Es wird immer mehr dorthin gehen und gehen müssen, dass Menschen selbst aktiv werden und sich in die Gemeinschaft einbringen. Die Pandemie hat uns gezwungen, mit ganz viel Fantasie, Gedanken und Engagement neue Wege zu suchen. Auch wenn viele mit dem Glauben nichts mehr anfangen können. So vermittelt uns Weihnachten Hoffnung, ein spiritueller Impuls, und die Umsetzung bedeutet: Anderen Menschen zugewandt leben.