Juliane Kühnemund

Lassen sich Artenvielfalt, Naturschutz und Landwirtschaft unter einen Hut bringen? Diese Frage kann mit einem klaren Ja beantwortet werden. Etliche landwirtschaftliche Betriebe haben ihre gesamte Wirtschaftsweise auf den Erhalt der biologischen Vielfalt ausgerichtet.

Ein Beispiel dafür ist der Bruderhof der Familie Binninger in Ewattingen, und Betriebsleiter Markus Binninger hat dies nun auch schwarz auf weiß. Beim vom Regierungspräsidium Freiburg ausgeschriebenen Wettbewerb „Höfe für biologische Vielfalt“ wurde der Bruderhof mit einem Sonderpreis ausgezeichnet. Den Sonderpreis erhielt Markus Binninger für die differenzierte Offenhaltung der Landschaft in schwieriger Hanglage sowie für sein naturnahes Pädagogik-Tourismuskonzept.

Die Rinder genießen die Freiheit auf den Weiden.
Die Rinder genießen die Freiheit auf den Weiden. | Bild: Binninger

Was genau steckt dahinter? „Uns geht es darum, die wunderschöne, idyllische und vielfältige Natur am Rande der Wutachschlucht zu erhalten und diese auch erfahr- und erlebbar zu machen“, beschreibt Betriebsleiter Markus Binninger in kurzen Worten sein Konzept. Und in der Tat ist die Lage des Bruderhofs – einsam am Wutachhang zwischen Wutachmühle und Mundelfingen gelegen – eine idyllische. Aber, was für Landwirtschaftsromantiker perfekt klingt, stellt den Bewirtschafter der Flächen vor große Herausforderungen. Nur ein Bruchteil der 36 Hektar Grünland, die Markus Binninger bewirtschaftet, ist einigermaßen eben, der überwiegende Teil der Flächen liegt in Steillagen, 50 Prozent sind FFH-Mähwiesen, die unter besonderem Schutz stehen. Auf den Einsatz großer Maschinen kann die Familie Binninger in dem steilen Gelände nicht setzen.

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Zum Einsatz kommen aber vierbeinige Helfer, die die Hänge beweiden und damit dafür sorgen, dass die Wiesen nicht verbuschen und zuwachsen und dass die Vielfalt an Blumen und Gräsern erhalten bleibt. Die tierischen Helfer sind Kühe und Schafe. Dabei setzt Markus Binninger auf Mutterkuhhaltung, an rund 180 Tagen im Jahr sind die Tiere auf den Weiden. Die Schafe sind ohnehin draußen, 230 bis 250 Tage genießen sie die Freiheit im Grünen. Durch ein spezielles Weidemanagement kann Markus Binninger sicherstellen, dass die Weiden nicht überstrapaziert werden, sodass die Vielfalt der Pflanzen erhalten bleibt. Weder die Rinder noch die Schafe werden mit zusätzlichem Kraftfutter gefüttert, um möglichst schnell Fleisch anzusetzen. Gefüttert wird Gras, Heu und Silage und gegebenenfalls Biertreber. Damit komme er gut klar, erzählt Markus Binninger, auch wenn die Mast dann länger dauert.

Bauernhof im Nebenerwerb

Naturschutz, Landwirtschaft und Tourismus sollen auf dem Bruderhof im Einklang sein, meint Binninger, der den Hof im Übrigen im Nebenerwerb führt. Hauptberuflich arbeitet der gelernte Landmaschinenmechaniker und ausgebildete Landwirt auf der Kläranlage in Achdorf. Klar ist bei dieser Konstellation, dass die ganze Familie an einem Strang zieht und das ist bei den Binningers der Fall. Sowohl Ehefrau Monja als auch die Eltern Anton und Traude tragen den landwirtschaftlichen Betrieb mit und auch die Kinder Elias, Johanna und Fabian – zwar noch zu klein, um richtig mit anzupacken – stehen voll und ganz hinter der Sache.

Umständlicher Schulweg

Für das Leben in und mit der Natur nehmen sie auch den nicht ganz einfachen Weg zur Schule nach Ewattingen in Kauf. Hier passen die Busverbindungen nicht wirklich mit den Unterrichtszeiten zusammen, sodass Mama Monja die Kinder täglich mit dem Auto zur Schule bringen muss. „Mein Vater musste als Kind den Weg nach Ewattingen noch zu Fuß zurücklegen“, meinte dazu Markus Binninger, „und manchmal musste er noch eine Kuh mitnehmen, zum Hagestall bringen, und nach der Schule wieder mit nach Hause führen.“ Diese Zeiten sind vorbei.

Kinder lernen das Landleben kennen

Zurück zu den Kindern von heute: Elias, Johanna und Fabian sind auf dem abgelegenen Bruderhof alles andere als gelangweilt. Da gibt es zum einen die Tiere, zum anderen die Schulklassen und Jugendgruppen, die regelmäßig auf dem Bruderhof ihr Camp aufschlagen, um das Leben in der Natur kennenzulernen. „Lernort Bauernhof“ heißt das Projekt, an dem sich die Binningers beteiligen und für das sie eigens pädagogische Schulungen gemacht haben. Der Kontakt mit den Kindern und Jugendlichen aus den Städten ist für beide Seiten bereichernd, meint Markus Binninger. Er kann viele Anekdoten erzählen über die Kinder, die noch nie in ihrem Leben ein lebendiges Schaf oder eine Kuh gesehen haben und die der Meinung sind, dass es hier auf dem Land jede Nacht regnet, weil morgens das Gras nass ist.

Etappenziel für Wanderer

Außer den jungen Gästen beherbergt der Bruderhof auch viele Naturfreunde, die auf dem Schluchtensteig oder dem Wasserweltensteig unterwegs sind. „Wir sind Trekking-Stützpunkt“, erläuterte Binninger und fügt an, dass die Leute ihr Zelt aufschlagen können, oder im vorhandenen Bauwagen oder Schlaffass übernachten können. Sanitäre Anlagen sind auf dem Bruderhof vorhanden. Etwas oberhalb des Bruderhofs fällt ein großes Tipi ins Auge. Die „Indianergruppe“ gehört schon fest zum Bruderhof, sie kommt – wie etliche andere Gäste auch – schon seit rund 30 Jahren zur Familie Binninger. Diese Treue zum Urlaubs- oder Lernort ist nicht verwunderlich, herrscht auf dem Bruderhof doch eine wohltuende Atmosphäre. Diese Stimmung, die dazu verführt, die Seele baumeln zu lassen, mag mit der Abgeschiedenheit dieses in ursprünglicher Landschaft gelegenen Hofes zusammenhängen, sicherlich aber auch mit der Gastfreundschaft und Herzlichkeit der Familie Binninger.

Mit der Natur arbeiten

Und wenn die kleine Johanna, die gerade erst in die Schule gekommen ist, dann noch die Glocke der Wolfgangkapelle am langen Seil zum Klingen bringt, dann scheint auch noch ein göttlicher Segen über dem Ganzen zu schweben. Dass die Vielfalt an Blumen, Hecken, Gräsern und Tierarten in der grünen Bruderhof-Oase nach wie vor vorhanden ist, habe er seinen Vorfahren zu verdanken, meinte Markus Binninger. Denn auch diese hätten mit der Natur und nicht gegen die Natur gearbeitet. Hat er sich nie über die vielen Vorschriften aus Managementplan, FFH-Richtlinien, Landschaftspflegeverträgen geärgert. „Eigentlich nicht“, meinte der Landwirt, wenn es unterschiedliche Auffassungen gebe, habe man immer eine Lösung gefunden.

Die Anfänge

Die Wurzeln des Bruderhofs gehen auf das Kloster St. Blasien zurück, bald übernahmen dann die Binninger-Vorfahren den Hof. Die Geschichte der Familie Binninger lässt sich bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgen. Seit 2011 wird der Bruderhof von Markus Binninger bewirtschaftet. Über die Auszeichnung des Regierungspräsidiums freut sich der Landwirt. „Das ist eine schöne Bestätigung für unsere Arbeit“, sagte er.

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Spricht man vom Bruderhof, darf eine Geschichte nicht fehlen. In den letzten Jahren des Zweiten Weltkrieges bot der Bruderhof den Angehörigen der Geschwister Scholl, die von den Nazis hingerichtet wurden, Unterschlupf. Der Großvater von Markus Binninger, Franz Josef Binninger, und seine Schwester Katharina hatten Magdalena Scholl und ihrer Tochter Inge in ihrem Haus aufgenommen, obwohl beide vom Regime verfemt waren. Wäre die Sache aufgeflogen, hätte das für die Binningers den Tod bedeuten können. Für den Landwirt Franz Josef Binninger war es aber gar keine Frage, die Verfolgten auf seinem Hof zu verstecken. „Wenn jemand in Not ist, dann hilft man eben“, beschreibt Anton Binninger, der Sohn von Franz Josef, die Einstellung seines Vaters. Und diese mutige und unaufgeregte Lebensphilosophie scheint sich auf die Nachkommen übertragen zu haben.