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Vor 75 Jahren hatte sich Familie Scholl aus Ulm im Rathaus von Ewattingen als „Ausgebombte“ registriert. Es handelte sich um die Mutter und eine Schwester von Hans und Sophie Scholl, die die „Weiße Rose“ gegründet hatten und von den Nationalsozialisten hingerichtet worden waren. Die Ereignisse um den Bruderhof, auf dem die Familie Scholl lebte, wollten 1989 etwa 20 Schüler von Haupt- und Realschule sowie Lehrer genauer ergründen. Siggi Duffner, als damaliger Lehrer war er Leiter des Hauptschularbeitskreises „Weiße Rose“ im Rahmen des „Erweiterten Bildungsangebots“ (EBA), stellt die Ergebnisse nun digital zur Verfügung.

Viele Gespräche

Im Rahmen eines viel beachteten Projekts versuchte 1989 der Hauptschularbeitskreis bei vielen Besuchen und Gesprächen mehr Klarheit in die Geschichte der Familie Scholl zu bringen. Von November 1988 bis 30. Juni 1989 war der Arbeitskreis einmal pro Monat auf dem Bruderhof. Die Kinder und auch die Lehrer lauschten gespannt den Erzählungen des Zeitzeugen Landwirt Franz Josef Binninger, der Magdalena Scholl (die Mutter der am 22. Februar 1943 von den Nationalsozialisten hingerichteten Hans und Sophie Scholl) sowie ihre Tochter Inge auf dem Bruderhof aufgenommen hatte. Die Foto-AG der Hauptschule Bonndorf lieferte 1988/89 weit mehr als 100 Fotos aus der Gegend um den Bruderhof.

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Nebenbei führte der Arbeitskreis auch Gespräche mit Menschen, die den Krieg und die letzten Tage des Dritten Reiches noch erlebt hatten. Diese Gespräche wurden mit Kassettenrekorder aufgenommen – so kamen vier bis fünf Kassetten mit Berichten zusammen. Den größten Teil zur Geschichte der Familie Scholl (Vater Robert Scholl war noch in Kisslau in Sippenhaft) hatten die Schüler mit der Hilfe von Lehrern nach und nach von Hand auf vorgefertigte Blätter geschrieben und mit passenden Fotos versehen. Dies war eines der schwierigsten Unterfangen des gesamten Projektes, weil Franz Josef Binninger nur den besonderen Dialekt Ewattingens sprach.

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Kurz vor dem Veranstaltungstermin am 30. Juni 1989 war die zweiteilige Dokumentation fertig und wurde in der „Weiße Rose“-Ausstellung aus München in der Bonndorfer Stadthalle präsentiert. Dazu gab es ein Podiumsgespräch mit Siggi Duffner, dem Zeitzeugen Franz Josef Müller, Vorsitzender der „Weiße Rose“-Stiftung, der wegen Verbreitung der „Weiße Rose“-Flugblätter im Dritten Reich als Schüler selbst zu fünf Jahren Haft verurteilt worden war, mit Inge Aicher-Scholl, der Schwester von Sophie und Hans Scholl, sowie Anneliese Knoop-Graf, der Schwester des wegen Verteilung von Flugblättern hingerichteten Willi Graf.

Viel Unterstützung

Viele Eltern sowie Einwohner von Bonndorf und Ewattingen hatten die EBA-Gruppe bei den Nachforschungen unterstützt. Auch etliche Organisationen, wie Kirchen, Gewerkschaften, Bildungswerke sowie der damalige Landrat und die Bürgermeister von Bonndorf und Wutach, hatten mitgeholfen.

Landwirt Franz Josef Binninger (rechts) hatte nach Februar 1943 Magdalena Scholl und ihre Tochter Inge auf dem Bruderhof aufgenommen.
Landwirt Franz Josef Binninger (rechts) hatte nach Februar 1943 Magdalena Scholl und ihre Tochter Inge auf dem Bruderhof aufgenommen. | Bild: Privat

Inge Aicher-Scholl, die Schwester von Hans und Sophie Scholl, hatte gegen Projektende einen vielseitigen, eindrucksvollen Brief „über ihr Leben auf dem Bruderhof“ nach Bonndorf geschickt, den die EBA-Gruppe in die rund 250-seitige Dokumentation einarbeitete.

Wie ein Bruder

Noch mehr beeindruckt waren Schüler, Lehrer und Eltern von dem Gespräch mit Inge Aicher-Scholl am Morgen des 30. Juni, wo sie ein persönliches und überaus menschliches Gesicht zeigte. Sie beendete das Gespräch an diesem Morgen wie auch am Abend bei der Großveranstaltung mit dem unvergesslichen Satz: „Der Bruderhof hat seinen Namen zu Recht verdient, Franz Josef und seine Schwester (S‘Kätherle) haben uns wie einen Bruder aufgenommen und auch so mit uns gelebt.“

Risiko für die Helfer

Dabei war die Geschichte auch für die Familie Binninger recht gefährlich. Das Leben auf dem Hof wurde gegen Ende des Krieges beengt, weil die Familie Scholl keine Lebensmittelkarten beantragt hatte und auch mehr und mehr Menschen, die verfolgt waren, Zuflucht auf dem Hof gefunden hatten. Darunter war auch Otl Aicher, der spätere Mann von Inge Aicher-Scholl, ebenso wie der verbotene Schriftsteller und Kultur-Philosoph Theodor Haecker, der seine „Tag- und Nachtbücher“ auf dem Bruderhof geschrieben und mit der Hilfe von Franz Josef Binninger bis zum Kriegsende im Garten vergraben hatte.