Michael Baas

Mehr Lehrstellen als Bewerber: Was vor 15 Jahren in weiter Ferne schien, ist für die Agentur für Arbeit in Lörrach längst Fakt. In den Kreisen Lörrach und Waldshut gibt es seit acht Jahren mehr Ausbildungsplätze als Lehrlinge, und zwar mit steigender Tendenz. Zum Ausbildungsjahr 2017/18 bilanziert die Agentur für die Region 3036 gemeldete Stellen bei 2438 Bewerbern sowie derzeit noch 334 unbesetzte Lehrstellen. Die Hütte brenne – nicht zuletzt mit Blick auf den Fachkräftebedarf, sagten Agenturchef Andreas Finke und Vertreter der Kammern.

Der Lehrstellenmarkt sei im Umbruch, die Ausbildung ein Bewerbermarkt mit einem Überangebot an Lehrstellen. Verzeichnete die Agentur im Ausbildungsjahr 2016/17 im Bezirk Lörrach rechnerisch noch 1,19 Lehrstellen pro Bewerber, waren es 2017/18 bereits 1,25 Stellen. Vor allem im Handwerk sei die Entwicklung dramatisch, schilderten Wolfram Seitz-Schüle und Roland Weniger von den Handwerkskammern (HWK) Freiburg und Konstanz. Für den Kreis Waldshut bilanziert Letztere gegenüber 2016/17 noch 396 neue Lehrverträge oder 9,6 Prozent weniger; in dem zu Freiburg gehörenden Kreis Lörrach sei die Zahl der Neuverträge mit 406 zwar stabil, skizziert Seitz-Schüle. Dennoch gebe es Verlierer. Vor allem im Einzelhandel und im Friseurhandwerk fehle der Nachwuchs.

Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Hochrhein-Bodensee verzeichnet für beide Kreise zwar ein Plus von 3,2 Prozent bei neuen Ausbildungsverträgen auf 1735, kann daraus aber keine Rückschlüsse auf das Verhältnis von Stellenangebot und Bewerben ziehen. Klar aber scheint, dass die Lücke zwischen Lehrstellen und Bewerbern wächst. Kamen im nationalen Mittel noch 98 Bewerber auf 100 gemeldete Lehrstellen, sind es im Bezirk Lörrach laut Agentur nur mehr 80. Trotz dieser vergleichsweise großen Auswahl gibt es weiter eine kleine Gruppe von 52 unversorgten Jugendlichen. Das erklärt Finke vor allem mit mangelnder Mobilität, schlechten Schulabschlüssen und falschen Berufsbildern. „Wir haben offene Stellen, wo Bewerber nicht hinwollen, und Bewerber, wo es keine Stellen gibt“, sagt der Agenturchef.

Unter dem Strich haben nur knapp zwei Drittel oder knapp 1500 Bewerber tatsächlich eine Lehre begonnen sowie weitere sechs Prozent direkt eine Arbeit aufgenommen. Knapp 20 Prozent oder fast 500 Bewerber dagegen besuchen eine weiterführende Schule oder beginnen ein Studium. Das ist im Vergleich zu 2016/17 ein Plus von mehr als 25 Prozent und signalisiert den Trend zu höheren Bildungsabschlüssen.

Hier sehen Finke und die Vertreter der Kammern denn auch einen Hebel, um gegenzusteuern. „Ausbildung ist keine Sackgasse“, betonte der Agenturchef und forderte „ein Umdenken“ – auf Seiten der Bewerber und deren Eltern, die die zunehmende Fixierung auf ein Studium überdenken sollten, aber auch auf Seiten der Betriebe und Arbeitgeber. „Diese müssen mehr in junge Menschen investieren“, appellierte Finke und gegebenenfalls auch die Motivation und die sozialen Kompetenzen, die „Soft Skills“, der Jugendlichen fördern. Tatsächlich bewege sich das Spektrum inzwischen zwischen Hochschulreife und strukturellem Analphabetismus, ergänzt Seitz-Schüle. Diese Spannbreite aber stelle die Betriebe vor zusätzliche Herausforderungen.

Insgesamt setzt der Agenturchef auf einen Dreiklang, um den immer deutlicher werdenden Fachkräftemangel einzudämmen. Dazu gehört die bessere Einbindung von Frauen in den Arbeitsmarkt; dazu gehören forcierte Anstrengungen bei der Ausbildung sowie Zuwanderung und diese idealerweise in Ausbildung.

Eine Gruppe, die darüber zwangsläufig ins Blickfeld gerät, sind Asylbewerber und Geflüchtete. Im Handwerk hätten inzwischen 20 Prozent der Auszubildenden keinen deutschen Pass mehr, schildert Seitz-Schüle. Das Gros davon komme inzwischen aus Gambia, Afghanistan oder Syrien. Evelyn Pfändler weiß im Bereich der IHK von 84 Flüchtlingen in Ausbildung.

Indes sei das auf allen Ebenen ambitioniert. Es beginne mit unklaren Aufenthaltsperspektiven und ende bei mangelnden Sprachkenntnissen, die mittels der Sprachkurse wiederum mit dem Aufenthaltsstatus gekoppelt seien. Mithin ein Teufelskreis. Doch „wir brauchen die Leute im Handwerk“, sagt Roland Weniger von der Handwerkskammer Konstanz. Indes benötige Integration auch einen langen Atem.