Sigrid Schneider

Liebe Frau Hasswani, Sie sind eine mit Preisen ausgezeichnete Mundartautorin, Schriftstellerin und vieles mehr – nun ist Ihr erster Roman erschienen über die letzte Fürstäbtissin des Frauenstifts Säckingen Marianna von Hornstein-Göffingen. Wie kamen Sie auf diese spannende Persönlichkeit?

Tatsächlich hat das Thema mich gefunden! Schon damals bei den Recherchen zum „Sagenhaften Hotzenwald“ fiel mir diese Säckingerin als starke Frau auf. Auch, weil sie in einer sehr spannenden Zeit lebte. Nicht zuletzt feiert sie 2023 ihren 300. Geburtstag und bis dahin sollte das Buch fertig sein – was zur großen Freude gelungen ist!

Marianna von Hornstein-Göffingen war die letzte Fürstäbtissin des Säckinger Klosters. Sandhya Hasswani schrieb über sie einen Roman.
Marianna von Hornstein-Göffingen war die letzte Fürstäbtissin des Säckinger Klosters. Sandhya Hasswani schrieb über sie einen Roman. | Bild: Verlag

Was hat Sie an ihr so fasziniert, dass Sie an einen Roman gedacht haben?

Je mehr ich über Marianna und Säckingen recherchierte, umso deutlicher trat sie als starke Frau ihrer Zeit hervor: Sie war zu ihrem Amtsantritt erst 32 Jahre jung und leitete die Geschicke des Damenstifts rund 50 Jahre, sie verstarb im hohen Alter von 86 Jahren. Ihrer Initiative haben wir den silbernen Fridolinsschrein zu verdanken, sie hat sich auch dem Kaiser Joseph widersetzt, als er die Aufhebung des Damenstifts anordnete. Durch ihre persönliche Vorsprache in Wien hat sie ihn davon abgebracht.

Sandhya Hasswani und ihr neuer Roman „Die letzte Äbtissin“

Während der napoleonischen Kriege sah sie sich dem gefürchteten General Jean Victor Moreau gegenüber, der zwei Tage im Säckinger Stift nächtigte. Es gibt noch viele andere spannende Begegnungen. Schließlich musste sie viele Neuordnungen der Regierung akzeptieren, zuletzt sogar die Auflösung ihres Damenstifts – dennoch zerbrach sie nicht als Mensch daran. Das hat mich sehr berührt. Das hätte ich nicht in einer kurzen Erzählung unterbringen können.

Ihr Roman spiegelt unterschiedliche Handlungsebenen in dieser turbulenten Zeit. Neben Mariannas Stiftswelt erzählen Sie auch von den Leuten vom Wald, die unter Kaiserin Theresia 1755 ins Banat verbannt wurden – es waren 127 Personen. Wie haben Sie dies in den Roman eingeflochten?

Es war mir wichtig, mich möglichst eng an die historischen Ereignisse zu halten. Auf Säckingen blicken wir gleich aus zwei Perspektiven: mit Marianna im Damenstift und durch die bürgerliche Julia in der Textilbranche. Das Banat spielt abschnittsweise eine Rolle, weil eine Familie aus Hogschür dorthin zwangsumgesiedelt wurde. Teile der Französischen Revolution erleben wir durch die fiktive Figur Jakob, der seinem Drang nach Freiheit folgt. Wir erfahren also auch vieles über die Schweiz, Österreich, Frankreich und Europa.

Der massive silberne Fridolinsschrein in der Krypta des Säckinger Münsters wurde von der Fürstäbtissin in Auftrag gegeben.
Der massive silberne Fridolinsschrein in der Krypta des Säckinger Münsters wurde von der Fürstäbtissin in Auftrag gegeben. | Bild: Schneider, Sigrid

Wie haben Sie es geschafft, diese vergangene Zeit einzufangen in Ihren Schilderungen?

Dass alle Erzählstränge schlüssig ineinandergreifen, nahm viel Planung und Zeit in Anspruch. Ich musste den Blick vom Lokalen lösen und in größeren Kontext setzen, dabei den Wandel des Zeitgeistes nicht vergessen. Immer wieder gewann ich neue Erkenntnisse. Es war damals auch die Zeit der amerikanischen Unabhängigkeitskriege, der Krim-Annexion durch die russische Zarin, der Türkenkriege mit Österreich und schließlich der französischen Revolution. Eine solide Plot-Planung war Voraussetzung und erst danach konnte ich mich in die Zeit hineinfühlen und die Details zu einem lebendigen Bild zusammenfügen.

Sehen Sie Bezüge zu heute?

Auf jeden Fall – denn wir stehen heute vor ähnlich großen gesellschaftlichen Umwälzungen. Damals kündigte sich die Industrielle Revolution an, heute stehen wir mitten im Wandel in das digitale Zeitalter, was ein ähnliches Umdenken erfordert. In dieser Hinsicht vermittelt uns Marianna einiges an Mut und Zuversicht. Während des Schreibprozesses durfte ich einige Erkenntnisse gewinnen.

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Was zum Beispiel?

Manche Geschehnisse können wir nicht beeinflussen, wohl aber, was es mit uns macht; ob wir uns unsere Friedfertigkeit und Menschlichkeit nehmen lassen.

Was hat Sie am meisten fasziniert und beeindruckt während Ihrer Recherche?

Wie eng unsere Region doch mit den Menschen im Banat, im Glarus oder in den Habsburger Landen verwoben ist. Und dass heute ein Görwihler sogar in Temeswar zum Bürgermeister gewählt wurde. Dort spielen etliche Szenen des Romans. Heute betrete ich das Säckinger Münster mit ganz anderen Augen, auch die Innenstadt von Bad Säckingen. Ich hoffe, es ergeht den Lesern meines Romans ähnlich.

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Welche der Figuren außer Marianna haben Sie am meisten ins Herz geschlossen?

Nun, Jakob, den verbannten Zwillingsbruder von Julia. Allein schon, wie er als Jugendlicher in der Fremde neu beginnen muss, dass er sich mit dem Vater nicht aussöhnen kann, und, dass ihn der Drang nach Freiheit immer weiter antreibt – bis in sein eigenes Verderben. Ich habe lange mit mir gehadert, ihn so scheitern zu lassen. Aber aus erzählerischer Sicht war das nur konsequent, auch menschennah. Mir fließen noch immer Tränen, wenn ich manche Passage über ihn lese.

Im kommenden Jahr feiert Bad Säckingen den 300. Geburtstag Ihrer Hauptfigur Marianna von Hornstein-Göffingen. Und Sie feiern sicher mit – worauf freuen Sie sich am meisten?

Die Freude ist groß! Besonders freue ich mich auf die geplante Äbtissinnen-Ausstellung im Schloss und auf zahlreiche Veranstaltungen zum 300. Jubiläum. Aber ich darf nicht zu viel verraten. Privat nehmen wir uns einen Besuch in Temeswar vor. Denn auch diese Stadt feiert 2023 und ist dann Europäische Kulturhauptstadt.

Haben Sie schon ein nächstes Ziel? Ein kommendes Buchprojekt über das Sie uns erzählen möchtest?

Nach dem Buch ist vor dem Buch. Aber kein Schriftsteller redet vor Vollendung über sein laufendes Projekt. (Lacht) Jetzt freue ich mich zunächst auf das Säckinger Jubiläumsjahr und auf viele schöne Begegnungen mit den Leserinnen und Lesern.