Seit Corona ist kaum noch etwas wie vor der Pandemie – auch nicht in den Kirchen. Zwar dürfen Gottesdienste laut der Verordnung noch stattfinden, allerdings nur unter Einschränkungen: Gemeindegesang ist verboten, abhängig von der Kirchengröße ist nur eine stark reduzierte Anzahl von Besuchern zugelassen.
Und die, die kommen dürfen, müssen Masken tragen. Aber auch hinter den Kulissen ist vieles anders geworden: Der Alltag der Pfarrer und die Aufgaben, die die Geistlichen erfüllen, haben sich verändert.

Gerade der Anfang der Pandemie, als im ersten Lockdown die Kirchen eine Zeit lang geschlossen wurden, sei sehr stressig gewesen, erinnert sich Rainer Stockburger, Pfarrer der evangelischen Kirche Stockach. „Das, was wir bisher gemacht haben, ging nicht mehr.“
Kontakte, die in seinem Beruf eine wichtige Rolle spielen, wurden eingeschränkt, die Gemeinde konnte nicht mehr auf die gleiche Weise erreicht werden, als es zuvor der Fall war. „Früher war Gemeinschaft recht leicht zu leben“, erklärt Martina Stockburger, die die gleichen Erfahrungen in ihrer Kirchengemeinde Steißlingen-Langenstein gemacht hat.
Kirchen müssen viel mehr Initiative zeigen
„Wir laden ein und die Leute gehen hin – aber das ging dann plötzlich nicht mehr.“ Gruppenstunden, Freizeiten, Bibelwochen mussten abgesagt werden, das, was noch stattfinden darf, anders organisiert werden. Eine Umstellung, die laut Rainer Stockburger keine einfache war. „Es ist viel Initiative gefragt“, sagt auch seine Frau. „Wie kann es anders weitergehen?“
Für die Pfarrer bedeuten die Umstellungen und Einschränkungen: „Die Zeit am Computer hat sich deutlich erhöht“, so Martina Stockburger. Es gebe viel mehr Mailkontakte und auch Anrufe oder Chatnachrichten. Gleiches berichtet auch Michael Lienhard, der als Pfarrer für die katholische Kirchengemeinde Stockach zuständig ist.
Pfarrgemeinderats- und Stiftungssitzungen seien zwar unter Einhaltung der Hygieneregeln nach wie vor möglich, allerdings müssen die Gemeindeteamsitzungen, in denen es um organisatorische Dinge geht, digital stattfinden. Und auch der Kontakt zu den Gläubigen habe sich zum Teil verändert: „Es ist ja ganz schwer, jemanden zu besuchen“, gibt Rainer Stockburger zu bedenken. Der direkte Kontakt finde eingeschränkt statt. „Die Telefonseelsorge hat enorm zugenommen.“
Spaziergang mit Brautpaaren
Aber der direkte Kontakt entfällt eben doch nicht ganz: Martina Stockburger berichtet, etwa mit Brautpaaren spazieren gegangen zu sein, um über deren Trauung sprechen zu können, ohne indirekt, etwa über Videotelefonie, mit ihnen Kontakt aufnehmen zu müssen. Gleiches biete sie auch allen anderen Menschen an, die das Gespräch suchen.
Auch Michael Lienhard berichtet, zusätzlich zu Telefongesprächen würden viele Menschen auch das direkte Gespräch suchen. Das sei bei ihm möglich, da er sich zu Einzelgesprächen oder Beratungsgesprächen zu Anlässen wie Beerdigungen oder Hochzeiten noch mit den Menschen treffen dürfe – solange die Corona-Regeln eingehalten werden.
Sogar Corona-Patienten dürfe er notfalls besuchen, etwa, um ihnen den letzten Segen zu geben. „Das war noch nie der Fall, aber ich habe Schutzkleidung“, berichtet er. Auch im Krankenhaus sei das möglich, dort werde ihm die Ausrüstung gestellt.
Angst, sich bei Einsätzen mit dem Corona-Virus zu infizieren, hat Michael Lienhard keine, wie er sagt. Er achte auf die Regeln und sei vorsichtig. Dennoch: „Es lässt einen schon nicht teilnahmslos“, berichtet er.
Er habe einmal einen Einsatz bei einer Person gehabt, bei der später nicht klar war, ob sie sich mit Corona infiziert hatte oder nicht. Schlussendlich sei das nicht der Fall gewesen, „aber man beobachtet sich dann schon. Ich will natürlich nicht krank werden oder dass ich jemanden anstecke.“
Gemeinde muss neue Wege suchen, um Kontakt zu halten
Aber Gespräche alleine reichen nicht. Um in der Corona-Krise und trotz der vielen Einschränkungen dennoch Gemeinschaft möglich zu machen, müssen die Kirchen und damit auch die Pfarrer sich zusätzlich neue Wege überlegen, damit sie die Gläubigen erreichen können.
An Weihnachten gab es so zum Beispiel sowohl in der katholischen, als auch in der evangelischen Kirche Gebete oder Geschichten als Impuls für zuhause. Aus St. Oswald wurden Gottesdienste live übertragen. Die evangelische Kirche rief dreiminütige Telefonandachten ins Leben und nahm während des ersten Lockdowns Gottesdienst-Impulse auf.
Kirche will mehr Social Media nutzen
Zudem sei die Melanchthonkirche geöffnet worden, damit die Gläubigen diese auch unabhängig von den Gottesdiensten besuchen können. Wie Rainer Stockburger berichtet, überlege man sich zudem, auch auf Instagram aktiv zu werden. „Wir brechen aus unseren gewohnten Bahnen aus“, fasst es der evangelische Pfarrer zusammen.
Stockburger und seine Frau sehen das auch als Chance für die Kirche, denn es sei wichtig, sich neu auszurichten. „Da sind plötzlich ganz grundsätzliche Fragen aufgekommen: Was wollen wir als Kirche in Zukunft sein?“, erklärt Rainer Stockburger.
Um als Kirche nach wie vor seine Botschaft in die Gesellschaft tragen zu können, müsse man neue Wege beschreiten. „Das geht nicht mehr nur auf den klassischen Pfaden“, ist sich der evangelische Pfarrer sicher – auch dann nicht, wenn die Corona-Pandemie wieder vorbei ist und Kirche wieder im klassischen Sinne stattfinden könne. „Wir können und wollen nicht wieder da anknüpfen, wo wir vor Corona waren“, sagt auch Martina Stockburger.
Neue Form des Gottesdienstes
Das Ehepaar könnte sich zum Beispiel vorstellen, in Zukunft neben der vor Corona üblichen Form von Gottesdiensten auch eine vereinfachte Form anzubieten, die etwa mit weniger Liturgie auskommt. Das sei aktuell wegen der Corona-Pandemie üblich geworden, weil die evangelische Kirche etwa vorgibt, dass der Gottesdienst nicht länger dauern darf als eine halbe Stunde. Und dadurch sei die Hemmschwelle, mitzumachen, gesunken, so das Ehepaar Stockburger.
Auch in der katholischen Kirche könnte es durch Corona zu dauerhaften Änderungen kommen: Laut Michael Lienhard wolle man auch in Zukunft einen Teil der Gottesdienste live übertragen. „Nicht in der Häufigkeit“, schränkt er zwar ein. „Aber es gibt immer wieder Menschen, die krank sind oder nicht aus dem Haus können.“ Ihnen könnte ein Livestream auch nach der Corona-Pandemie helfen.
Pandemie beschert auch mehr Zeit für sich
Aber nicht nur für die Kirche, sondern auch für sich selbst entdecken die Pfarrer an den Änderungen durch die Pandemie ein paar Vorteile: So geben sowohl das Ehepaar Stockburger, als auch Michael Lienhard an, mehr Zeit zu haben. „In normalen Zeiten habe ich fast jeden Abend einen Termin“, sagt Lienhard.
Er nehme dann etwa an Glaubenskursen oder Gruppentreffen teil. Das sei nun nicht mehr so. Im ersten Lockdown sei er darum viel Fahrrad gefahren, außerdem sei mehr Ruhe in sein Leben gekommen. Auch die Stockburgers nutzen das für sich: So werde theologisch mehr gelesen.