Frau Wedele, wie kam es zu diesem außergewöhnlichen ehrenamtlichen Einsatz in Togo?

Ich hatte einen guten Kontakt zu einem Vertreter für medizinische Produkte. Er hat mich Armin Junghardt, Gründer und Leiter der Stiftung ToGo opening eyes, vorgeschlagen. Im Februar kam der Anruf von Herrn Junghardt, ob ich Lust hätte, im Juli mit ihm in einem achtköpfigen Team nach Vogan in Togo zu fliegen, um dort zwei Wochen lang Menschen am Grauen Star zu operieren. Ich habe erst schweren Herzens abgesagt, weil wir für diese Zeit bereits eine Alpenüberquerung gebucht hatten. Mein Mann sagte schließlich, die Alpen stehen noch länger, flieg du nach Togo u nd damit war es entschieden.

Carmen Wedele (links) erzählt Mitarbeiterin Ursula Freudig von ihrem ehrenamtlichen Einsatz in Togo, die Erdnüsse und die Tischdecke hat ...
Carmen Wedele (links) erzählt Mitarbeiterin Ursula Freudig von ihrem ehrenamtlichen Einsatz in Togo, die Erdnüsse und die Tischdecke hat sie von dort mitgebracht. | Bild: Michael Wedele

Die Hitze, ein Team, das Sie nicht kannten und schon länger nicht im OP gestanden – brauchte es nicht viel Mut?

Ja. Hinzu kam, dass ich auch das Gerät nicht kannte, mit dem operiert wurde und auch kein Französisch spreche. Aber in meinen Vorträgen über Resilienz erzähle ich immer, raus aus der Komfortzone, die Magie des Lebens findet außerhalb statt. Und ich sagte mir, Menschen das Augenlicht wieder zu schenken, ist etwas so Positives, dass ich die Kraft haben werde, alles zu schaffen und durchzuhalten und Gottvertrauen spielte natürlich auch mit. Ich versprach Armin Junghardt, mein Bestes zu geben und er versicherte mir, dass sie auch mich als Team unterstützen würden. Er ist ein ganz besonderer Mensch und hat ein großes Herz. Er hat einfach einen Abstellraum des Krankenhauses in Vogan als OP-Saal eingerichtet und ist jetzt dabei, mit seiner Stiftung dort eine Augenklinik aufzubauen, in der dann auch Menschen zu Augenärzten ausgebildet werden.

Wie war das Ankommen in Vogan und der erste Tag dort?

Die erste große Herausforderung für mich war die sehr feuchte Hitze, es hatte rund 30 Grad. Togo ist malariagefährdetes Gebiet. Ich habe die erste Nacht sehr schlecht unter meinem Moskitonetz geschlafen, es war einfach zu heiß und die ersten Tage hatte ich mit Bauchweh zu kämpfen, das andere Essen, die Aufregung, die Strapazen des Flugs machten sich bemerkbar. Es gab nur kaltes Wasser. Morgens war das schon etwas schwierig für mich, aber abends, wenn man verschwitzt vom Operieren zurück kam, ging es. Wir hatten viel Material mitgebracht und am ersten Tag den OP-Saal eingerichtet.

Carmen Wedele im OP-Saal in Vogan/Togo.
Carmen Wedele im OP-Saal in Vogan/Togo. | Bild: Privat

Mit unseren Vorstellung von einem OP kommen wir dabei wohl nicht weit?

Nein, es war komplett anders. Die Instrumente werden mit der Zahnbürste von Hand gereinigt. Ich hätte nie gedacht, dass ich auch mal mit Mücken und Spinnen im OP-Saal klar komme oder mit einer Echse, die irgendwo rumläuft. Ich habe dafür einen neuen Begriff erfunden und nannte es ein bisschen steril. Es wird auch kaum etwas weggeschmissen, zum Beispiel fehlte beim Gehstock einer Patientin unten der Gummiaufsatz, durch den der Stock halt gibt. Unser Anästhesist hat dann einfach den Gummiverschluss eines Medikaments über den Stock gestülpt. Diese Kreativität und dass man nicht einfach alles wegschmeißt, hat mich beeindruckt. Operiert haben wir aber mit einem Gerät, das medizinisch auf dem neuesten Stand ist.

Wie viele Patienten wurden denn in diesen zwei Wochen operiert und kostete es was für die Patienten?

Wir sind jeden Tag außer Sonntag acht bis zehn Stunden im OP-Saal gestanden. Um 5.30 Uhr standen wir auf, um 7 Uhr war Abmarsch zum Hospital. Insgesamt 104 Patienten haben wir in diesen zwei Wochen operiert, darunter viele ältere, bei denen der Graue Star so weit fortgeschritten war, dass sie fast erblindet sind und die Operationen manchmal statt normalerweise ein paar Minuten, bis zu einer Stunde dauerten. Grundsätzlich erkranken hier die Menschen früher am Grauen Star als bei uns, Mangelernährung, das phosphorhaltige Wasser oder fehlender Schutz der Augen vor der intensiven Sonneneinstrahlung durch Sonnenbrillen könnten Gründe sein. Bezahlen müssen die Patienten eine kleine Abgabe an das Krankenhaus, in dem wir den OP-Saal haben und wer auch das nicht bezahlen kann, der bekommt alles umsonst.

Am Strand tankt das Ärzte- und Schwesternteam neue Kraft für die kommenden Operationen, Vierte von links: Carmen Wedele.
Am Strand tankt das Ärzte- und Schwesternteam neue Kraft für die kommenden Operationen, Vierte von links: Carmen Wedele. | Bild: Privat

Haben Sie etwas außerhalb des OP-Saals erlebt, die Sie nie vergessen?

Ja, am Sonntag hatten wir frei und besuchten einen Gottesdienst. Der Einzug der Geistlichen, des Chors, der Gesang, die Musik, und während des Gottesdienstes haben alle zusammen vor dem Altar getanzt, das war richtig schön und berührend, mir sind fast die Tränen gekommen. Mega cool war auch der Ausflug des Teams an den Atlantik-Strand. Wir haben so viel Leichtigkeit gefühlt und wieder Kraft getankt, dass ich gesagt habe, wir springen alle in die Luft. Jemand hat das mit meinem Smartphone festgehalten.

Welche Einsichten haben Sie aus Togo mitgenommen?

Mitgebracht habe ich Mückenstiche, Stoff und Erdnüsse, die dort sehr verbreitet sind und wie ich finde, besonders gut schmecken. Gelernt habe ich, wie viel man in einem Team erreichen kann, wenn alle das gleiche Ziel haben und sich gegenseitig unterstützen. Die zwei Wochen in Togo waren wie eine komplett andere Welt, fast surreal kommen sie mir vor. Ich habe bestätigt bekommen, dass man seine Komfortzone verlassen muss, um neue, andere Blicke aufs Leben zu bekommen. Zum Beispiel habe ich die Menschen in Vogan alle sehr ruhig und gelassen erlebt. Sie gehen, arbeiten, ja leben viel langsamer. Patienten sitzen oder liegen geduldig bis zu mehreren Tagen im Wartebereich und warten auf ihren OP-Termin. Wir fühlen uns doch sehr oft gehetzt, unter Zeitdruck und im Stress. Wir haben die Uhren, aber sie haben die Zeit, so ein Sprichwort.

Sie haben ehrenamtlich gearbeitet und nicht für Geld – macht dies Ihre Erfahrung besonders wertvoll?

Ja, ich denke schon. Ich habe bestätigt bekommen, dass ich Zufriedenheit und Glück nicht im Außen, nicht in materiellen Dingen finden werde, dass sie nur über einen inneren Weg zu erfahren sind. Ich habe gespürt, wie viel Lebenskraft eine sinnstiftende Arbeit schenkt und wie toll es ist, wenn man dazu beitragen kann, die Welt ein bisschen besser zu machen. Ehrenämter sind hierfür sehr gut geeignet. Jedes Ehrenamt kann einem viel geben. Ich habe außerdem deutlich gespürt, dass wir dankbar sein sollten, weil es uns hier so gut geht und dass nichts selbstverständlich ist, auch nicht das warme Wasser im Flugzeug und der Cappuccino, der erste auf dem Rückflug in Brüssel, war eine kleine Feier für mich. Ich schätze die Annehmlichkeiten hier wieder mehr.

Sind wir zu wenig dankbar für das, was wir hier haben?

So vieles ist für uns einfach selbstverständlich, zum Beispiel fließendes Wasser oder eine Krankenversicherung. Seit drei Jahren schreibe ich ein Dankbarkeitsbuch, das verändert den Blick auf das Gute. Ich schreibe jeden Abend auf, wofür ich an diesem Tag dankbar bin und finde sogar an den schlimmsten Tagen noch etwas Gutes. Wenn ich es mal vergessen habe und schon im Bett bin, stehe ich wieder auf und tue es.

Werden Sie wieder nach Togo fliegen, wenn sich die Möglichkeit ergibt?

Ja, auf jeden Fall, und ich würde mich sehr freuen, wenn auch hier Menschen die Stiftung bei ihrem ehrenamtlichen Einsatz in Togo finanziell unterstützen.

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