Doris Dehmel

Auf einen Kaffee mit … Elena Denisova-Schmidt aus Klettgau, die sich als Autorin einem ganz speziellen Thema gewidmet hat.

Frau Denisova-Schmidt, das Buch „Russlanddeutsche – Geschichte und Gegenwart“ stammt aus Ihrer Feder. Wie kamen Sie dazu?

Zufällig. Ich habe über ein neues Förderprogramm zur Kultur und Geschichte der Russlanddeutschen gelesen und habe meine Projektidee eingereicht. Das war ein neues Programm der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages.

Hatten Sie schon vorher schriftstellerische Erfahrungen?

Schriftstellerische noch keine. Ich habe jedoch mehrere wissenschaftliche Texte verfasst.

In welchem Bereich der Wissenschaft sind Sie tätig?

Das große Thema ist Russland mit dem Schwerpunkt Korruption. Dabei ist es mir aber ganz wichtig, die Dinge nicht schwarz-weiß darzustellen, sondern vielmehr die Hintergründe herauszufinden, aufzuzeigen und die Folgen nicht außer Acht zu lassen. Als Kind hatte ich viel erlebt und nutze jetzt die Möglichkeit, auch auf die internationale Korruption hinzuweisen.

Ihre bisherigen Publikationen gelten doch eher Ihrem beruflichen Umfeld. Wie entstand das Interesse an einem völlig anderen Gebiet?

Ich habe ein sehr persönliches Interesse an diesem Thema: Mein Mann ist ein Russlanddeutscher.

Allein Ihr Name lässt darauf schließen, dass Ihre Wurzeln nicht in Deutschland sind. Wo sind Sie aufgewachsen?

Ich bin Russin. Ich wurde in Russland im Ural geboren und dort aufge wachsen.

Wie kamen Sie nach Erzingen?

Nach meinem Forschungsaufenthalt an der Humboldt-Universität in Berlin hatte ich eine neue berufliche Perspektive an der Universität St. Gallen in der Schweiz. Erzingen ist inzwischen die zweite Heimat meines Mannes und seiner Familie geworden. Geografisch bin ich in Deutschland angekommen, beruflich agiere ich aber weit über die Grenzen hinaus.

Hatten Sie schon früher Kontakt zu deutsch-russischen Familien

Nur hier in Deutschland. In Russland hatte ich keine Russlanddeutschen in meinem Bekanntenkreis.

Die Lebenssituation der Aussiedlerfamilien ist heute vielfach eine ganz andere als nach deren Ankunft in Deutschland. Was hat Sie bei Ihren Recherchen am meisten beeindruckt?

Am meisten hat mich beeindruckt, wie stark diese Menschen sind. Das Schicksal hat sie oft geschlagen, doch sie haben nie aufgegeben.

Unterscheiden sich die Erfahrungen und Erwartungen der von Ihnen beschriebenen Personen stark von Ihren eigenen?

Es gibt viele Gemeinsamkeiten und vielleicht einen gravierenden Unterschied: Die Russlanddeutschen, die in ihrer alten Heimat über Generationen hinweg als Faschisten bezeichnet wurden, mussten nach ihrer Ausreise sehr oft ihre deutsche Identität beweisen, weil sie von den einheimischen Deutschen oft als Russen bezeichnet wurden. Dies brauchte ich nicht.

Viele Aussiedlerfamilien, die fälschlicherweise von den Einheimischen als Russen bezeichnet werden, sind auch emotional hier sesshaft geworden und wollen nicht mehr weg. Ist das bei Ihnen auch so?

Mir gefällt es hier auch sehr gut. In meiner wissenschaftlichen Karriere sind noch weitere Stationen möglich. In den letzten zwei Jahren habe ich an der Harvard-Universität in den USA geforscht. Jetzt habe ich wieder eine Affiliation mit einer US-amerikanischen Universität – dem Boston College. Bis jetzt haben mir die Kurzaufenthalte in den USA genügt. Das könnte sich jedoch auch mal ändern.

Gerade das Ehrenamt scheint Ihnen wichtig zu sein. Wie engagieren Sie sich persönlich?

Ich engagiere mich seit einigen Jahren für den Verein „Zukunft für Ritschow“. Seit 2013 bin ich die stellvertretende Vorsitzende. Das Buch basiert auf Interviews mit russlanddeutschen Freunden und Mitgliedern des Vereins.

Glauben Sie, dass es möglich sein kann, mit Ihrem Buch Vorurteile abzubauen?

Im Verein haben wir das geschafft. Ich hoffe sehr, dass es in anderen Bereichen auch möglich sein wird. Vielfach ist es einfach die Unkenntnis, die zu großen interkulturellen Missverständnissen führt. Aus diesem Grund ist es auch wichtig, dass die Menschen offen aufeinander zugehen und einander respektieren. Waren es anfangs wenige Aussiedlerfamilien, die belarussische Kinder zu einem Erholungsaufenthalt eingeladen haben, so hat sich ihre Zahl stark gesteigert, was auch Kontakte zu anderen Gastfamilien brachte.


Zur Person

Elena Denisova-Schmidt (39) ist Russin und lebt mit ihrem Ehemann und Tochter in Erzingen. Sie lehrt und forscht an der Universität St. Gallen und hat in den vergangenen Jahren über 100 englischsprachige Publikationen für Kollegen und Praktiker verfasst. Aus einem Land kommend, in dem sehr viele Frauen in Führungspositionen sind, waren für die Autorin Diskussionen über Quotenfrauen oder außerfamiliäre Kleinkinderbetreuung völlig fremd. Mit ihrem Buch hat sie Neuland im schriftstellerischen Bereich betreten.