Frau Cahenzli, vor einem Jahr ist ihr erstes Buch, „Liebesver(sp)brechen“ erschienen. Darin geht es um den Missbrauch der Liebessehnsucht eines Mädchens durch einen jungen erwachsenen Mann, erzählt aus dem Blickwinkel des Mädchens. Was haben Sie für Reaktionen der Leser erlebt?
Viele Leser haben mir erzählt, dass sie die Geschichte gefesselt, aber zugleich schockiert hat. Auch hat sich gezeigt, dass die Loverboy-Methode nur wenigen Leuten bekannt war. Interessant war für mich, dass die Meinungen in Bezug auf das Mädchen Sophie stark auseinandergingen: Manche Leser konnten kaum glauben, dass ein junges Mädchen in eine derartige emotionale Abhängigkeit geraten kann. Andere konnten sich dies hingegen gut vorstellen.
„Torben im Turm“ ist Ihr zweites Buch. Im Mittelpunkt steht ein 13 Jahre alter Junge. Worum geht es in dieser Geschichte?
Es geht um den dreizehnjährigen Torben, der sich aus Angst vor seinem psychisch kranken Vater in einem alten Leuchtturm versteckt und darum, wie er einen Weg findet, den düsteren Schatten seiner Erinnerung zu entkommen.
Als Leser leidet man mit dem Jungen, der sich isoliert und in eine scheinbar ausweglose Lebenssituation manövriert wird. Torbens Vater sieht sich von grausamen Göttern verfolgt. Da wünscht man sich für den Jungen einen gütigen Gott, der ihm hilft. Sie sehen aber Religion nicht als Ausweg?
Ich denke, dass Torben vor allem Menschen braucht, denen er sich anvertrauen kann und die in der Lage sind, ihm aus seiner inneren Not herauszuhelfen. Dies kann sowohl in einem kirchlichen als auch in einem weltlichen Rahmen stattfinden.
Offenbar gibt es keinen einzigen Menschen, an den sich Torben wenden will, die Familie hält nach außen zusammen, aber weder Mutter noch Schwester wissen sich oder einander zu helfen. Torben soll also seine innere Stärke entdecken und selbst einen Ausweg finden? Das scheint viel verlangt von einem 13-Jährigen...
Torben spürt von klein auf, dass seine Mutter oft verzweifelt ist und will sie nicht zusätzlich belasten. Zudem ist sie gerade verreist, als Torben einen Brief seines Vaters findet, der ihn zur Flucht veranlasst. Zu seiner Schwester Frieda hat Torben zwar ein recht gutes Verhältnis, doch ist sie bereits ausgezogen, als er von Zuhause wegläuft. Tatsächlich ist Torben ein Kind, das durch seine häusliche Situation überfordert wird.
Schließlich bekommt er wie durch ein Wunder doch Hilfe von außen, von einem Fremden, aber erst, als er benennen und im wahrsten Sinne des Worte be-schreiben kann, was ihn bedrückt. Das Schreiben hilft ihm. Sie leiten eine AG für kreatives Schreiben. Ist das Wissen um die vielen „Torbens“ mit ein Grund dafür, dass Sie dieses Angebot machen?
Ursprünglich wollte ich einfach meine Begeisterung fürs Schreiben weitergeben. Aber ich denke schon, dass das Schreiben den Jugendlichen auch bei der Verarbeitung ihrer Erfahrungen behilflich sein kann.
Wie könnte es mit Torben nach diesem Wochenende im Turm weitergehen?
Ich glaube, dass es Torben gelingen wird, die Schatten seiner Kindheit hinter sich zu lassen. Dabei wird ihm die Freundschaft zu Georg genauso helfen wie die Gespräche mit dem Psychiater Dr. Wertheimer. Und es kann gut sein, dass Torben noch viele Gedichte schreiben wird.
Fragen: Uthe MartinZur Person
Die Autorin von „Torben im Turm“, Gesine Cahenzli, Jahrgang 1966, hat an der PH Freiburg Deutsch, Geschichte und Hauswirtschaft/Textiles Werken studiert. Sie unterrichtet an der Realschule Tiengen und leitet dort seit Jahren eine Arbeitsgemeinschaft für kreatives Schreibern. Sie schreibt Jugendliteratur, Kurzprosa und Lyrik. Zahlreiche ihrer Texte wurden in Anthologien veröffentlicht. „Torben im Turm“, 91 Seiten, 10 Euro, erschienen im Kid-Verlag. ISBN 978-3-929386-71-4Gesine Cahenzli stellt „Torben im Turm“ am 27. Oktober, 19.30 Uhr, in einer Lesung in den Schwarzenbergsälen im Schloss Tiengen vor.
Sturm und Hoffnungsschimmer
Was für ein Wochenende! Der 13 Jahre alte Torben flüchtet sich in einen alten Leuchtturm. Draußen tobt ein Gewitter, in dem Jungen ein Sturm der Verwirrung und Angst. Daheim hat er es nicht mehr ausgehalten. Es ist keine Kurzschlusshandlung oder die Angst vor Strafe, nicht der Trotz, der ihn aus dem Haus getrieben hat. Der Grund ist das Verhalten seines Vaters, diesmal so verstörend und beängstigend, dass Torben meint, sich in Sicherheit bringen zu müssen.