Herr Sponeck, ihr Vortrag heißt: „Menschenrechte, eine gefährdete Errungenschaft“. Waren die Menschenrechte je außer Gefahr?
Im Laufe der 71 Jahre, die es die Vereinten Nationen gibt, ist kontinuierlich neues internationales Menschenrecht geschaffen worden. Dieses verpflichtende internationale Recht steht zwar auf dem Papier und ist von den meisten der 193 Mitgliedsstaaten akzeptiert, aber in der Praxis wird es oft nicht angewendet. Die Gefährdung bleibt. Das sehen wir gerade in diesen Tagen. Rechte, die wir akzeptiert haben, werden plötzlich ignoriert. Die Kluft auf der Welt ist tiefer geworden. Das hat viele Gründe. Zum Beispiel, dass der Unilateralismus, der Einfluss eines einzigen Landes auf das Weltgeschehen, abnimmt und eine Neuverteilung der Macht stattfindet, eine Veröstlichung. In einer solchen geopolitischen Dynamik ist das erste Opfer der Bürger. Der Fortschritt der Menschenrechte, den wir hier ganz natürlich akzeptieren, der relativiert sich, wenn man einmal über den Tellerrand hinausschaut. Dann merkt man, dass diese Rechte in vielen Teilen der Welt gefährdet sind.
Wie hat sich die Situation der Menschenrechte in 70 Jahren verändert?
Die Vernetzung hat in diesen 70 Jahren stark zugenommen. Wir sind zu einem groß angelegten Dorf geworden. Wenn an einem Ende des Dorfes ein Blitz einschlägt, dann merkt man das auch am anderen Ende. Es ist eine Situation entstanden, in der wir merken, dass die Rechte, die wir als selbstverständlich ansehen, durch das, was woanders geschieht, in Frage gestellt werden.
Also hat sich die Wahrnehmung verändert, nicht aber die Situation?
Früher war die Gemeinsamkeit nicht da. Die sozialen Medien zeigen, dass zwischen Menschen, die sich nie gesehen haben und sich nie sehen werden, eine Gemeinsamkeit existiert. Eine der brisanten Gemeinsamkeiten ist, dass auf allen Erdteilen, von Australien bis Europa und von Amerika bis Asien, eine große Müdigkeit, ein Vertrauensverlust entstanden ist gegenüber denen, die die Politik machen. Diese Bündelung ist neu. Natürlich liegt darin eine große Gefahr.
Politikmüdigkeit gefährdet die Menschenrechte?
Eine echte Gefahr, die ich sehe, ist, dass das politische Gespräch zum Monolog wird, dass man der Auseinandersetzung auf Augenhöhe ausweicht, dass man den runden Tisch nicht mehr sieht, an dem man sitzen kann, um Konflikte zu lösen. Durch solche Entwicklungen gewinnt unter anderem der Populismus Aufwind. Der tektonische Wandel von einer Großmacht, die im Abrutschen ist zu neuen Mächten, die kommen, ist nicht neu, aber gerade können wir diese Entwicklung sehen. Das ist sicher ein Phänomen einer kurzen Zeit, aber in dieser Zeit sind die Menschenrechte, die wir erschaffen haben, besonders bedroht.
Nun könnte man auch argumentieren, dass diese Ablösung des Unilateralismus eine Chance ist zur Demokratisierung internationaler Beziehungen.
Absolut. In dem Prozess ist auch ein Silberstreifen. Man konzediert: Der Unilateralismus hat es nicht geschafft, also muss der Multilateralismus und damit eine Einrichtung wie die Vereinten Nationen eine neue Möglichkeit bekommen. Wenn man nicht aufgeben will, dann muss man zu dem Schluss kommen: Was oberflächlich aussieht wie eine Nationalisierung, enthält auch ein Element der Internationalisierung. Die Empörung der Menschen beruft sich auf Ähnliches. Auf den Kampf gegen die Ungleichheit, gegen die Perspektivlosigkeit, auf den Kampf gegen Lügen und Korruption – ob in Frankreich oder in Deutschland, in Hongkong oder in Brasilien. Es ist durchaus möglich, dass nach einem Zeitraum der Konflikte die Vernunft wiederkommt und man gemeinsam an einer neuen internationalen Lebens- und Sicherheitsstruktur arbeitet. Gerade wenn es wie jetzt in Lörrach darum geht, mit jungen Leuten ins Gespräch zu kommen, ist es für mich wichtig, dass man ihnen mitteilt, dass ältere Menschen Optimismus behalten haben. Man muss den jungen Leuten sagen: Ihr müsst euch die Macht des Wissens aneignen. Sonst könnt ihr nicht mitreden. Sonst werdet ihr überrollt von der Lawine derer, die im Augenblick den Ton angeben.
Haben die meisten nicht den Eindruck, dass sie eh nichts tun können?
Das mag sein. Ich habe allerdings in meinem Leben gemerkt, dass oft die, die schüchtern sind, weil sie jung sind, viel ernster genommen werden als jemand, der im mittleren Bereich seines Arbeitslebens steht. Das hat etwas mit Unschuld zu tun und mit Reinheit. Der junge Mensch ist einfach ehrlicher – oft zumindest. Weil er noch sagt, was ihn kratzt, was ihn interessiert. Während der Ältere schon wieder vorsichtiger ist. Damit wird der junge Mensch von Personen, die es ernst meinen, sehr viel mehr gehört. So habe ich das zumindest mitgekriegt. Wir müssen versuchen, uns zusammenzusetzen und die Apathie durch Neugierde zu ersetzen, durch einen Prozess der Verständigung.
Fragen: Manuel FritschPerson und Vortrag
Hans-Christof Graf von Sponeck, geboren 1939, war UN-Diplomat und ist Hochschullehrer und Autor. Von 1968 bis 2000 war er an verschiedenen Orten für die Vereinten Nationen tätig, zuletzt in Bagdad. Sein Vater, Hans von Sponeck, wurde in der Folge des missglückten Hitler-Attentats von den Nazis ermordet. Von Sponeck lebt derzeit in Müllheim.
Eine Diskussionsveranstaltung unter dem Titel „Ein Menschenrechtsweg in Lörrach“ findet am Mittwoch, 22. Februar, 19 bis 21 Uhr, im Hebel-Gymnasium, Aula „Tonart“, statt. Hans-Christof Graf von Sponeck hält den Impulsvortrag. In Kleingruppen und Diskussionen sollen Ideen für einen Menschenrechtsweg in Lörrach oder alternative Möglichkeiten einer Menschenrechtskultur entwickelt werden.