Eine Horrorvision: Vor uns liegt ein Mensch, der Hilfe braucht. Er ist verletzt, blutet, ist vielleicht sogar bewusstlos. Jetzt mehr zu tun als einen Notruf abzusetzen, erfordert weniger Zivilcourage als Kenntnisse. Wer weiß, was zu tun ist, wird in der Regel auch helfen. Fachmännische Hilfe kann dem Verletzten das Leben retten, denn bei Eintreffen des Rettungswagens kann es schon zu spät sein. Gerade junge Menschen an Erste Hilfe heranzuführen, ist deshalb ein wichtiges gesamtgesellschaftliches Ziel. Ein Baustein hierfür sind Schulsanitäter.
Auch in unserer Region sind sie in immer mehr Schulen im Einsatz. Ausbilder der Verbände und Ortsgruppen des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) und entsprechend geschulte Lehrer der Schule machen Schüler fit in Erster Hilfe, damit sie als Schulsanitäter für ihre Mitschüler da sein können, wenn diese sich verletzen oder es ihnen aus irgendeinem anderen Grund nicht gut geht. Während der Unterrichtszeit, in Pausen und bei sämtlichen Schulveranstaltungen sind sie in der Regel im Zweierteam einsatzbereit und per Funk erreichbar. Fundament ihrer Ausbildung ist ein großer Erste Hilfe Kurs. Danach kommen sie mit ihren Ausbildern und Betreuern zu weiteren regelmäßigen Treffen zusammen, um die erworbenen Kenntnisse zu vertiefen. Meistens geschieht dies in Schulsanitäter AG’s.
Ihre Einsätze absolvieren sie weitgehend selbstständig, nur bei schwerwiegenderen Verletzungen ist Lehrerpersonal an ihrer Seite. Dass ihre Kenntnisse über die Schule hinaus für andere lebenswichtig sein können, haben kürzlich zwei 15-jährige Schülerinnen des Bad Säckinger Scheffel-Gymnasiums unter Beweis gestellt. Ein Mann war in einer Tennishalle umgekippt und hatte das Bewusstsein verloren. Die zwei auf dem benachbarten Platz spielenden Schülerinnen zögerten keine Sekunde und leisteten bis zum Eintreffen des Krankenwagens Erste Hilfe. Eines der beiden Mädchen war und ist eine Schulsanitäterin. Und zwar eine der ersten am Scheffel-Gymnasium, denn erst seit September 2015 werden dort Schüler zum Schulsanitäter ausgebildet. Wie sie es gelernt hatte, reanimierte die Schülerin den Mann, unterstützt von Anweisungen der DRK- Rettungsleitstelle, die ihre Freundin am Telefon entgegennahm und an sie weiter gab.
„Es war ein einschneidendes Erlebnis für beide, für unsere Schulsanitäter haben die beiden Vorbildcharakter, die ganze Schule ist sehr stolz auf sie“, sagt Katja Schirmer, die zusammen mit Stefan Pöll am Scheffel-Gymnasium die Schulsanitäter betreut. Für die zwei Lehrer sind Schulsanitäter eine tolle Sache und Ansporn auch in die eigene Fortbildung zu investieren. Beide haben die Schulung „Löwen retten Leben“ (siehe Interview) besucht und im Zuge dieser Teilnahme Materialien bekommen, unter anderem eine Puppe, mit der sie Reanimationsmaßnahmen jetzt noch besser mit ihren Schulsanitätern üben können.
Auch Annette Schmidt hat diese Fortbildung absolviert. Sie ist Lehrerin an der Realschule Tiengen und leitet beim DRK Tiengen den Schulsanitätsdienst. Seit 2010 hat sie über 80 Schulsanitäter an der Realschule Tiengen ausgebildet. Nicht jeder Schüler ist ihrer Aussage nach gleich gut für diese verantwortungsvolle Aufgabe geeignet: „Pflichtbewusstsein, freundlicher Umgang, neben Fachkompetenz ist die soziale Kompetenz sehr wichtig“, umreißt sie die Anforderungen. Fast 30 Schulsanitäter sind derzeit an der Realschule Tiengen im Einsatz.
Julian Strigl (16) ist einer von ihnen. Er ist bereits im dritten Jahr Schulsanitäter und kennt die ganze Bandbreite der Aufgaben. Viele Male hat er schon Pflaster auf Schürfwunden geklebt, Verbände angelegt, Verstauchungen behandelt, getröstet und auch schon schwerwiegende Situationen gemeistert bis der Rettungswagen kam. Besonders bei Sportveranstaltungen haben Schulsanitäter in der Regel viel zu tun. Erst vergangenes Jahr hatte eine Schülerin bei den Bundesjugendspielen einen Asthma-Anfall: „Wir haben sie betreut und beruhigt und mit ihr Atemübungen gemacht, als der Krankenwagen kam, haben wir ihn eingewiesen und danach den Rettungskräften geholfen“, erzählt Julian Strigl.
Für ihn war klar, dass er seinen „Job“ über die Schule hinaus fortsetzen will. Wie seine Mit-Schulsanitäter, Fabian Scheuch und Sina Gümpel, ist er deshalb kürzlich in die aktive Bereitschaft des DRK Ortsvereins Tiengen eingetreten. Darüber freut sich Annette Schmidt ganz besonders. „Wir brauchen einfach Menschen, die hinschauen und kompetent helfen können und sehen, dass es in unserer Gesellschaft nicht ohne persönlichen Einsatz und Engagement geht“, sagt sie. Einen Schatz für ihre Umwelt und ihre Mitmenschen nennt sie die Schulsanitäter.
Edelbert Gantert ist Kreis-ausbildungsleiter beim DRK Kreisverband Waldshut und Mitinitiator der Ausbildung von Schülern zu Schulsanitätern.
Herr Gantert, seit wann etwa gibt es Schulsanitäter im Landkreis Waldshut und wer steht hinter ihnen?Ich würde sagen, seit etwa zehn Jahren. Wir als DRK Kreisverband stehen hinter den Schulsanitätern. Wir haben damals gesagt, wir müssen was machen. Der normale Rettungsdienst reicht nicht mehr, wir brauchen mehr Menschen, die Erste Hilfe leisten und uns unterstützen können. Auch wir sind auf ehrenamtliche Mithilfe angewiesen. Zehn Minuten dauert es im Schnitt, bis ein Rettungswagen kommt. Bei einem Herzstillstand etwa, muss aber sofort mit der Reanimation begonnen werden, um das Absterben von Gehirnzellen zu verhindern und die Überlebenschancen zu erhöhen. Wie wichtig dies ist, hat der Fall in Bad Säckingen und das vorbildliche Eingreifen der Mädchen gezeigt.
Wer profitiert davon?Zunächst natürlich die Schüler und Schülerinnen selbst, die sich ausbilden lassen. Sie können ihre Kenntnisse nicht nur in der Schule, sondern auch im privaten Kreis einbringen und wenn sie ihren Führerschein machen, haben sie den Erste-Hilfe-Kurs schon in der Tasche. Die Schule selbst gewinnt an Sicherheit und den Lehrern wird einiges abgenommen, zum Beispiel bei Sportveranstaltungen. Zum dritten profitiert die Gesellschaft, weil wir so Nachwuchs für unsere Dienste, die ja allen zugute kommen, gewinnen können.
Was dürfen Schulsanitäter?Schulsanitäter haben einen ganz normalen Erste Hilfe Kurs absolviert, das heißt, sie dürfen alle Maßnahmen der Erstversorgung durchführen, wie Reanimation, Anwendung von Defibrillatoren, stabile Seitenlage, Druckverbände, einfach alle Erstversorgungsmaßnahmen außer Medikamentenabgabe.
Wie läuft die Ausbildung konkret?Soweit es uns möglich ist und Ausbilder einsatzbereit sind, kommen wir, aber es ist generell nicht so einfach. Unter der Woche haben wir viele andere Aufgaben und im Moment ist einer unserer Erste-Hilfe-Ausbilder weg zum Studium. Das Grundproblem ist, dass wir nicht in allen Schulen konkrete Ansprechpartner haben und sich die Schulen zum Teil selbst zu wenig um die Ausbildung ihrer Schüler zum Schulsanitäter kümmern. Aber nur dort, wo jemand zuständig ist, funktioniert es wie zum Beispiel an der Tiengener Realschule. Dort bildet die Lehrerin Annette Schmidt die Schulsanitäter aus. Die Ausbildung hierfür hat sie bei uns gemacht. Wir können nicht fortlaufend Schulsanitäter ausbilden und betreuen, das müssen die Schulen selbst in die Hand nehmen und einen Lehrer oder Sozialarbeiter ausbilden lassen, der dann diese Aufgabe übernimmt.
Was braucht man, um Schulsanitäter ausbilden zu dürfen?Neben dem Erste Hilfe Kurs, einem eintägigen Einführungsseminar und einer Woche Schule auswärts sind eine 48-stündige Sanitätsausbildung nötig, um die Qualifizierung zu erreichen. Die Sanitätsausbildung machen wir im DRK Kreisverband Waldshut, meistens an einem Freitag, Samstag und Sonntag. Die Kosten für die Ausbildung übernehmen in der Regel wir.
Fragen: Ursula Freudig