Das Netz von öffentlichen Verkehrsmitteln ist im ländlichen Raum oft weitmaschig. Viele Linien sind nicht wirtschaftlich und werden von den Beförderungsunternehmen nur sporadisch bedient. Der Fokus richtet sich auf den Schulverkehr am Morgen und am Nachmittag. Menschen, die in entlegenen Ortsteilen leben, sind oft auf ein eigenes Auto angewiesen. Dies ist schwierig für Senioren und Menschen mit Behinderung, da sie oft nicht selbst Auto fahren können. In den vergangenen Jahren haben Bürgerinitiativen und Bürgerbusvereine Konzepte entwickelt, um die Lücken zu schließen.
Der Bürgerbus in Murg erfreut sich immer größerer Beliebtheit. Der im April angeschaffte elektrobetriebene Siebensitzer ist eine Aufwertung des Angebots. Seit 2014 (bis Anfang 2017 mit einem elektrischen Mercedes A-Klasse) sorgt der Bus abends für eine Verbindung zwischen dem Bahnhof in Murg und den Ortsteilen Niederhof, Oberhof und Hänner. Seit Februar 2016 fährt der Bus auch werktags. Nach 19 Uhr werden diese Orte nicht mehr vom öffentlichen Nahverkehr angesteuert. Das Hauptangebot tagsüber sind Schulbusse, die von der Öffentlichkeit mitbenutzt werden können. Die Projektidee der Arbeitsgruppe Mobilität der Bürgerinitiative Murg im Wandel war es, das Angebot des Nahverkehrs, vom Bahnhof Murg in die Ortsteile zu kommen, auf alle Zugverbindungen auszudehnen und den Individualverkehr zu verringern. „Murg hat eine Ausdehnung von acht Kilometern und Höhenunterschiede von bis zu 400 Metern“, beschreibt Monika Duttlinger von der Arbeitsgruppe Mobilität, selbst ehrenamtliche Fahrerin, das Problem. Mal eben nach Hause laufen, ist so oft nicht möglich.
In Zusammenarbeit mit der Gemeinde wurde zunächst ein Elektroauto angeschafft, das von mittlerweile rund 25 ehrenamtlichen Fahrern abwechselnd gesteuert wird. Tagsüber, wenn der Bus nicht gebraucht wird, nutzt ihn die Gemeindeverwaltung. Am Abend fährt er halbstündlich zwischen 19.35 und 23.35 Uhr zehn Haltestellen an. Und das Beste: Die Fahrt ist kostenlos. Die Initiative Murg im Wandel hat den Bürgerbus nicht nur ins Leben gerufen, um dem Wunsch der Bevölkerung nach Schließung der Nahverkehrsversorgungslücke zu begegnen. Man will mit dem Angebot auch zur klimafreundlichen Mobilität sowie zum Miteinander in Murg beitragen. Mitfahrerin Simone Meier freut sich über das Angebot: „Ich finde es großartig. Es ermöglicht mir abends quasi mit der Zugfahrkarte bis nach Hause zu kommen.“
Auch in Küssaberg erfreut sich der Bürgerbus seit seiner Anschaffung im Jahr 2014 großer Beliebtheit. Auch hier wurden die Anschaffung des Fahrzeugs, ein Renault Master, und sein Betrieb zum größten Teil von der Gemeinde finanziert. Hier wird, anders als in Murg, kein Linienbetrieb angeboten, der besonders auf Pendler ausgerichtet ist, sondern verstärkt auf die Bedürfnisse von Menschen eingegangen, die keine Fahrmöglichkeiten haben. Zum größten Teil handelt es sich um Senioren. Je nachdem, welche Anmeldungen seitens der Fahrgäste vorliegen, wird die Route entsprechend geplant. Angeboten werden Einkaufs- und Besorgungsfahrten in der Mittagszeit, im Sommer auch die Fahrt ins Schwimmbad, ins Museum und zu Mittagstischen. Im Jahr 2016 wurden 1082 Personen befördert.
Einer der jüngsten ist der Fahrdienst für Senioren und Menschen mit Behinderung des Stadtseniorenrats Laufenburg, der seit 1. Januar verkehrt. Die mittlerweile sechs Fahrer sind besonders zwischen dem Hauptort Laufenburg und seinen Ortsteilen aktiv. Mit ihren privaten Autos bringen sie diejenigen zum Einkaufen nach Laufenburg oder zum Arzt nach Bad Säckingen, die selbst nicht fahren können. Die Fahrten werden geplant und müssen spätestens am Vortag telefonisch angemeldet werden. Den Impuls lieferten die Senioren selbst, die den vor gut einem Jahr neugegründeten Stadtseniorenrat darum gebeten haben. Zurzeit erfahre das Angebot einen regelrechten Boom, sagt Jürgen Wagner, Vorsitzender des SSRL und selbst Fahrer.
Bis Ende April hatte man bereits mehr als 120 Fahrten (hin und zurück zählt als eine Fahrt) verzeichnet. Viele Kunden schätzen das lokale und freundliche Angebot zum kleinen Preis. 30 Cent Aufwandsentschädigung wird pro gefahrenem Kilometer fällig, ein Taxi kostet für die gleiche Strecke 2,40 Euro. Dennoch sei man aufgrund der relativ seltenen Fahrten – im Durchschnitt eine pro Tag – für die Taxi-Unternehmen keine Konkurrenz, sagt Jürgen Wagner. Auch Gemeindeverwaltung und Landratsamt haben der Initiative grünes Licht gegeben. Die Fahrer, selbst Ruheständler, fahren „aus Idealismus, Leuten zu helfen, so gut es geht“, so Wagner. „Wir wollen die Senioren unterstützen und die Leute sind unglaublich dankbar“, erklärt auch Fahrer Dieter Hähnel seine Motivation. Er fügt an: „Ich wollte im Ruhestand etwas Gemeinnütziges tun, und das tut mir richtig gut.“ Auch in Murg werden die Fahrten nach Anmeldung angeboten.
Die Flexibilität, die ein solches Beförderungssystem bietet, erfreut sich immer größerer Beliebtheit. Bürgerinitiativen, Bürgerbusvereine und Nachbarschaftshilfen beraten sich und passen das Angebot ihren Erfordernissen an. So schließt auch in Bad Säckingen ein Rufbus die Lücke im Nahverkehr. Die Stadtwerke Bad Säckingen, die Südbadenbusgesellschaft, die Stadt Bad Säckingen und die Gemeinde Rickenbach haben sich 2014 zu dem Projekt zusammengeschlossen. Viele Gemeinden haben, nicht zuletzt im Hinblick auf den demografischen Wandel, die Notwendigkeit und das Potenzial von Bürgerbussen und Fahrdiensten erkannt. Vielerorts, so zum Beispiel zurzeit in der Gemeinde Hohentengen, reifen erste Ideen zur möglichen Umsetzung.
"Bürgerbus ist ein Gemeinschaftswerk"
Martin Schiefelbuschbetreut seit dem Jahr 2014 das Kompetenzzentrum Innovative Mobilität für den ländlichen Raum bei der NVBW – Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg. Die NVBW unterstützt das Verkehrsministerium des Landes in den Bereichen öffentlicher Verkehr, Fuß- und Radverkehr.
Herr Schiefelbusch, was können die privaten Zusammenschlüsse besser als die ÖPVN?
Die Stärken der Bürgerbusinitiativen liegen in ihrer Ortskenntnis und der Vernetzung vor Ort. Dank des bürgerschaftlichen Engagements können sie außerdem dort aktiv werden, wo ein Verkehrsangebot sonst wirtschaftlich nicht darstellbar wäre.
Lösen Bürgerbusse das Mobilitätsproblem des ländlichen Raums?
Das Mobilitätsproblem lässt sich nur durch die Kombination verschiedener Angebote lösen. Die Bürgerbusse sind ein Baustein dieser Lösung.
Welche Herausforderungen stellen sich in der Praxis für die Ehrenamtlichen in den Bürgerbusvereinen dar?
Jedes solche Projekt braucht eine kritische Masse an Aktiven, die auch über längere Zeit dabei bleiben und das Angebot sichern. Aber jeder Bürgerbus ist auch ein Gemeinschaftswerk, man braucht auch die Unterstützung der Kommunalpolitik, Sponsoren und eine gute Zusammenarbeit mit anderen Anbietern. Dabei muss vor Ort die passende Lösung gefunden werden, das ist nicht immer einfach.
Wo liegen die Grenzen dessen, was Bürgerbusse leisten können?
Die Zahl der Aktiven bestimmt den möglichen Angebotsumfang, die Fahrzeuggröße ist rechtlich begrenzt auf acht Plätze. Daher können solche Projekte den großen Nahverkehr immer nur ergänzen, nicht ersetzen.
Fördert das Land Baden-Württemberg die Projekte finanziell?
Das Land hat seine Bügerbusförderung in den letzten Jahren ausgebaut. Es gibt mehrere finanzielle Hilfen, außerdem bieten wir Hilfe bei der Konzeption an – nicht nur für Bürgerbusse, auch für andere Angebote.
Welche Rolle spielen der Landesverband Probürgerbus Baden-Württemberg und die Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg dabei und wie unterscheiden sie sich?
Der Landesverband vertritt die Interessen der Bürgerbusvereine auch gegenüber dem Land. Wir ergänzen uns aber gut – der Verband und seine Mitglieder haben mehr Detail- und Praxis-erfahrung, während ich mehr die Gesamtthematik im Blick haben muss.