Für eine Psychologin ist es ein bemerkenswerter Satz: “Es gibt Dinge, über die spreche ich nicht einmal mit mir selbst.“ Der Satz steht auf einem Schild in Eva Herget-Berthomés Büro. Sie arbeitet gemeinsam mit ihrem Kollege Bennet Klein im psychologischen Dienst der Nachsorgeklinik Tannheim. Die Beiden betreuen Familien, in denen ein Kind verstorben ist.
Verwaiste Familien kommen nach Tannheim oft mit letzter Kraft. Sie haben zuhause vielfach die Erfahrung gemacht, dass zu dem unbeschreiblichen Schmerz durch den Tod eines Kindes noch weitere Probleme treten. Die Klinik in Tannheim ist bundesweit die einzige Einrichtung, die eine solche Reha für verwaiste Familien anbietet.
„Nicht Wenige erzählen, dass andere Menschen die Straßenseite wechseln, sich im Supermarkt eine andere Regalreihe suchen, um nicht mit dem Unfassbaren, Schmerzhaften, dem Tod eines Kindes konfrontiert zu werden“, sagt Eva Herget-Berthomé. Manche machen die Erfahrung, dass sich das soziale Umfeld aus Unsicherheit abwendet. Viele im Umfeld der Betroffenen wollen dieser harten Realität ausweichen.

Weiter berichtet Eva Herget-Berthomé aus ihren Gesprächen mit den Familien: „Oft sind selbst in der eigenen Familie die Kontakte erschwert oder sehr belastet. Die Eltern fragen sich auch oft, wie die Geschwisterkinder wohl die Trauer verarbeiten und wie sie sie unterstützen können, wo sie doch oft selbst so wenig Kraft haben. Die Sorgen, dass auch den Geschwisterkindern oder dem Partner etwas zustoßen könnte, werden größer.“
Familien, die zur verwaisten Reha nach Tannheim kommen, sprechen davon, hier zur Ruhe zu kommen und vor allem, vom Kontakt zu anderen betroffenen Familien zu profitieren. Hier in der Gruppe fühlen sie sich verstanden und aufgefangen.
„Der richtige Zeitpunkt für die Reha ist je nach Familie sehr individuell“, erklärt Bennet Klein. Die Erfahrung zeige jedoch, dass die Betroffenen in den ersten Monaten nach dem Tod meist „noch völlig neben sich stehen“. Eine Reha wäre dann zu früh. Deshalb sehe das Tannheimer Konzept einen gewissen Abstand zum Todeszeitpunkt des Kindes vor. Die Reha stehe natürlich nicht für das Ende der Trauer, aber dafür, dass sie sich verändere und sich etwas bewege, so Bennet Klein.

Auch, wenn es in einer Therapie in gewisser Weise immer um Abschied und Trauer gehe, sei das existenzielle Thema Tod bei ihrer Arbeit, „das zentrale Kernthema“, so Eva Herget-Berthomé.
Beide Tannheimer Mitarbeiter haben für sich erkannt, dass die tägliche Beschäftigung mit diesem so unbequemen und nicht so gerne gesehenen Thema sie viel über das Leben lehrt. „Der Tod hängt eben untrennbar auch mit dem Leben zusammen. Für mich ist es eine große Bereicherung und ich lerne jeden Tag noch mal neu von den verwaisten Familien, was Leben heißt“, schließt sich Bennet Klein seiner Kollegin Eva Herget-Berthomé an.
„Es gibt Dinge, über die spreche ich nicht mal mit mir selbst“ soll heißen, so Eva Herget-Berthomé, „es gibt Dinge, die sind so tief und unfassbar, dass man kaum oder gar nicht Worte dafür findet. Sie weiß aber auch: „Das muss manchmal auch gar nicht sein und kann schon gar nicht erzwungen werden. Die Menschen kommen mit allem was ist und dennoch entscheiden sie selbst, was sie sichtbar machen möchten oder nicht.“
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Das Besondere ihrer Arbeit in Tannheim beschreibt die Psychologin so: „Mit Verwaisten zu arbeiten heißt erst mal, auszuhalten, was ist und jeden in seiner individuellen Trauer zu stärken. Vom Umfeld erfahren Trauernde oft Druck oder Unverständnis für ihren Weg zu trauern. Es sind meist gut gemeinte Ratschläge, die aber eben häufig wie Schläge empfunden werden, da sie etwas verdecken oder leichter machen wollen, was schwer ist.“
„Wenn es dem Umfeld gelingen würde, den Familien ihren Trauerweg zuzugestehen und mehr zu fragen als zu sagen, sie mehr anzunehmen und Hilfe anzubieten ohne sich aufzudrängen, dann wäre dieser so schwere Weg durch die Trauer vielleicht ein ganz klein wenig leichter“, gibt Eva Herget-Berthomé zu bedenken.
In Tannheim kommen die Familien in Kontakt mit anderen Betroffenen, und sehen, wie unterschiedlich Trauer des Einzelnen sein kann und vielleicht auch, dass es anderen Betroffenen an manchen Stellen ähnlich geht. Dennoch ist es wichtig, dass jeder für seine Trauer den passenden Weg findet.
Die Familien lernen, mit unterschiedlichem Trauerverhalten innerhalb und außerhalb der Familie umzugehen und einen eigenen, passenden Weg zu finden.

Eva Herget-Berthomé erklärt: „Jedes Familienmitglied muss lernen, mit dem Verlust zu leben und gleichzeitig das verstorbene Kind dennoch im Herzen zu behalten, nicht loszulassen, sondern eine individuelle Trauerkultur zu entwickeln. Dabei versuchen wir, den Familien zu helfen, sie zu stärken und zu unterstützen. Hier lernen die Familien sich über das manchmal Unaushaltbare, fast Unaussprechliche auszutauschen. Der Austausch mit anderen Betroffenen gibt Mut.“
In der therapeutischen Arbeit in der Nachsorgeklinik Tannheim geht es zu einem großen Teil auch um das Aushalten. Um die Fähigkeit, das Schwere mit zu tragen. Manchmal sagen Eltern: „Mir können sie sowieso nicht helfen, denn mein Kind ist tot und sie bringen es auch nicht zurück“. Eva Herget-Berthomé sagt: “Ja, die Situation können wir auch als Therapeuten nicht wieder herstellen…aber vielleicht können wir hier in Tannheim Wege zeigen, wie das Leben wieder lebbar werden kann.“
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