Seit inzwischen 76 Jahren verfolgt die Baugenossenschaft Überlingen (BGÜ) das erklärte Ziel, preiswerte Wohnungen anbieten zu können. Was heute bedeutet, dass die Preise wenigstens 10 bis 15 Prozent unter dem liegen, was der offizielle Mietspiegel für eine vergleichbaren Standard ausweist. Mit dem Neubau des Quartiers an der Anna-Zentgraf-Straße mit gut 170 Wohnungen hat die BGÜ das größte Projekt ihrer Geschichte realisiert und verfügt inzwischen über 682 Wohnungen in sieben Quartieren. Die Durchschnittsmiete liegt unter 10 Euro pro Quadratmeter, die Bandbreite ist allerdings sehr groß.
Diskussion über Begriff „bezahlbar“
Doch inzwischen ist es schwieriger denn je, neuen Wohnraum zu schaffen, wie in den Ausführungen von Aufsichtsrat und Vorstand bei der aktuellen Mitgliederversammlung deutlich wurde. Im Anschluss an die Rechenschaftsberichte, die ein solides Wirtschaften, umfangreiche Modernisierungsmaßnahmen und einen Ausbau der Dienstleistungen im Bereich Hausverwaltung auswies, kam es zur Diskussion über den Begriff „bezahlbarer Wohnraum“ und zum akuellen Vorhaben, den vorhandenen Bestand im Hildegardring zu verdichten und so 56 neue Wohnungen zu schaffen.

Ohne Murren hatten die etwa 100 anwesenden Mitglieder dem Aufsichtsrat unter dem Vorsitz von Wolfgang Wiest und dem Vorstand mit Dieter Ressel und Andreas Huther Entlastung erteilt, als sich einige Mieter aus der Deckung wagten. „Was verstehen Sie unter ‚bezahlbarem Wohnraum‘?“ fragte Horst Sauer, der – wie er sagte – seit drei Jahren an der Anna-Zentgraf-Straße wohnt, „und was verstehen Sie unter ‚moderater Mieterhöhung‘?“ Er habe „schon wieder“ eine Mieterhöhung erhalten. Sauer: „Wenn es so weiter geht, wird es für uns unbezahlbar.“ Eine andere Bewohnerin des neuen Quartiers sorgte sich um die eigene Wohnqualität, wenn Gebäude am Hildegardring aufgestockt werden.

Schwierig vor allem bei Neubauten
Eine „schwierige Diskussion“ nannte dies Aufsichtsratsvorsitzender Wolfgang Wiest. Auch für das von Vorstand Dieter Ressel vorgestellte Projekt am Hildegardring sei der Zeitpunkt der Umsetzung noch nicht klar.

„Im Neubau lässt sich bezahlbarer Wohnraum derzeit nicht umsetzen“, formulierte Wiest ganz dezidiert. Man müsse von den hohen Baukosten zwischen 5000 und 6000 Euro pro Quadratmeter ausgehen. Bei sechs Prozent Zinsen müssen man 360 Euro pro Quadratmeter im Jahr in Rechnung stellen, um Gestehung, Finanzierung und Abnutzung auszugleichen. „Dann wären wir bei 30 Euro Miete pro Quadratmeter“, rechnete Wiest vor. Dies sei weder eine bezahlbare noch eine verantwortbare Miete. Deshalb seien Neubauprojekte „sehr schwierig geworden“.
Abhängig vom Mietspiegel
Die BGÜ orientiere sich ansonsten streng am städtischen Mietspiegel, der zahlreiche Kriterien des Wohnwerts berücksichtige. „Und wir versprechen jedem von Ihnen“, sagte Wiest, dass wir um 10 bis 15 Prozent unter dieser Vergleichsmiete bleiben.“ Das verstehe die BGÜ unter einer „bezahlbaren Miete“. Natürlich habe dies eine dynamische Komponente. „Wenn der Mietspiegel nach oben geht, gehen auch unsere Preise nach oben.“ Das sei allerdings auch notwendig, um unter anderem die Aufwendungen für Modernisierung finanzieren zu können.
Den Mietpreisspiegel der Stadt halte er für eine faire Grundlage dafür, reagierte der Aufsichtsratsvorsitzende auf den Vorwurf Sauers, diese Orientierungshilfe könne „beliebig manipuliert werden“. Im Gegenteil, sagte Wiest, die aus seiner Sicht moderaten Mieten der BGÜ beeinflussten den Preisspiegel nach unten und damit im positiven Sinne für die Stadt.

Noch eine Schippe drauf legte Mitglied Bernd Kuhn. Das Schlagwort „bezahlbarer Wohnraum“ störe ihn schon lange. Er stelle sich dabei die Frage: „Für wen bezahlbar? Für den Ingenieur beim Diehl? Oder für den Handwerker beim Böhler?“ Ein Ingenieur könne sich manches leisten, ein Handwerker vielleicht nicht. Er wünsche sich, sagte Kuhn und wandte sich an Oberbürgermeister Jan Zeitler, dass man den Begriff auch im Stadtrat aus dem Wortschatz streiche, „weil es aus meiner Sicht ‚Kappes‘ ist“. Um tatsächlich „bezahlbaren Wohnraum“ für alle zu schaffen, müsse sich die Politik bewegen und Subventionen ermöglichen.
Wenn es gewünscht sei, erläutere er gerne seine Einschätzung, sagte Oberbürgermeister Jan Zeitler, der sich bis dahin auf sein Grußwort beschränkt hatte. Die Mietpreisfestlegung bei der BGÜ sei für ihn sogar ein Musterbeispiel dafür, wie man zu „bezahlbaren Mieten“ komme. Dies gelte ganz unabhängig von der Berufsgruppe. Egal welchen Begriff man für die Einordnung wähle, müsse man den von Wiest dargelegte Fakten bei der Kostenentwicklung ins Auge sehen. Zudem sei in Überlingen Grund und Boden „besonders teuer“, räumte er ein. Stadt, Land und Bund müssten auf ausgeglichen Haushalte achten und könnten den Wohnungsbau nicht ohne weiteres finanzieren. „Wir können keine politischen Preise machen“, sagte Zeitler und brach eine Lanze für das Modell der Stadt, Grundstücke nur im Erbbaurecht zu vergeben. Dies entlaste von den Kosten für den Kauf, doch: „Es bleibt schwierig.“