Berkan sieht nicht so aus wie ein Junkie. Dass er mehr als zehn Jahre heroinabhängig war, merkt man dem 42-Jährigen nicht an. Er wirkt sportlich, gut gelaunt – ein bisschen müde vielleicht.

"Bei mir hat es mit 16 angefangen", berichtet er. Mit den Kollegen habe er damals gekifft. Als Anfang der 1990er Jahre die Technowelle über Singen schwappt, wird auch mal Koks ausprobiert. Ältere Bekannte hätten ihn darauf gebracht, erzählt Berkan. Neue Freunde, die er damals richtig cool findet. Es gefällt ihm, wenn er ihnen kleine Gefallen tun kann, sie auch mal mit dem Auto abholen darf.

Irgendwann wird das Koks zu teuer. Heroin sei eine Alternative, heißt es im Freundeskreis. Natürlich nur als Partydroge – geschnupft oder geraucht. Eine Nadel will sich Berkan nicht setzen. Das ist ihm zu krass. Zumindest denkt er das. Das Injizieren kommt erst später – als das Geld endgültig weg ist, die Versuche, das Heroin zu lassen wieder und wieder scheitern und der Stich in den Unterarm die sicherste und intensivste Rauscherfahrung garantiert. "In der Zeit merkte ich, dass ich Magen- und Rückenschmerzen bekam, wenn ich keinen Stoff hatte", sagt er. An regelmäßige Arbeit ist jetzt nicht mehr zu denken. Der Tiefpunkt? "Als ich anfing meine Mutter zu beklauen, um an Geld für den nächsten Schuss zu kommen."

Bild 1: Liebe ist die bessere Droge: Ein Ex-Junkie erzählt
Bild: Cornelia Müller

Man merkt Berkan an, dass er lernen musste, so offen zu sprechen. Familie ist ein heikles Thema für den Vater zweier Kinder. Sein eigener Vater war querschnittsgelähmt. Er starb als Berkan klein war. Der junge Türke wuchs mit fünf Schwestern auf. "Ich war verwöhnt", gibt er heute zu. Gleichzeitig fühlte er sich in der Rolle des einzigen Mannes der Familie überfordert, in seinem Freundeskreis und in Deutschland generell nie wirklich akzeptiert. Das hat sich geändert. Nach fast einem Jahrzehnt als Junkie lernt er die Frau kennen, die ihm einen Ausweg eröffnet. "Ich merkte sofort, dass sie mir wichtiger war als die Droge", sagt er und wischt sich dabei kurz über die Augen.

Heute ist Berkan verheiratet. "Meine Frau ist der Mittelpunkt meines Lebens", sagt der 42-Jährige. Er ist ihr dankbar, dass sie ihn ermutigte, der Droge abzuschwören und einen Arzt aufzusuchen. Mittlerweile ist es ihm sogar gelungen seine Ration der Ersatzdroge Subutex von acht Milligramm auf die Hälfte zu verringern. Es war ein langer Weg. Denn zunächst war er Substitutionsklient bei einem Mediziner, der heute nicht mehr praktiziert. "Reduzieren war da nie ein Thema", sagt Berkan rückblickend. "Er hat mir einfach nur das Subutex verschrieben – und fertig." Erst später fand er durch die Unterstützung der Drogenberatungsstelle den Mut, seinen Konsum schrittweise herunterzufahren. "Das ist jedes Mal wie ein kleiner Entzug." Neben körperlichen Beschwerden merkt Berkan, wie er in solchen Phasen aggressiver wird.

Durch die Hilfe seiner Therapeutin hat er aber Ressourcen entdeckt, die ihm Kraft geben. Neben seiner Familie findet er über die Arbeit und den Sport Stabilität. Berkan glaubt, die Substitution bald beenden zu können. Neben dem Kauf einer Wohnung ist das sein großes Ziel. "Und vielleicht ein Tanzkurs mit meiner Frau", meint er und schmunzelt. "Dazu will mich meine Therapeutin schon lange überreden."

Darum geht's im zweiten Teil der Serie: Auch Sabine, Julian und Sandro waren heroinabhängig. Im zweiten Teil der Serie Menschenskind lesen Sie ihre Geschichten. Außerdem informieren wir über die Eigenheiten der Singener Drogenszene.


 

Eine Behandlungsform für Opioid-Abhängige

  • Zur Person: Carmen Knäbler ist für 155 Substitionspatienten mitverantwortlich. "Meist sind das Heroinabhängige", erklärt die Leiterin der Drogenberatung im Landkreis. "Vom Hausarzt werden sie mit Medikamenten wie Subutex oder Methadon versorgt, die ihnen einen Einstieg in die Entkriminalisierung, gesundheitliche Stabilisierung und eine Integration ins gesellschaftliche Leben ermöglichen."
  • Raus aus der Kriminalität: Knäbler vermutet, dass die Zahl ihrer Klienten deutlich hinter der Dunkelziffer jener Abhängigen zurückbleibt, die in Singen aktiv konsumieren. "Das ist besonders alarmierend, wenn man sich vor Augen führt, dass die Zahl der Drogentoten wieder angestiegen ist." Sie und ihre Mitarbeiter stehen in engem Kontakt zu Süchtigen. Aus Gesprächen mit diesen Szene-Insidern kann Knäbler ableiten, dass viele Menschen einen Ausweg aus dem Sumpf von Sucht und Kriminalität suchen. Oft stoßen sie auf Barrieren. "Noch mangelt es an Ärzten, die bereit sind, Substitutionspatienten ihre Praxen zu öffnen. In Singen sind es nur drei", berichtet Knäbler. "Drogenabhängigen haftet der Stempel der Kriminalität an. Man hat Angst vor ihnen." Dabei könne man gerade dem Problem der Beschaffungskriminalität durch die kontrollierte Abgabe von Ersatzmedikamenten begegnen.
  • Zurück in die Gesellschaft: Knäbler kämpft darum, ihre Klienten Schritt für Schritt in die Mitte der Gesellschaft zu holen. "Soziale Kontakte sind ein Muss", betont sie. Die Menschen, mit denen sie zu tun hat, haben oft einen ausgeprägten Sinn für Scham. Durch ihre Sucht geraten sie tiefer und tiefer in Isolation. "Dabei hat Abhängigkeit oft mit traumatischen Sozialerlebnissen zu tun." Experten sprächen bei einer Sucht von einer Sekundär-Erkrankung, erklärt Knäbler. "Sucht schließt eine Suche ein." Zumeist eine zum Scheitern verurteilte Suche nach Wegen, die eigene Primärerkrankung zu behandeln, sie zumindest zu betäuben. Erfolgsversprechender ist aus Knäblers Sicht eine Substitutionsbehandlung. Zumindest, wenn sie an eine professionelle psychosoziale Beratung gekoppelt werde. "Mit dem Patienten gilt es zu ergründen, welche Ressourcen zur Verfügung stehen, die Primär-Erkrankung anzugehen."