Irgendetwas ist mit diesen Bildern. All die Details sagen: Das muss eine Fotografie sein. Doch das Licht, die Stimmung, die Abwesenheit von allem Modernen sagt: Gemälde. Was in der ersten Ausstellung des britischen Künstlers David Osborn in Deutschland zu sehen ist, gibt im Wortsinn zu denken.

Mit der Realität ist es so eine Sache, sagt der Künstler

Osborns Bilder sind zunächst einmal das Ergebnis einer intensiven Nachbearbeitung am Computer. Der 1961 geborene Künstler hat einen langen Berufsweg durch fast alle Sparten der Fotografie hinter sich. Inzwischen hat er sich davon verabschiedet, dass ein Foto das zeigen muss, was wir gemeinhin als Realität bezeichnen. Ihm geht es mittlerweile darum, wie das menschliche Gehirn Bilder eigentlich wahrnimmt.

Inspiriert wird er dabei, wie er vor der am 17. Januar beginnenden Ausstellung in Konstanz sagt, durch die großen Maler der Vergangenheit. Das sind vor allem die Alten Meister des 14. bis 18. Jahrhunderts. Und er geht die Sache wissenschaftlich an, indem er sich mit den Mechanismen der Bildverarbeitung in den Köpfen der Betrachter beschäftigt.

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Das Gehirn, so Osborns Überzeugung, arbeitet dabei mit erlernten Mustern und sortiert jeden neuen Bildeindruck auf dieser Grundlage ein. Was komplett vertraut ist, wird nicht weiter beachtet. Was komplett verstörend ist, löst entweder einen Erkenntnisprozess oder eine vollkommene Abkehr ab.

Bilder entstehen in der Kamera, am Computer – und im Kopf

Sein Ziel ist es, Bilder entstehen zu lassen, die genau an dieser Grenze zwischen dem Vertrauten und dem Verstörenden verortet sind. Vertraut, das sind die Orte oder Settings, in denen die Bilder entstehen, zum Beispiel Prag, Pisa oder auch Konstanz. Verstörend ist, dass die Fotos nicht das zeigen, was wir dort erwarten. Das liegt an der Nachbearbeitung, in der Osborn zahlreiche Elemente aus seinen Bildern entfernt und andere wiederum hinzufügt. Dazu gehören insbesondere Lichteffekte.

Wirkt mehr wie ein Gemälde, ist aber tatsächlich ein Foto (wenngleich nicht so, wie es einst aus der Digitalkamera kam): „Pisa Tower, ...
Wirkt mehr wie ein Gemälde, ist aber tatsächlich ein Foto (wenngleich nicht so, wie es einst aus der Digitalkamera kam): „Pisa Tower, Italy, 2017“ von David Osborn. Bis 5. April stellt er in der Leica Galerie Konstanz aus. | Bild: David Osborn

Einfach nur schöne Bilder, sagt Osborn, schaut sich niemand wirklich an, weil sie nichts Überraschendes in sich tragen. Was zu vertraut ist, weckt kein Interesse bei den Betrachtern. Was sich andererseits allzu stark vom Bekannten unterscheidet, macht es uns schwer, dazu einen Bezug aufzubauen.

Darin sieht Osborn ein universelles Muster in der Art und Weise, wie wir Menschen visuelle Eindrücke verarbeiten. Seine Arbeit betrachtet er als „Proof of Concept“, also als einen Nachweis dafür, dass sich ein theoretisch erarbeitetes Vorhaben in der Praxis umsetzen lässt.

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Mit seiner Betonung des Handwerks erntet Osborn nicht nur Zustimmung

In hohem Maß geht es dem Fotografen um technische Fähigkeiten, wie er sie auch in seinen Workshops vermittelt. Im Bildbearbeitungsprogramm Photoshop arbeitet er intensiv mit Ebenen und Werkzeugen. Auch in seinen historischen Vorbildern sieht David Osborn einen großen Fokus auf das Handwerkliche.

Durchgesetzt und bis heute etabliert haben sich ihm zufolge vor allem diejenigen Maler, die es handwerklich am besten drauf hatten. Das ist doch ein ziemlicher Gegenentwurf zur sonst in der Welt der Kunst allgegenwärtigen Betonung von Originalität und Kreativität.

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In seinem technisch-wissenschaftlichen Ansatz legt David Osborn seinen Schwerpunkt auf drei Bereiche: Licht, dreidimensionale Form und räumliche Distanz sind nach seiner Überzeugung drei Kern-Qualitäten, die ein Bild mitbringen muss. Aus diesen heraus entwickelt er dann seine Bilder, die durch die starke Nachbearbeitung auch die Grenzen der Fotografie neu ausloten und zugleich die Fotografie als „Medium der Authentizität“ hinterfragen.

Osborn sagt dazu, dass er etwas Neues, Eigenes schafft. Damit nutzt er das Medium Fotografie als Erkenntnismittel: Mit seinen Bildern will er, auch auf abstrakter Ebene, verstehen, wie wir Menschen Bilder eigentlich wahrnehmen und verarbeiten. Und was passiert, wenn wir beim Betrachten vielleicht auch denken: Irgendwas stimmt da nicht.