Von einem, der auszog, um sein Glück zu finden. So könnte ein Märchen beginnen, doch in diesem Fall beginnt so die Geschichte einer in Konstanz bekannten Familie. Otto Müller senior stammt aus einer Großfamilie im württembergischen Welzheim, die eine Metzgerei samt Gaststätte führte. Der junge Metzgergeselle „hätte nie eine Chance zur Selbstständigkeit gehabt“, erzählt seine Enkelin Katharina Müller.

Er suchte sein Glück woanders. „Mit zwei Persil-Schachteln, in denen sich sein Hab und Gut befand, kam er nach Konstanz“, erzählt Katharinas Schwester Sonja weiter. Hier fand er zunächst eine Anstellung, um schließlich 1923 seine eigene Metzgerei in der Rosgartenstraße zu gründen. Dabei war nicht nur die damalige Hyperinflation eine schlechte Voraussetzung für den Beginn einer Selbstständigkeit.

Firmengründer Otto Müller hat im Jahr 1924 seinen Meisterbrief erhalten.
Firmengründer Otto Müller hat im Jahr 1924 seinen Meisterbrief erhalten. | Bild: Privatarchiv Familie Müller

Noch schwerer wog, dass sich ein protestantischer Schwabe im badisch-katholischen Konstanz, wo es viele kleine Metzgereien gab, ansiedeln wollte. Die Konstanzer Metzger hatten, wie die Enkelinnen aus Familienerzählungen berichten, die Viehhändler bedrängt, Otto Müller nichts zu liefern, sonst würden sie ihnen kein Stück Vieh mehr abkaufen.

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Aus der Not wird eine Tugend

Und was machte der junge Metzger? Er ging direkt zu den Landwirten, um die Tiere vor Ort zu begutachten und zu kaufen. Wenngleich die Konkurrenten ihm die kalte Schulter zeigten – die Konstanzer Bürger kamen zum Einkaufen und Otto Müller holte seine Frau Johanna nach Konstanz, die tatkräftig mitarbeitete. Die Mühe lohnte sich: Bereits 1928 konnten sie die erste Filiale in Wollmatingen eröffnen.

Beide haben hart gearbeitet: Otto in der Produktion, Johanna an der Theke. Die Wohnung lag im ersten Obergeschoss über der Metzgerei. Das war praktisch, denn quasi „nebenher“ bekam sie sechs Kinder, darunter Otto Junior, der 1931 geboren wurde. Bis kurz vor der Geburt stand Johanna Müller im Geschäft. Als dann die Wehen einsetzten, ging sie nach oben, um ihre Kinder zur Welt zu bringen. Die Hausgeburt war nicht unüblich zu jener Zeit.

Firmengründer Otto Müller senior (4.v.r.) war schon früh erfolgreich, wie man schon an diesem Teamfoto aus den 1930er Jahren ersehen kann.
Firmengründer Otto Müller senior (4.v.r.) war schon früh erfolgreich, wie man schon an diesem Teamfoto aus den 1930er Jahren ersehen kann. | Bild: Privatarchiv Familie Müller

Die Kriegsjahre waren für Johanna Müller schwer. Ihr Mann und zwei ihrer Söhne wurden eingezogen, die beiden Buben fielen im Krieg. Sie hingegen hielt gemeinsam mit Otto junior und dessen älterer Schwester den Betrieb aufrecht, bis der Firmengründer wieder zurück war.

Lebensmittel waren rationiert, die Konstanzer litten Hunger, standen Schlange an den Geschäften und der Schwarzmarkt blühte. Auch Familie Müller ließ heimlich Vieh bei Bauern schlachten und Otto Müller junior schmuggelte das Fleisch an der französischen Besatzung vorbei, wie Katharina Müller erzählt.

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„Unsere Oma hat viel Gutes getan“, erzählt Katharina Müller. Mit dem Plus durch den Schwarzmarktverkauf habe sie Bedürftige unterstützt. „Sie hat ihre Kinder dann zu den älteren Konstanzern, die wenig hatten, nach Hause geschickt, um ihnen etwas zu Essen zu bringen. Sie war sehr großzügig“, so Katharina Müller. Ihr Sohn, Otto Müller junior, war zu diesem Zeitpunkt schon komplett eingebunden und machte 1956 seine Meisterprüfung.

Otto Müller junior (2.v.r.) arbeiete schon früh in der Produktion mit. Hier ein Foto aus den den 1950er Jahren.
Otto Müller junior (2.v.r.) arbeiete schon früh in der Produktion mit. Hier ein Foto aus den den 1950er Jahren. | Bild: Privatarchiv Familie Müller

Die zweite Generation muss ran

„Unser Opa ist 1961 bei einem Autounfall ums Leben gekommen“, so Sonja und Katharina Müller. Ihr Vater, Otto Müller junior, damals 30 Jahre alt, musste den elterlichen Betrieb übernehmen, auch wenn er nie hatte Metzger werden wollen, denn er liebte Tiere. „Unser Papa ist sonntags raus zu den Tieren und hat sie getränkt“, erzählt Sonja Müller.

Otto Müller senior, der Firmengründer, starb 1961 bei einem Autounfall. Ab diesem Zeitpunkt übernahm Otto junior das Familiengeschäft.
Otto Müller senior, der Firmengründer, starb 1961 bei einem Autounfall. Ab diesem Zeitpunkt übernahm Otto junior das Familiengeschäft. | Bild: Privatarchiv Familie Müller

1965 holt er sich Verstärkung und beruft seine Schwester Gertrud Pfleger mitsamt ihrem Ehemann Hubert sowie Rolf Seemann in die Geschäftsführung des stetig wachsenden Unternehmens. Seinerzeit habe es 38 eigenständige Metzgereien in Konstanz gegeben, sagt Sonja Müller.

„Wer aufgehört hat, ist auf unseren Papa zugekommen, ob er die Betriebe übernehmen möchte.“ Ab den 1970er Jahren habe sich aufgrund des Strukturwandels und dem Aufblühen von Supermarkt-Ketten viel verändert, doch Otto Müller ließt sich davon nicht beirren.

Das Stammhaus in der Rosgartenstraße war auch vom Augustinerplatz aus zugänglich. Manch Konstanzer wird sich noch an den Grill-Imbiss in ...
Das Stammhaus in der Rosgartenstraße war auch vom Augustinerplatz aus zugänglich. Manch Konstanzer wird sich noch an den Grill-Imbiss in den 1970er Jahren erinnern, wo auf dem Augustinerplatz noch Autos geparkt wurden. | Bild: Privatarchiv Familie Müller

Anfang der 1970er Jahre sah die kleine Konstanzer Welt – die Stadt hatte gerade einmal mehr als 60.000 Einwohner – noch anders aus. Die Max-Stromeyer-Straße zum Beispiel führte noch durch eine Brachlandschaft, die sich erst in der Folge langsam entwickelte. Hier ging 1975 die neue Produktionsstätte der Metzgerei in Betrieb und 1990 wird in der Byk-Gulden-Straße ein eigener Schlachthof gebaut.

Im Jahr 1990 baut Otto Müller einen eigenen Schlachthof in der Byk-Gulden-Straße.
Im Jahr 1990 baut Otto Müller einen eigenen Schlachthof in der Byk-Gulden-Straße. | Bild: Privatarchiv Familie Müller

1971 kam Katharina zur Welt – und 1975 die zweite Tochter Sonja . „Das Goldige: Papa war der Mädchenpapa“, erzählt Katharina Müller lächelnd. Oft wandten sich Leute an ihn: Er habe ja „nur zwei Mädchen“; wer solle denn das Geschäft einmal weiterführen? Das habe er nicht so stehen lassen, denn er war stolz auf seine Mädchen.

Metzgermeister Otto Müller junior war ein „Mädchenpapa“, wie seine Töchter sagen. Leider verstarb er jüngst im Jubiläumsjahr ...
Metzgermeister Otto Müller junior war ein „Mädchenpapa“, wie seine Töchter sagen. Leider verstarb er jüngst im Jubiläumsjahr des Familienbetriebs. | Bild: Privatarchiv Familie Müller

Natürlich wollte er, dass seine Kinder den Betrieb weiterführten. Katharina Müller hat nach dem Abitur Betriebswirtschaftslehre an der Berufsakademie absolviert, ein gutes halbes Jahr bei einer Metzgerei in Stuttgart gearbeitet, wechselte dann in den Familienbetrieb, um 1995 in die Geschäftsleitung einzutreten.

Sonja Müller hatte nach dem Abitur eine Kosmetik-Ausbildung absolviert und ging dann ebenfalls an die Berufsakademie in Ravensburg. Anfangs „wusste ich nicht, ob Metzgerei wirklich meins ist. Wir sind sehr tierlieb“, sagt sie und blickt dabei zu ihrer Schwester.

Die dritte Familiengeneration ist mit Katharina und Sonja Müller am Start.
Die dritte Familiengeneration ist mit Katharina und Sonja Müller am Start. | Bild: Ulrike Sommer

Katharina habe zu ihr gesagt: „Menschen essen eh Fleisch. Aber wir können beeinflussen, dass es den Tieren gut geht.“ Das war ein überzeugendes Argument, das Sonja Müller bestätigt weiß, denn die Landwirte, mit denen sie zusammenarbeiten, geben ihren Tieren Namen. 2001 stieg Sonja Müller dann auch in das Unternehmen ein.

Beide Frauen schätzen die Nähe zu den tierhaltenden Betrieben und schwärmen beispielsweise von der jungen Schweinebäuerin, die den Betrieb gerade von ihrem Vater übernommen hat, weil sie sich ein Leben ohne Schweine nicht vorstellen könne. „Sie hat kleine Kinder, macht das Futter selber und kümmert sich sehr um ihre Tiere“, erzählt Katharina Müller und fügt an: „Die meisten Leute haben keine Ahnung, wieviel Arbeit dahintersteckt.“

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