„Wir wollen Geschichte lebendig werden lassen und das Brauchtum in guter Kameradschaft pflegen“, sagt Jürgen Baumgartner, Kommandant der Bürgerwehr in der Bürgerzunft Tiengen. Auch am diesjährigen Schwyzertag wird die Gruppe Trachten vorführen, die früher als echte Uniformen gedient haben.
Gegründet 1804 diente die Bürgerwehr als Selbsthilfe der Stadt, um das Vermögen ihrer Bürger gegen umherziehende Plünderer und Banditen zu verteidigen. Die Freiwilligen waren aber auch bei anderen Notfällen, wie Bränden oder Überschwemmungen zur Stelle. Die Wehr wurde nach der Revolution von 1848 aufgelöst, da fehlende Treue gegen die Obrigkeit befürchtet wurde.
Uniformen sind einem Gemälde nachempfunden
1962 wurde die Wehr als Trachtengruppe wiedergegründet und am Schwyzertag dieses Jahres der Bevölkerung vorgestellt. Ihre napoleonische Uniform wurde einem Ölgemälde nachempfunden, auf dem der wahrscheinlich letzte Kommandant, Jacob Hiss, abgebildet ist. Bis heute proben die Schützen in der Gruppe regelmäßig zusammen mit dem Spielmannszug das Schießen und das gemeinsame Marschieren. Denn die Vorderlader-Gewehre sind echt, lediglich die Munition ist eine Ladung ohne Projektil. Nachdem der Kommandant die Befehle zum Aufstellen, Laden, Hahn-Spannen und Anlegen erteilt hat, heißt es: „Feuer!“
Alle Schützen sollen im selben Moment abdrücken
Ziel ist, dass alle Schützen – die Waffe nach oben gerichtet – genau im selben Moment abdrücken. Die jeweils drei Gramm Schwarzpulver entwickeln einen beachtlichen Knall mit gleichzeitigem Mündungsfeuer. Aus diesem Grund ist auch pro sieben Schützen eine Aufsichtsperson mit „Kleinem Sprengstoffschein“ vorgeschrieben, die zwischen den Schüssen über die Munition wacht.
Gemeinsam mit dem Spielmannszug absolvieren die Schützen rund zwölf bis 15 Auftritte pro Jahr und es gibt rund 18 Marschproben. Gespielt wird aber natürlich auch Unterhaltungsmusik. Besonders freut sich die Gruppe bereits auf das Bürgerwehrentreffen des Landesverbands der Bürgerwehren und -milizen Baden-Südhessen 2019 in Tiengen. Die Tiengener Bürgerwehr hat derzeit 23 und der Spielmannszug elf Mitglieder.
Fahnenschwingerinnen werfen die Sulzer Spitzen
Auch die Tiengener Fahnenschwingerinnen freuen sich als Teilgruppe der Bürgerzunft schon auf ihre Auftritte beim diesjährigen Schwyzertag. Ihre Entstehung ist laut Leiterin Jenny Siebold nicht mehr ganz nachverfolgbar. Zwar habe es schon immer eine Frauengruppe in historischen Kleidern gegeben, einen heraldischen Hintergrund habe das Fahnenschwingen hier aber nicht. Dennoch, die festlich kostümierten Mädels mit ihren fliegenden „Sulzer Spitzen“, wie das heraldisch korrekte Motiv der weiß-roten Fahnen genannt wird, dürfen bei Heimatfesten wie dem Tiengener Schwyzertag, dem Nöggenschwieler Rosenfest und auch der Waldshuter Chilbi nicht fehlen.

Die Technik hat sich im Laufe der vergangenen Jahrzehnte verändert. Wo früher ein Besenstiel mit Leinentuch geworfen wurde, segeln heute synthetische Stoffe an Profigeräten mit Metallgriff durch die Luft. Es gibt Schwung- und Wurffiguren sowie ganze Choreografien, die zu variabler Marsch- aber auch jeder anderen Musik passen, so zum Beispiel das „Konstanzer Fahnenspiel“, den „Gürtel“ oder den „Florentiner“.
Chaot ist die schwierigste Figur
Am schwierigsten sei die Figur „Chaot“, erklärt Siebold, und zwar durch ihre spezielle Wurftechnik, bei der die Fahne sich während ihres Flugs über den Kopf der Werferin noch einmal dreht und auf der anderen Seite aufgefangen wird. Das Repertoire enthält derzeit rund 33 verschiedene, kombinierbare Schwung- und Wurffiguren. Die Choreografie wird übrigens jedes Jahr gemeinsam neu entwickelt.
Bisher wollten noch keine Jungs beitreten
Mitmachen bei den Fahnenschwingerinnen können alle Mädchen ab dem Schulalter. Jungs seien zwar nicht verboten, Beitrittsanfragen gebe es aber keine, erklärt Jenny Siebold. Um die Figuren einzuüben, braucht es rund vier Monate, aber auch das hängt von Alter und Kraft ab. Schließlich wiegt die kleine Fahne bereits 800 Gramm, die große bringt es auf stattliche 1,2 Kilogramm. Derzeit sind neun Fahnenschwingerinnen im Alter zwischen sieben Jahren und Ende 20 aktiv.