Nie war die Solidarität in der Stadt so groß wie bei der Schließung des Versandhauses Schöpflin durch den Eigentümer Quelle, erinnert sich Wirtschaftsförderin Marion Ziegler-Jung. Sie spricht von „kollektiver Empörung“.
Als viele Jahre später Gaba die Zahnpastaproduktion von Lörrach nach Polen verlegte, waren die Reaktionen nicht halb so heftig. Warum? Die beiden Schließungen trafen Lörrach in gänzlich unterschiedlicher Verfassung. Als Quelle im Juli 1999 rund 900 Leute, mehrheitlich Frauen, auf die Straße setzte, war die Arbeitslosigkeit hoch, Lörrach ging es nicht gut.
Als Gaba die Stadt verließ, sah das anders aus. Viele der Leute, so war man überzeugt, werden wieder einen Job finden. Für solchen Optimismus war 1999, aus Ziegler-Jungs Perspektive eine verunsichernde Umbruchsituation, wenig Anlass.
Viele beteiligen sich am Protest, als sich die dunklen Wolken um Schöpflin von 1996 an zusammenziehen. In Mai 1997 meldet die Geschäftsleitung drastische Umsatzeinbußen. Ein Jahr später wird zwar noch zugesagt, Schöpflin werde als Quelle-Tochter weitergeführt. Monate später aber, im Oktober 1998, verdichten sich die Anzeichen, dass der Standort zur Disposition steht. Die Beschäftigten erfahren das aus der Zeitung. Nun beginnt das Ringen um den Erhalt. Die vielfach und vehement vorgetragene Devise: „Schöpflin muss bleiben!“
Die Belegschaft setzt sich ein
Betriebsrat und Gewerkschaften, Lörrachs damalige Oberbürgermeisterin Gudrun Heute-Bluhm und Landrat Alois Rübsamen, Parteien und Gemeinderat, Abgeordnete, selbst Organisationen wie die Business and Professional Women setzen sich ein. Der Quelle-Betriebsrat in Fürth solidarisiert sich mit dem Standort Lörrach. Massiv machen sich die Kirchen stark, für die Protestanten unter anderem der Brombacher Pfarrer Andreas Riehm-Strammer, auf katholischer Seite in erster Linie Franz Kreutler, jeweils sekundiert von höheren Stellen.
Viele sind Teil des Solidaritätskreises Schöpflin. Es gibt Resolutionen, Briefe, immer wieder Gespräche. Am 13. November 1998 demonstrieren 2500 Menschen auf Lörrachs Altem Marktplatz. Anfang Dezember wird eine zwei Kilometer lange Menschenkette zwischen den Schöpflin-Standorten Haagen und Brombach organisiert.
Mit einem Aufruf zum Quelle-Boykott erklären sich Mitarbeiter an anderen Quelle-Standorten einig, Unterschriftenlisten füllen sich mit Namen, Postkarten überschwemmen den Briefkasten in Fürth, vor dem Konzernsitz werden Nelken für alle Lörracher Beschäftigten niedergelegt. Im Januar tragen Schöpflianer ein Kreuz nach Fürth. Es hilft alles nichts, auch nicht ein Gespräch bei Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU). Am 21. Juli 1999 ist der letzte offizielle Arbeitstag bei Schöpflin. Mit schwarzen Fahnen ziehen die Beschäftigten zur letzten Betriebsversammlung. Geschäftsführer Wahle, der Betriebsratsvorsitzende Hansjörg Obermeier, die Oberbürgermeisterin und Vertreter des Solidaritätskreises sprechen. Dann geht das Licht aus.
Die Arbeitslosenquote in Lörrach stieg in die Höhe
Manches wurde erreicht, etwa ein Sozialplan, eine Beschäftigungsgesellschaft, die Ausgliederung der Billiglinie Mode & Preis, die für ein paar Jahr einige Arbeitsplätze rettete. Warum der Versandhandel damals in die Krise rutschte? Der stationäre Handel hatte sich gemausert, war attraktiv geworden, nennt Ziegler-Jung als einen Grund. Heute beobachten wir die gegenteilige Entwicklung.
Gut 150 Frauen und Männer fanden aufgrund der Qualifizierungsoffensive in der Beschäftigungsgesellschaft einen neuen Arbeitsplatz, wurden Altenpfleger, Ergotherapeuten oder Versicherungsangestellte. Anderen gelang das nicht. Zwei Jahre nach der Schöpflin-Schließung lag die Arbeitslosenquote in Lörrach mit sieben Prozent weiter über dem Landesdurchschnitt. Dass die Lage heute eine ganz andere ist, hat mit der Konjunktur zu tun und Entwicklungen auf dem Schweizer Arbeitsmarkt. Doch es wurde in Lörrach auch Vieles richtig gemacht.
Aufstieg und Niedergang
Das spätere Großversandhaus Schöpflin wird 1907 als Gemischtwarengesellschaft gegründet und erlebt einen ersten echten Aufschwung in den 1920er Jahren. 1930 wird das Versandhaus aus der Taufe gehoben. Nach dem Krieg, in dem das Werk Brombach stark zerstört wird, wird aus dem Ladengeschäft in Haagen ein Kaufhaus. 1964 steigt die Familie Schickedanz (Quelle) bei Schöpflin ein, viele Filialen werden eröffnet. 1971 hat das Unternehmen 2800 Mitarbeiter, belegt kurz darauf Platz 7 unter den Versendern. Die Wiedervereinigung bringt einen Boom, doch Ende der 1990er Jahre bricht der Umsatz ein. Ende 1998 empfiehlt die Geschäftsführung die Schließung. Am 21. Juli 1999 ist der letzte Arbeitstag. (seh)