Frau von Melle, wie sind Sie eigentlich zum Bergsteigen gekommen? Als gebürtige Hamburgerin aus dem flachen Norden liegt das ja erst mal nicht so nah.

Ich habe in München studiert und tatsächlich da dann mit dem Bergsteigen angefangen. Die Uni München hat ein ganz tolles Programm für die Studenten, mit Kletterkursen und Skitourenkursen, und der Deutsche Alpenverein ist auch vertreten.

Und wie sind Sie dann zum Höhenbergsteigen gekommen, insbesondere zum Besteigen der sieben Achttausender?

Das kam dann über meinen Mann Luis, wir haben uns im Studium kennengelernt. Ich kam ja aus Hamburg und fand, dass die Alpen vor der Haustür eigentlich als Spielwiese für ein ganzes Leben ausrechen. Aber Luis hat damals seine erste Expedition als Bergführer für den Alpenverein zum Aconcagua geleitet, und mich gefragt, ob ich Lust habe mitzukommen. Ich fand das ja zunächst ziemlich abstrus.

Warum abstrus?

Soweit zu fliegen, um Berge zu besteigen, wenn man doch die Alpen vor der Haustür hat! Aber frisch verliebt und rosarot durch die Brille guckend, habe ich mir gedacht, ich kann mir das ja mal anschauen. Und dann hat es mich fasziniert – ein fremdes Land kennenzulernen und sich einen Berg als Ziel einer Reise vorzunehmen. Ich habe die Höhe am Aconcagua damals sehr gut vertragen und das hat natürlich dann Lust auf mehr gemacht.

Alix von Melle auf dem fünfthöchsten Berg der Welt, dem Makalu mit einer Höhe von 8.485 Metern. Insgesamt hat die gebürtige Hamburgerin ...
Alix von Melle auf dem fünfthöchsten Berg der Welt, dem Makalu mit einer Höhe von 8.485 Metern. Insgesamt hat die gebürtige Hamburgerin sieben der 14 Achttausender weltweit bestiegen. | Bild: Alix von Melle

Ab dem Zeitpunkt haben wir jedes Jahr überlegt, welches Land wir in Kombination mit welchem Berg bereisen wollen.

Und so kam es dann auch zu den Achttausendern?

An das Achttausender-Bergsteigen haben wir uns wirklich schrittweise rangetraut. Schließlich ist das Bergsteigen für uns auch zum Beruf geworden, sodass wir Sponsoren haben, die uns bei den Expeditionen unterstützen, und wir Vorträge darüber halten.

Wie lernt man Bergsteigen eigentlich?

Mein Mann zum Beispiel ist aus so einer richtigen Bergsteigerfamilie und ich bin auch sicher, dass der mit Skiern auf die Welt gekommen ist. Aber ansonsten gibt es beispielsweise auch Angebote vom Alpenverein.

Wie hart ist die Vorbereitung für die Besteigung eines Achttausenders?

Die ist wirklich hart. Neben den organisatorischen Dingen wie Flugbuchung und Kontaktaufnahme mit einer Trekkingagentur vor Ort, steht ein halbes Jahr vorher das Training im Vordergrund. Da trainiere ich so fünf mal pro Woche, insgesamt 15 bis 20 Stunden. Dazu gehört die Grundlagenausdauer, aber auch die Ultra-Langzeitausdauer.

Warum ist die Ultra-Langzeitausdauer so wichtig?

Aufgrund des geringeren Sauerstoffgehaltes in der Höhe hat man weniger Luft zum Schnaufen. In den Alpen kann man als trainierter Bergsteiger in ungefähr einer Stunde gut 400 Höhenmeter schaffen.

Alix von Melle und ihr Mann Luis Stitzinger haben ihr gemeinsames Leben auf das Bergsteigen ausgerichtet. Auch nach Luis Tod während der ...
Alix von Melle und ihr Mann Luis Stitzinger haben ihr gemeinsames Leben auf das Bergsteigen ausgerichtet. Auch nach Luis Tod während der Besteigung eines Achttausenders verliert Alix von Melle ihre Leidenschaft für die Berge nicht. | Bild: Alix von Melle

An einem Achttausender schafft man aber manchmal nur noch 100 bis 150 Höhenmeter pro Stunde. Dementsprechend muss man trainieren – nicht der Sprinter ist gefragt, sondern wirklich derjenige, der seine Kräfte und die Ausdauer über lange Zeit abrufen kann.

Sie kritisieren den Einsatz von künstlichem Sauerstoff. Warum?

Man degradiert einen Achttausender eigentlich zu einem Sechstausender, wenn man mit künstlichem Sauerstoff unterwegs ist. Hans Kammerlander hat das mal sehr schön formuliert und gesagt, einen Achttausender mit Sauerstoff zu besteigen ist, wie wenn man die Tour de France mit einem Motorrad mitfahren würde, und ich finde den Vergleich treffend.

Also ist das für Sie ein bisschen wie Schummeln?

Ja, Schummeln ist vielleicht ein ganz guter Ausdruck. Wenn ich einen Achttausender ohne künstlichen Sauerstoff nicht schaffe, dann gehe ich lieber an ein Sechstausender und schaffe den aus eigener Kraft. Ich will das aber gar nicht verurteilen, wenn jemand sagt, ich habe am Mount Everest keine Chance ohne künstlichen Sauerstoff, will aber meinen Lebenstraum erfüllen und mache das mit Sauerstoff. Dann ist das für mich völlig in Ordnung.

Wie teuer ist es einen Achttausender zu besteigen?

Mindestens 10.000 Euro. Es hängt natürlich auch davon ab, was man sich noch an Ausrüstung kaufen muss, welches Angebot man wählt oder welchen Berg man besteigt. Beim Mount Everest, das ist der höchste und teuerste Berg der Welt, geht das Ganze schon bis zu 150.000 Euro.

Wie gefährlich ist das Besteigen eines Achttausenders?

Ich denke, die Hauptgefahr ist die Höhenkrankheit, die meinem Mann ja auch letztes Jahr zum Verhängnis geworden ist. Dann gibt es noch die Steinschlaggefahr, Lawinengefahr und Eisschlaggefahr. Auch das Thema Rettung ist natürlich im Alpenraum viel einfacher als bei einem Achttausender.

Wie schaffen Sie es nach dem Tod Ihres Mannes, Ihre Leidenschaft für die Berge nicht zu verlieren?

Die Berge sind für mich ein Kraftort. Wir haben unser ganzes Leben auf das gemeinsame Bergsteigen ausgerichtet und es stand für mich auch direkt nach seinem Tod überhaupt nicht zur Diskussion, ob ich weiter in die Berge gehe oder nicht. Ich habe das damals ja angefangen, bevor ich ihn kennengelernt habe, ich habe es für mich angefangen. Ich finde es immer ganz wichtig, dass man mit dieser inneren Begeisterung dabei ist.

Es ist natürlich ganz schwierig und ich denke jetzt ganz oft bei Bergtouren: „Verdammt, beim letzten Mal war ich hier zusammen mit Luis unterwegs.“ Aber die Berge geben mir auch so viel Kraft und Zufriedenheit.

Was hat Ihnen nach Ihrem Verlust noch Kraft gegeben?

Es ist nach wie vor so, dass es gute Tage gibt und Tage, wo ich am liebsten nicht aufstehen möchte. Aber meine Familie und meine Freunde sind immer für mich da. Ich hab tatsächlich auch eine enge Freundin, die auch ihren Partner vor vielen Jahren in den Bergen verloren hat, und ich denke, dieser Austausch mit Gleichgesinnten tut gut.

Möchten Sie die verbleibenden sieben Achttausender auch noch besteigen?

Es hat viele Jahre gebraucht, um die ersten sieben Achttausender zu besteigen. Ich habe das ja ohne künstlichen Sauerstoff gemacht. Deswegen kann ich ziemlich sicher sagen, dass ich nicht mehr die Zeit haben werde, alle 14 komplett zu besteigen.

Die gebürtige Hamburgerin Alix von Melle arbeitet neben dem Bergsteigen auch selbstständig im PR- und Kommunikationsbereich und ...
Die gebürtige Hamburgerin Alix von Melle arbeitet neben dem Bergsteigen auch selbstständig im PR- und Kommunikationsbereich und unterrichtet Yoga. | Bild: Alix von Melle

Aber es ist jetzt nicht so, dass ich irgendwie eine Couchpotato geworden wäre, seitdem das im letztem Frühjahr mit Luis passiert ist. Ich möchte wieder nach Nepal, ich möchte wieder Berge besteigen, und ich glaube, es ergibt sich einfach dann so schrittweise, ob ich mir noch mal einen Achttausender zutraue oder nicht. Es kann auch sein, dass ich merke, mit Luis war das einfach so perfekt, ohne ihn bringt es mir keinen Spaß mehr.

Wie stehen Sie dazu, dass es an Bergen wie dem Mount Everest heutzutage schon fast Massentourismus gibt?

In der Tat gibt es viele Menschen, die am Mount Everest das erste Mal in ihrem Leben Steigeisen an den Füßen haben und das erstmal lernen müssen. Auf der anderen Seite muss man natürlich auch klar sagen, diese Länder leben vom Tourismus. Nepal ist eines der ärmsten Länder der Welt, und die haben nun einfach das Glück, dass sie diesen hohen Berg bei sich stehen haben und dadurch auch ganz viele Arbeitsplätze, die es sonst nicht geben würde.

Ich habe auch Achttausender erlebt, wo wir ganz alleine unterwegs waren. Wer an den Mount Everest fährt, muss einfach wissen, dass man da nicht alleine unterwegs ist.