Wenn Tanja Ganschow mit Auto und Hänger vorfährt, hat sie nicht nur einen mobilen Hühnerstall, Futter und einen Steckzaun dabei, sondern auch vier schlafende Hennen. „Sobald sie schlafen, kann ich sie wie Äpfel von der Stange pflücken und in die Transportbox packen“, sagt sie. „Das ist am stressfreiesten für sie.“

Sind sie angekommen, werden die Tiere wieder zurück in ihren Stall gesetzt. Sie schlafen weiter, bis sich die automatische Hühnerklappe bei Sonnenaufgang öffnet und sie in ihren eingezäunten Auslauf können: Willkommen in der Welt der Miet-Hühner von Tanja Ganschow aus Villingen. „Borg n‘Huhn“ steht auf einem Schild an ihrem Gartenzaun. Hühner zum Leihen? Ja, das gibt‘s.
Mit Brut-Eiern fing alles an
Begonnen hat alles vor sechs Jahren mit ein paar Brut-Eiern, die unter einer Wärmelampe lagen. „Ich wollte unseren Kindern zeigen, woher unsere Lebensmittel eigentlich kommen“, sagt Tanja Ganschow, Mutter von vier Kindern im Alter zwischen fünf und 16 Jahren.
Mit den ersten Küken, die im Haus der Familie schlüpften, zog auch das Hühnervirus ein, wie Tanja Ganschow lachend sagt. Sie hält mittlerweile 20 Hühner verschiedener Rassen. Vier davon kann man borgen, die Mindest-Mietzeit beträgt zwei Wochen. Die Eier, die in dieser Zeit gelegt werden, dürfen die Mieter natürlich behalten.
Hanni, Nanni, Hedwig und Sophie
Wer mietet Hühner? Zum Beispiel Familien, die überlegen, selbst Geflügel zu halten und es vorher einmal ausprobieren wollen. Kindergärten und Schulen, die ein besonderes Naturprojekt anbieten möchten. Oder Menschen, die ihren betagten Eltern eine besondere Freude machen wollen.

So wie das Ehepaar, dem Tanja Ganschow vergangenes Jahr die Hennen Hanni, Nanni, Hedwig und Sophie brachte. „Es war so herzallerliebst anzusehen, wie sehr sich die beiden an den Tieren freuten“, erinnert sie sich. Dass die Hennen schon in Winterpause gegangen waren und in der Zeit kein einziges Ei legten, störte die Gastgeber nicht. „Sie haben sogar jeden Tag für sie gekocht.“
„Ich hatte irgendwie immer die Villinger Südstadt im Kopf. Diese kleinen Siedlungshäuschen, wo sich die Leute aus ihren Gärten selbst versorgt haben.“Tanja Ganschow
Dass sie selbst Hühnerhalterin werden wollte, war für Tanja Ganschow nach der Erfahrung mit Brut-Eiern schnell klar. „Ich hatte irgendwie immer die Villinger Südstadt im Kopf. Diese kleinen Siedlungshäuschen, wo sich die Leute aus ihren Gärten selbst versorgt haben.“

Auch sie baut für ihre Familie in Beeten und Gewächshaus Obst und Gemüse an. „Bei einem sechs-Personen-Haushalt ist das natürlich für den hohlen Zahn“, sagt sie.
Ihr geht es darum, Wertschätzung für Lebensmittel zu vermitteln. Sie will ihren Kindern zeigen, dass eine Karotte eben sechs Monate Monate braucht, bis sie „fertig“ ist. Und dass es schade wäre, sie ungegessen vergammeln zu lassen.
Deshalb engagiert sich die 41-Jährige auch beim Verein Food-Sharing. Als Lebensmittelretterin holt sie überschüssige Lebensmittel in Supermärkten und Bäckereien, ab. Damit bestückt sie unter anderem den „Fairteiler“ am Martin-Luther-Haus und verteilt Tüten am Kindergarten ihres Sohnes.
Lebensmittel – zu schade zum Wegwerfen
Überschüssiges Essen aus Läden mitnehmen, und das auch noch kostenlos? Für viele sei Food-Sharing schambehaftet, sagt sie. Dabei gebe es dafür gar keinen Grund. Schlimm sei vielmehr, wie viele Lebensmittel täglich, wöchentlich, jährlich vernichtet werden. Auch eine Entwicklung, der die Villingerin mit ihren Leih-Hühnern etwas entgegensetzen möchte.

Die Idee, ihre Hennen zu vermieten, kam Tanja Ganschow noch während der Corona-Zeit. Sophie, das braune Zwerghuhn-Mix, hatte sechs Küken ausgebrütet und da sie wusste, dass die Warenbergschule eine Naturparkschule ist, bot sie an, der Schule Sophie und ihren Nachwuchs auszuleihen.
Unterricht mit Huhn
Die Resonanz sei überwältigend gewesen. Lehrer und Eltern, aber vor allem die Kinder seien begeistert gewesen. Fächerübergreifend wurden Hanni, Nanni, Hedwig und Sophie in den Unterricht eingebunden. Da wurde berechnet, wie viel Futter eine Henne pro Woche braucht oder wie viele Eier in sieben Tagen gelegt werden.

Nicht zuletzt erlebten die Kinder live, wie schnell aus kleinen gelben Flauschkugeln ein junges Hühnchen wird. Von denen wiederum jedes seinen eigenen Charakter habe, schwärmt Tanja Ganschow. Sie kann an den Eiern erkennen, welcher ihrer insgesamt 20 Hennen es gelegt hat.
Lenja ist die Hühnerflüsterin
Da gibt es klitzekleine Zwerghuhn-Eier, grüne, die von Araucana-Hennen stammen und große, die ein Altsteirer Huhn gelegt hat. Einen ganz besonderen Draht zu den Tieren hat Tanja Ganschows achtjährige Tochter Lenja. „Wir sagen immer, sie ist unsere Hühnerflüsterin.“

Intensiver Kontakt zu Tieren ist längst nicht für alle Kinder Alltag, schon allein, weil es die Wohnsituation von Familien oft nicht zulässt. Beim Projekt an der Warenbergschule hat Tanja Ganschow Kinder erlebt, die Angst davor hatten, ein Küken in die Hand zu nehmen. „Das finde ich schade.“ Berührungsängste, die sie mit ihren Miet-Hennen abbauen möchte. „Ich fände es schön, wenn Nutztiere wieder näher an uns heranrücken und auch gehalten würden“, sagt sie.

Als sie die Idee für ihr Kleinunternehmens dem Veterinäramt vorstellte, sei man dort zunächst überrascht-amüsiert gewesen, erinnert sie sich.
Grünes Licht vom Veterinäramt
Doch die Haltungsbedingungen für die Miet-Hühner sind exakt mit dem Amt abgestimmt, die Ausrüstung amtstierärztlich abgenommen. Unter anderem ist festgeschrieben, wie viel Platz die Hennen im Stall haben müssen, um sich vor dem Schlafengehen aufzuplustern. Schließlich soll es ihnen auch gut gehen, wenn sie wieder einmal von der Stange gepflückt, in die Transportbox gesetzt und zu ihrem nächsten Einsatzort gebracht werden.