- Vier Villinger Schicksale berühren 40 Menschen
- Die Biografien sind jetzt auch als Video abrufbar

VS-Villingen – „Als Frau habe ich bei der Ankunft in Auschwitz, bei der Selektion an der Rampe, keine Chance. Noch am Tag meiner Ankunft schickt man mich ins Gas.“ Mit diesen Worten schloss Isabell Kuchta-Papp am Dienstagabend ihren Vortrag in der Villinger Gerberstraße.
Nicht nur sie musste dabei sichtlich um Fassung ringen. Auch bei den rund 40 Interessierten, die zur SÜDKURIER-Gedenkveranstaltung in Kooperation mit dem Verein Pro Stolpersteine gekommen waren, zeigten ihre Worte Wirkung.

Fünf Minuten lang hatte Kuchta-Papp die Biografie und das Schicksal von Julie Schwarz in der Ich-Form verlesen, nachdem bereits Christa Lörcher, Herinrich Schidelko und Gabriele Engelke den Zuhörern in gleicher Weise einen Einblick in das Leben von Bertha, Hugo Heinrich und Irma Schwarz gegeben hatten.

Die Vorträge fanden genau dort statt, wo die jüdische Familie zuletzt freiwillig gelebt hatte, in der Villinger Gerberstraße, im Haus mit der Nummer 33, ehe sie am 22. Oktober 1940 zusammen mit acht weiteren Personen von den Nationalsozialisten von Villingen ins französische Lager Gurs deportiert wurden.

Es ist ein dunkles Kapitel der VS-Stadtgeschichte und erst knapp 80 Jahre her, ein Gedanke, der sicher vielen Teilnehmern bei der anschließenden Gedenkminute und einer andächtigen Flötenimprovisation von Musiker Hans Haller durch den Kopf ging.
Wie aktuell das Thema bis heute ist und der Hass bis heute in einigen Köpfen schwelt, wird schon wenige Meter abseits der Zusammenkunft sichtbar. An einer Dachrinne angebrachtesichtbar. An einer Dachrinne Aufkleber mit Informationen zu den virtuellen Stolpersteinen im Internet, werden regelmäßig von Unbekannten abgekratzt oder mit feindseligen Parolen überklebt. Auch in sozialen Netzwerken im Internet gebe es regelmäßig Anfeindungen gegenüber den Stolpersteinen, weiß Heinrich Schidelko.

Die gemeinsame Vortragsreihe unter freiem Himmel soll den Menschen der Stadt diese Schicksale in Erinnerung rufen. Mit dabei an den einzelnen Verlegeorten sind dann immer auch die Stolpersteine, die der Verein bereits seit dem Gründungsjahr 2014 im Besitz hat.
Ein weiterer Gedenkstein wurde unlängst nachbestellt. Seit dem Jahr 2004 gibt es in der Doppelstadt Bestrebungen, solche Gedenksteine vor den Häusern zu verlegen, wo jüdische Familien vor der Verfolgung und der Deportation gelebt hatten. Zwei Mal scheiterten die Anläufe im Gemeinderat. Im November 2019 brachten 23 Gemeinderäte aus mehreren Fraktionen das Thema mit einem gemeinsamen Antrag erneut auf den Tisch. Am 29. Januar sollen die Räte erneut darüber abstimmen. Dieses Mal stehen die Vorzeichen für eine Mehrheit für die Stolpersteine gut.
Wolfgang Heitner warb in seiner einleitenden Ansprache für die Verlegung in der Doppelstadt. Die ehemaligen Mitbürger hätten keine Grabsteine, nichts erinnere mehr an ihre Existenz in der Stadt. Die Stolpersteine könnten zum Ersatz werden, so Heitner.
„Wer die Inschriften lesen will, muss sich hinabbeugen. Auf diese Weise verbeugt man sich vor den Opfern“, beschreibt er die Form des Gedenkens. Stolpern sei in diesem Sinne auch nicht wörtlich gemeint, vielmehr sollen Passanten beim Anblick der Steine im Kopf und im Herzen für einen kurzen Moment aus der Balance des Alltags gebracht und zum Nachdenken angeregt werden.

Stolpersteine sind ein Kunstprojekt von Gunter Demnig, das bereits 1992 begann. Erst kürzliche wurde sein 75 000ster Gedenkstein verlegt.

Weitere Termine
Am kommenden Freitag, 18.30 Uhr, geht die Veranstaltungsreihe in die zweite Runde, jedoch nicht wie angekündigt in der Rietstraße, sondern vor dem Haus in der Oberen Straße 1. Hier wird der Familie Boss gedacht. Am 15. Januar findet die Veranstaltung in der Waldstraße 11 statt, am 17. Januar folgt die verschobene Veranstaltung in der Rietstraße 40. Die beiden letzten Treffen finden am 21. und 24. Januar in der Herdstraße 16 und in der Sebastian Kneipp-Straße 36 statt.