Jedes Jahr besuchen Pierre-Louis Bikart (67) und seine Schwester Jeannette Ruth Silva Bikart (57) Villingen. Jedes Jahr besuchen sie den Ort, an dem ihr Großvater Louis, ihre Großmutter Jeanette, ihr Vater Sigmund und ihre Tanten Ruth und Silva Irene wohnten. Der Ort, an den die Familie 1894 von Gailingen am Hochrhein zog und von dem sie 1937 wegen der Repressalien der Nazis flüchten musste.
Am Mittwoch fand aus diesem Grund die Gedenkveranstaltung des Vereins Pro Stolpersteine VS gemeinsam mit dem SÜDKURIER in der Waldstraße 11 statt. Etwa 40 Interessierte waren gekommen, um den Biografien der Bikarts zu lauschen, um an ihre Vertreibung und den Mord an einem Teil der Familie zu gedenken und um ein Zeichen zu setzen, für das Verlegen von Stolpersteinen in Villingen, über das der Gemeinderat Ende Januar entscheidet.

Pierre-Louis und Jeannette Ruth Silva Bikart hoffen, dass sich die Gemeinderatsmitglieder für die Stolpersteine entscheiden. „Es wird höchste Zeit, dass das passiert“, sagt der Urgroßenkel des 1894 nach Villingen gezogenen Sigmund Bikart. Die Geschwister können nicht verstehen, warum es in Villingen bislang noch keine Stolpersteine gibt. Sowohl in ihrer Heimatstadt Straßburg, als auch in der deutschen Grenzstadt Kehl gebe es die Andenken in der Straße schon lange. „Das sollte eine europäische Initiative sein“, sagt Pierre-Louis Bikart.
Vor einigen Jahren hatte es den Vorschlag gegeben, ein kleines Monument in der Stadt zu Ehren der Bikarts aufzustellen: „Das haben wir aber abgelehnt. Das Monument wäre kaum sichtbar gewesen“, sagt Pierre-Louis Bikart. Die Vertreibung und die Ermordung eines Teils der Angehörigen sind bis heute Teil der Familie.
Einmal im Jahr, so erzählen die Geschwister, fahren sie nach Gailingen am Hochrhein, wo ihr Urgroßvater zunächst wohnte, und im Anschluss nach Villingen. Das haben sie schon gemacht, als ihr Vater noch lebte: „Ich erinnere mich an einen Besuch. Das war etwa 1965. Wir gingen mit unserem Vater an den Ort, an dem unser altes Haus stand. Doch es war nicht mehr da, es wurde abgerissen. Das war ein großer Schock für unseren Vater“, erzählt Pierre-Louis Bikart.
Aber auch sonst erinnert die Familie sich häufig an die Vorfahren: „In der jüdischen Religion denken wir bei jede Feier daran, was früher passiert ist“, sagt Jeannette Ruth Silva Bikart. Auch, dass sie zum Teil die Namen ihrer Vorfahren tragen, ist ein Zeugnis des Gedenkens. Sie hoffen, dass ein solches auch bald in Villingen für jeden unübersehbar sein wird – von ihren Verwandten und weiteren Opfern der Nationalsozialisten.
Stolpersteine
Die Idee für die Stolpersteine hatte der Künstler Gunter Demnig im Jahr 1992. Mittlerweile gibt es europaweit mehr als 70 000 solcher Stolpersteine. In Villingen-Schwenningen gibt es bislang noch keine. Zweimal hatte der Gemeinderat die Verlegung der kleinen Mahnmale abgelehnt. Der Verein Pro Stolpersteine VS setzt sich dafür ein, dass die Doppelstadt die Steine bekommt. Am 29. Januar stimmen die Bürgervertreter erneut über eine mögliche Verlegung ab. Übrigens: Jeder Mensch kann den Impuls für neue Stolpersteine geben. Ansprechstelle ist zumeist die örtliche Stolperstein-Initiative, Voraussetzung ist aber auch immer die Genehmigung der Stadt.